Erstellt am: 6. 7. 2009 - 10:00 Uhr
Journal '09: 6.7.
Drei Stunden Bruce Springsteen zuzuhören heißt drei Stunden Lernen, drei Stunden Nachhilfe-Unterricht über die USA bekommen.
Ich mag seine Pflichtfächer nicht so sehr, Country und Gospel und Rock'n'Roll. Da zieh ich andere Lehrer vor.
Aber ich schätze seine Einführungen in Ökonomie und Menschenkunde, die Immobilien-Krise und die Krise der Würde des einfachen Mannes, für den Springsteen seit Jahr und Tag Mandat ergreift.
Ein verseuchter Rad-Champion und Abgreifer einer Social Campaign arbeitet an einem populistischen Ticket, um der übernächste Gouverneur von Texas zu werden, Springsteen aber bleibt der Ralph Nader der Popkultur, ein Mann ohne Ambition für sich, ein Mann der im Bewusstsein des programmierten Scheiterns des amerikanischen Traums ebenjenes dauerthematisiert. Nicht um zu warnen oder zu mosern, sondern um abzubilden, darzustellen.
The times are tough, they're just getting tougher, schreit er mitten in "Cover me".
Saint Bruce ist der Senator der Herzen in einer Kirche des Besingens der Hoffnungsfrohe in der Hoffnungslosigkeit.
Lynch, Woody, Ehrenreich
David Lynch hat aktuell ein Interview-Projekt mt dem Titel 20.000 Miles gestartet, das springsteenesker nicht sein könnte: Er fährt übers Land und macht Interviews, mit Menschen, denen die All-american-averageness aus den Portrait-Fotos springt. Ja, das erinnert mich an die Auftragsarbeiten, die Woody Guthrie, Springsteens immer klarer zutagetretendes Idol, von der New-Deal-Regierung in den 1930ern annahm.
Und es dockt an an die Projekte einer Barbara Ehrenreich, wie Nickel & Dimed, wo sie ein Jahr lang das Leben einer mindestentlohnten Working Poor, die sich selbst den Trailer Park nicht mehr leisten kann, führte, bis hin zu ihrem neuen Buch This Land Is Their Land - Reports from a Divided Nation. Und auch das zitiert bewusst Guthrie.
Nun ist vieles von dem, was die Administration Obama an Gelders verteilt und umstrukturiert, dem New-Deal-Gehabe nicht unähnlich.
Dass Springsteen, einer der großen Wahlsieger des Novembers, aber eben nicht hergeht, sich allerlei ans Revers heftet und davon profitiert wie ein Kriegsgewinnler, ist ihm hoch anzurechnen.
Das hat auch damit zu tun, dass ihm klar ist, dass seine Kirche immer Zulauf haben wird, weil es die Working Poor, auch nach noch so vielen New Deals immer noch geben wird. Weil die USA auf diesem Backbone der praktischen Ausbeutung aufgebaut sind.
Wien, 5th of July
Deshalb sind Springsteen-Konzerte abroad auch nicht mit den Reden und Geschichten und Bühnenansagen versetzt, die wir von Live-Mitschnitten aus den USA kennen, wo er Sinnstiftendes und Konkretes erzählen mag.
Hier schickt er Nils Lofgren mit dem Donauwalzer vor, sagt dann akzentfrei Servus Wien! und bleibt beim Haus aus Liebe, das man an diesem Abend bauen wolle.
Das ist schön und genügt, außenpolitisch. Schließlich ist sein Schwerpunkt domestic, nicht foreign.
Dass sich über 40.000 Ostbahn-Kurtis und -Mitzis trotzdem in ihn verliebt haben, ist kein Widerspruch. Die Springsteensche Botschaft lässt sich übersetzen und übertragen.
Es ist ein sattes Drei-Stunden-Konzert einer inspirierten 50+Kapelle.
Und sie hat berührende Momente - für mich halt, wie schon angemerkt, abseits der Pflichtfächer und abseits der ganz leicht für alle mitzupaschenden Stomper. Bei Outlaw-Pete z.B. hab ich echte Mühe die Banalität des Sounds wegzudenken.
Badlands (das womöglich von Terrence Mallicks großem Film inspiriert wurde), Darkness on the Edge of Town und Because the Night kommen aber durchaus emotionsstark daher.
Dann der lebendigste Moment der Show: Springsteen sammelt die Plakate und Poster mit den Wünschen der Fans in der ersten Reihe ein, hat viel Spaß dabei und pickt dann vier davon raus. Wenn diese Wishlist was aussagt, dann hat Wien alles richtig gemacht: zuerst Growing Up, seine Rebellen-Teenage-Ballade vom ersten Album, dann das herrlich ziellose Rendez-Vous, dann ein Cover von CCRs Proud Mary, und schließlich, am 5. Juli gut platziert, Sandy (4th of July).
Später wird die Band, die eigentlich abgehen und die Zugabe-Rufe erwarten wollte, eine junge Frau mit einem Jersey-Girl-Shirt zum Spielen dieses Tom-Waits-Titels animieren.
Mit Promised Land, The River oder Born to Run finden Springsteen und die E-Street Band wieder zurück ins Kathedrale, ehe es dann mit einem Block der Versöhnlichkeit endet.
Domestic Bruce auf Visite
Mit Popmusik im herkömmlichen Sinn hat die Feier auf freiem Feld wenig zu tun, auch nicht mit Rock oder sonstwas, eher mit dem Bestätigen eines Commitments.
Deswegen ist ein Einordnen des alten Herrn in eine in ihrer Innovation vibrierenden Popwelt auch obsolet.
Wobei es dann Domestic Bruce auch egal sein wird, wieviele dieser freundlichen Eingeborenen der alten Welt nachvollziehen können, was der Geschichtenerzähler aus der neuen Welt da eigentlich macht. Weil auch die bloße Akklamation dessen, was da an Energie ausgetauscht wird, schon ihren Wert hat.
Ich habe in den Tagen der Vorbereitung auf diese Prüfung am Rasen des Happel-Stadions wieder viel gelernt, nicht nur Auffrischendes über den alten Springsteen und ein paar Basics über den neuen, sondern vor allem wieder etwas über das Umfeld, die von Springsteen als unbarmherzig beschriebene Macht der Macht, die ja auch auf alles außerhalb des Zentrums, der USA, wirkt.
Sogar auf das Österreich, das ein Außen nicht brauchen mag.