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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

7. 7. 2009 - 17:55

Journal '09: 7.7.

Behandelt.

Ich bin nicht sicher, was besser ist.
Doch, bei "besser", da lässt sich das schon sagen, da ist es schließlich etwas emotional-persönliches...

Ich also nicht sicher, was zukunftsträchtiger ist: die vollkommene Unabhängigkeit von Zeit und Ort oder die rituelle Gewöhnung an eine Zeit (vielleicht sogar einen Ort), der Struktur vorgibt.

Im richtigen Leben ist das klar: zweiteres.
Jeder braucht einen Rückzugsraum.
Ich denke aber grade in Rezeptions-Verhalten, in Medien-Konsum-Bezügen.

Tages-Strukturierer

So wie Nachrichten zur vollen Stunde nicht nur das Radio-Programm sondern auch den Hörer-Tag strukturieren, so wie der Kasperl am Mittwoch die Kinderwoche strukturiert hat, so wie die ZiB sagt, dass es jetzt halb Acht ist, so will braucht und mag das nicht jeder.
Die zb, die die ZiB eben nicht mehr um halb Acht anschauen, sondern on demand, irgendwann. Die, die keine Tageszeitung mehr, zumindest nicht mehr täglich lesen; und schon gar nicht bestimmten Kommentatoren und Kolumnisten. Das wäre was für alte Weiber, die sich in ihrem Lese-Verhalten an der Krone definieren, sagen die.

Ich glaube ihnen.
Aber ich glaube ihnen auch nicht.

Denn die, die sich gegen die Rituale, gegen die Regelmäßigkeiten, gegen die Zeit-Vorgaben aussprechen und sich justament alles aufs Handy spielen lassen, damit sie es dann zur ungewöhnlichsten aller Zeiten konsumieren könnten, sind die ersten, die dann, wenn es bei rituellen Erscheinungen eine Verzögerung gibt, nachhaken.

Ritualisierer

Egal, ob ein Projekt X versehentlich wiederholt wird, eine immer am selben Fleck gespielte Radio-Kolumne ausfällt oder gar ein tägliches Journal (scheinbar) nicht rechtzeitig da war. Natürlich spielt die Strukturierung des Tages, den Medien-Konsum unterstützt, eine wichtige Rolle.

Und wird es, aller Mediatheken, aller Immer-Ausspielwege zum Trotz auch weiter spielen. Zumindest noch eine Generation, vielleicht auch länger - wie es um die innere Uhr der Menschheit in 30 Jahren beschaffen sein wird, entzieht sich durchaus meiner Kenntnis.

Ich habe nichts gegen den Neo-Klassiker, sich eine tolle Serie per DVD-Session ein Wochenende lang reinzuziehen, auch nichts gegen unregelmäßige Neugiers-Vorgriffe von wegen mangelnder Geduld nicht mehr zu Erwartendem.

Trotzdem ist mir der Wochen-Rhythmus von zb TV-Serien extrem vertraut und nahe. Nicht nur der älterer Reihen, die so clever sind auf die (ursprüngliche) Wochen-Programmierung Rücksicht zu nehmen und die Timeline entsprechend zu beachten, sondern auch der von nicht darauf Aus/Angelegtem.

Regelmäßer

Es hat was, an einem bestimmten Tag, zu einer bestimmten Zeit, an einen bestimmten Ort zu gehen (auch wenn der zb nur ein Ausspielkanal ist) und sich dann dort einer vertrauten Dramaturgie auszusetzen. Es hat was Spezielles.

Die, die mit der Timeline nicht mehr nur spielen, sondern sie zum Fetisch erheben ("24" zb), die machen sich wieder unabhängig davon.

Manchmal aber klappt alles.
Aktuell gerade wieder was.
Etwas, das die Zeitlinie beachtet und mit ihr spielt, tatsächlich spielerisch spielt.
Gestern ging es los, heute geht es weiter, jeden Mitternacht-Wochentag, neun Wochen lang.

Die Reihe heißt In Treatment und nützt genau den besprochenen Hang zum Medien-Ritualismus, der zumindest noch eine Generation lang vorhanden sein wird.

In Behandlung

Paul (Gabriel Byrne) ist der Therapeut, den wir jeden Tag mit einem anderen Patienten sehen, in kurzen, intensiven, wortdichten aber nicht plapprigen One-on-One-Dialogen mit der Anästhesistin Laura am Montag, dem Kampfflieger Alex am Dienstag, mit dem Ana-Opfer Sophie am Mittwoch und dem Streitpaar Amy & Jake am Donnerstag, ehe er dann am Freitag selber auf der Couch liegt, bei Kollegin Gina (Dianne Wiest).
Und so geht das seit gestern und wird neun Wochen so gehen, immer 25 Minuten, jeden Montag Laura, die ihre Probleme und Liebe auf Paul projiziert, jeden Dienstag Trauma-Opfer Alex, jeden Mittwoch die nicht nur von Anorexie sondern auch von Suizid-Gedanken bedrohte Sophie, und jeden Donnerstag das Zank-Couple, ehe jeden Freitag der Therapeut selber jemanden braucht.
Ein bestechendes Konzept (wie so oft von HBO entwickelt), das nur eine halbwegs fixe Zeit braucht, um zu funktionieren.

Beim ORF-TV ist das rund um Mitternacht auf ORF 2.
Drama-Qualitätserien mit Anspruch, das sagen die Programmplaner, und leider werden sie von den Zahlen für die das Publikum selber sorgt auf das Drastischste bestätigt, hauen früher nicht hin. Reihen wie "House" sind da eine Ausnahme, andere, wie zb "Rescue Me" rutschen immer tiefer in den Spätabend, weil die Einschaltzahlen und Prozente in Tiefst-Bereiche rutschen.

Mitternachtseinlage

Gut, mir ist Mitternacht eh lieber als Primetime. Und die Jammerer (die die schlechten Zahlen ja mittragen) können dann ihrer Behauptung, sowieso keine fixen Beginnzeiten mehr zu brauchen entsprechen und ihren Festplatten-Rekorder aktivieren.

In jedem Fall ist In Treatment nämlich die halbstündige Tagesfreizeitverschwendung wert. Sogar die zur fixen Sendezeit.

Übrigens ist In Treatment im Original eine israelische Erfindung, Be Tipul heißt es, sein Erfinder ist jetzt Co-Produzent der US-Serie und einer seiner Drehbuchautoren war Ari Folman, der von "Waltz with Bashir". Es ist ja nicht so, dass tolle Ideen und Konzepte nicht exportierbar wären.

Und das Ausnützen des Strukturgebers Zeit, des rituellen Haltgebers wie eines Theraphie-Besuchs und der Enge und Dichte eines Zweiter-Gesprächs birgt halt eine Menge Potential.
Mehr in jedem Fall, als sich selber wieder nur eine Kopie etwas bereits Erfolgreichen zu überlegen oder sich bloß auch durchaus szenerituelle Handlungen des Schissertums zuzutrauen.

Wenn Fernsehen, abseits seiner grandiosen Live-Fähigkeit Sinn haben/stiften kann, dann nicht in Michael Bay-artigem TschinBum, sondern in Dramaturgien, die locken und teasen und triezen. Zum Beispiel durch die Verführung, sich gegen Mitternacht bereits zu halten, neun Wochen lang.