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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

4. 7. 2009 - 19:57

Journal '09: 4.7.

2009 - Das Jahr, in dem Österreich kippt, Part 6. Die Post-Demokratie nach Žižek.

Slavoj Žižek ist ein schlauer Mann, ein im internationalen Philsophen-Publikations-Zirkel angesehener Kommentierer, Meiner und Kulturkritiker, der auch wegen seiner slowenischen Herkunft sowas wie praxisnähere Zuschreibungen erhält als seine Kollegen, vielleicht weil man jemandem, der zwar am Rande, aber doch in das Drama der jugoslawischen Bürgerkriege verwickelt war, ein Mehr an Relevanz zugesteht.

Auf einen seiner letzten Essays, ein am 29. Juni in der FAZ erschienenes Stück mit dem Titel Unser aller Freiheit hat mich Rainer Vesely (an dieser Stelle Dank dafür) mit dem Vermerk "interessant ist (neben anderem) der letzte absatz, der gut zu deiner blog-reihe passt", aufmerksam gemachst.

In "Unser aller Freiheit" denkt Žižek laut über das nach, was man als Mitteleuropäer aus der aktuellen Iran-Krise mitnehmen kann (oder soll oder muss) und sagt am Schluss folgendes: "Was immer passiert, es ist wichtig im Kopf zu behalten, dass wir Zeugen eines großen emanzipatorischen Ereignisses sind, das sich nicht in das Schema prowestliche Liberale contra antiwestliche Fundamentalisten fügt. Wenn wir auf Grund unseres zynischen Pragmatismus die Fähigkeit einbüßen, diese emanzipatorische Dimension zu erkennen, dann werden wir auch im Westen in eine postdemokratische Ära eintreten, bereit für unseren eigenen Ahmadineschad. Italien kennt bereits seinen Namen: Berlusconi. Andere stehen schon Schlange."

Postdemokratie, Telekratie, Watchdog-Regimes?

Nun ist der Begriff der Postdemokratie an sich noch ein wenig vage definiert, orientiert sich allzusehr an bereits bestehenden Strukturen, anstatt sich an künftigen Anforderungen des "politischen, repräsentativen Marktes" zu orientieren. Mir war der Terminus zu uneindeutig, um damit das, was ich in der von Rainer angesprochenen Reihe meine, so zu benennen, weshalb ich den ein wenig deutlicheren, natürlich auch pathetischen Begriff der Security-Demokratie gewählt habe. Und da ist auch ein wesentlicher Unterschied zu dem, was den Berlusconismus in Italien ausmacht: Dort geht es um eine weniger ideologische als vielmehr an Gewinnen interessierte Telekratie, während das, was ich für die nächsten österreichischen Jahre befürchte, sich hauptsächlich an einer zwar nicht wirklich politischen, aber sich für politisch haltenden Bewegung orientiert, die alte Vorurteile, unaufgearbeitete Demokratie-Defizite und neue, künstlich geschürte Ängste dazu nützt, die Exekutie in die Hände von Watchdogs auszulagern.

Die Žižek-Zeilen haben mich deshalb verblüfft, weil er den "zynischen Pragmatismus" anspricht, der ein Verhinderer des Erkenntnisgewinns wäre. In diesem Fall aus dem, was in Teheran passiert, sonst aber bei allem, was eine Betrachtung und Nachdenken wert wäre.

Dieser zynische Pragmatismus findet sich z.B. in dem, was Ulrich Stock in einer ungemein gelungenen Reportage anlässlich Linz 09 in der letzten Ausgabe von Die Zeit (Nr. 29, Der Stahl, der Staub und die Kunst von der seltsamen, medial unglaublich verengten Welt erzählt, die einen hier umfasse, "einer Welt (...), die vor allem aus OÖ besteht - dem wohlhabenden Oberösterreich und seinen, global betrachtet, Problemchen".

Dasselbe gilt natürlich auch für ganz Österreich.
Und genau diese Enge wird der Genickbrecher der österreichischen Demokratie werden.

Weils angesprochen war: die iranische Medien-Revolte

Die hinterlässt mich trotz Žižeks klarer Ausführungen durchaus ratlos.
Nicht nur, weil ich bezweifle, dass die Beschäftigung damit über Gags wie die Soli-Aktion, seine Facebook/Twitter-Bildchen grün einzufärben, und vielleicht noch über Nebenaspekte wie die Zurkenntnisnahme des Funktionierens der Bildmacht des weltweit nicht zu zensurierenden Netzes hinausgegangen ist.

Sondern auch, weil ich mich scheue, die mir sofort in den Sinn kommenden Paralellen auszuführen.

Es ist nicht zu übersehen, dass die Konfrontation, dass die Bruchlinien zwischen der konservativen, religiös-fundamentalistischen Landbevölkerung und der besser ausgebildeten und am globalen Markt orientierten urbanen Bevölkerung verlaufen. Dass diese Offensichtlichkeiten aber wirklich mit hiesigen Verhältnissen vergleichbar wären, mag ich nicht glauben - und Žižeks Text, der die Rolle von Mussawi aus der recht simplen Punzierung, der er in hiesigen Medien bekommen hat, herausarbeitet.

Ob es sich tatsächlich, wie Žižek betont, um einen "genuinen Volksaufstand" handelt - wie soll das angesichts einer höchst unklaren Informations-Lage feststellbar sein?

Die Ansage, dass Ahmadineschad "nicht der Held der armen, islamistischen Bevölkerung, sondern ein korrupter, islamo-faschistischer Populist, eine Art iranischer Berlusconi, dessen Mischung aus Clownerie und rücksichtsloser Machtpolitik selbst bei der Mehrheit der Ajatollahs Unbehagen erzeugt", ist, lässt sich eher auch von außen nachvollziehen.

Systemerhaltung vs. Systemerneuerung

Auch weil Žižek die Hintermänner der Repression und Machtzentren deutlich anspricht: eine starke Klasse der neuen Reichen, das Resultat eines korrupten Regimes - Irans Revolutionswächter sind keine Arbeitermiliz, sondern ein Großunternehmen und das Zentrum des Wohlstands.
Samt "sehr verwestlichtem PR-Apparat."

Immerhin hat der Widerstand gegen dieses System darin gemündet, dass ein erklecklicher Teil der Weltbevölkerung es jetzt als korrupt und autoritär erkannt hat.

Die Bedrohung, die Österreich in den nächsten Jahren bevorsteht, versucht diesen Erkenntnisgewinn zu umgehen. Man arbeitet da vielmehr drauf hin, dass ein von der Koalition der an "Stabilität" Interessierten sich die Security, der man dann die grauslichen Jobs überantwortet, selber herbeizuruft.

Das ist viel weniger klassisch als die noch halbwegs nach nachvollziehbaren Mustern ablaufende Teheran-Chose. Und da braucht es eine Menge Žižeks, die da Erkenntnis-Arbeit leisten.