Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Overdressed and underfucked"

Pamela Rußmann

Brennend leben: Das Große im Kleinen erkennen

10. 7. 2009 - 11:42

Overdressed and underfucked

Die Geschichte des Datings ist eine Geschichte des Scheiterns.

Unlängst am Mädchentisch. S. stöhnt: "Der verlässlichste Weg, Single zu bleiben ist sich auf Dates einzulassen." Erstaunte Augenpaare aus mindestens drei Windrichtungen wollen mehr wissen. Bei dieser Einmoderation nur logisch.

S., eine wirklich bezaubernde, intelligente, beruflich erfolgreiche One-Woman-Show, erzählt also von dem Abend beim Stammwirtn, als sie mit der trinkfreudigen After-Work-Runde ein paar Weingläser kippte und dabei über den Tellerrand blickte. Bis zum nächsten Wirtshaustisch. Dort saß ein wirklich bezaubernder Mann, mit einem Freund, der einerseits heftig am Dischgerieren war und andererseits heftig am Augenkontakten mit S. Sie hielt ihrerseits dem Blickeaustausch stand und bastelte - ganz multi-tasking-mäßig - im Unterleib an erotischen Phantasien.
Plötzlich: Aufbruch am Nebentisch, der bezaubernde Love Interest verlässt mit seinem Diskurs-Freund das Lokal. Natürlich nicht ohne Zwinker-Zwinker zu S. Diese wiederum sieht in der Sekunde die sieben Weltwunder einstürzen und stürzt nach einer Schrecksekunde in absoluter Todesverachtung aus dem Lokal. Zurück kam sie mit seiner Telefonnummer und einem Date.

Flirting with disaster: Mirjam Unger und Esther Csapo widmen sich in der FM4 Sommerrevue (jeden Samstag, 13-17 Uhr) in der schmutzigen Stunde zwischen 15 und 16 Uhr dem Minenfeld Rendezvous. Eure Anekdoten sind gefragt - entweder direkt hier ins Forum posten oder live in der Sendung anrufen - 0800 226 996.

Ka-wummm!

Soweit, so beeindruckend. Da-hann allerdings der Twist in der Handlung. S. und der Augenmann treffen sich zum relaxten Date in der Bar am urbanen Wasser. Große weltanschauliche Übereinstimmung, selbe Humorfarbe, S. muss ihn sich noch nicht mal schöntrinken, volle tauge. S. gratuliert sich zu der mutigen DIY-Entscheidung, fühlt sich wahnsinnig emanzipiert und scheißt grinsend auf die fiesen Ratgeber, von wegen "Der Mann muss den ersten Schritt machen" und bringt sich in Stellung.
Das Gespräch wird umgeleitet auf die emotionale Ebene. S. versucht Details über seine früheren Beziehungen zu recherchieren, da platzt die Bombe: "Er ist schwul."
Ka-wumm!
"Wieso lässt sich der auf ein Date mit dir ein, wenn er auf Männer steht?"
Gespannt warten wir auf eine hochkomplexe psychologische Erklärung. Denkste.
"Er wohnt noch nicht so lange in der Stadt und wollte seinen Bekanntenkreis erweitern."
Oi.

Radio FM4

Sexpectations

Da saß sie also, unsere gequälte Freundin, overdressed and underfucked. Und der Mädchentisch hatte einen Verhandlungspunkt mehr an dem Abend, wobei der Fragenkatalog wenig ergebnisorientiert abgearbeitet wurde: Sex beim ersten Date (vorausgesetzt, ER ist heterosexuell) – ja oder nein? Wer zahlt (die Restaurantrechnung, die Kinotickets, etc.)? Wer sucht den Film/das Lokal/den Treffpunkt aus? Wohin, wenn die verbale Annäherung eine physische Einlösung verlangt (Stundenhotel, sein WG-Zimmer, Auto, nächstbester Hauseingang, im Schatten des Flakturms)? Wer ruft wen wann wie oft an? Und sind wir nicht ewig zu alt für diesen ganzen entsetzlich amerikanisierten Datingirrsinn? Wer braucht das überhaupt, abgesehen von Drehbuchautoren in L.A., New York und Tokyo?

Dirty Hour, einen Sommer lang: Die Kolumne zum Liebe, Sex & Zärtlichkeits-Talk in der FM4 Sommerrevue. Jeden Freitag hier unter diesem Namen.

Als N. ernsthaft die pragmatische Online-Partnervermittlung nach individuell einstellbaren Charaktereigenschaften (Imagine that!) in Betracht zu ziehen beginnt und ich, die explizite Dating-Hasserin, aus reinem Selbstmitleid "Someone please call 9-1-1" anstimme, knallt E. ihren Zustand auf den Wirtshaustisch: "Eh alles lustig. Aber wenn´s bei beiden zackbummhundertprozentig passt, dann denkt man über so grenzdebile Spielchen oder Regeln überhaupt nicht nach."
Stille.
"Das ist alles nur Zeitvertreib. Ein Hobby, damit´s nicht langweilig wird, bis der richtige Typ da ist. Dann stellst keine Fragen mehr. Automatisch."
Was E. an dem Abend allerdings auch nicht beantworten konnte ist, wo sich diese "richtigen" Typen aufhalten, während wir mit den "falschen" die Zeit totschlagen.