Erstellt am: 3. 7. 2009 - 16:21 Uhr
Gut gelaunte Fiesheit
Der Mann, der derzeit in dem zweiteiligen Gangsterepos "Public Enemy No1" durch die Kinos wütet, gehört zur beneidenswertesten Schauspieler-Kategorie.
Wie manche berühmte US-Kollegen genießt Vincent Cassel die Freiheit, zwischen purem Unterhaltungskino und Rollen in künstlerisch avancierten Streifen wählen zu können. Und er nützt diese Möglichkeiten auch.
Vergleichbar mit Brad Pitt, Christian Bale oder Viggo Mortensen pendelt Cassel begeistert zwischen gegensätzlichen Welten. Mit Mainstreamschockern wie "Le pacte des loups" (Pakt der Wölfe) wurde er in Frankreich zum Kassenmagneten. Wirklich aufgefallen, wohl nicht nur mir, ist er aber mit Rollen in kontroversiellen Indie-Produktionen.
Der vielleicht intensivste Auftritt von Monsieur Cassel findet sich in Gaspar Noés erschütterndem Kinoexperiment "Irréversible". Als von Schmerz und Wut zermalmter Rächer tobt er in dem Streifen durch das Pariser Nachtleben, vor allem in den stillen Momenten wird er aber zum Symbol für männliche Arroganz, Ignoranz und Blindheit.

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Gockelnde Poseure der Gewalt, eitle Durchgeknallte, manische Großmäuler, so könnte man überhaupt viele Charaktere beschreiben, mit denen sich Cassel einen Namen machte.
Ob als cholerischer Polizist in "Les rivières pourpres" (Die purpurnen Flüsse), als berüchtigter Trickdieb in "Oceans Twelve" oder als psychedelisch angehauchter Revolverheld in "Blueberry": Die Figuren, die Cassel zum Leben erweckt, sind weit von der Vernunft entfernt, aber ganz nahe an der Gewalt dran.
Auf den ersten Blick passt zu dieser Abonnierung auf Enfant Terribles auch die Biografie des Darstellers. Der Sohn der französischen Unterhaltungsikone Jean-Pierre Cassel revoltiert als Kind angeblich vehement gegen sein großbürgerliches Umfeld. Immer wieder wird er von einem Internat ins nächste versetzt, die Eltern wehren sich gegen eine Schauspielerkarriere.
Aber Vincent Cassel geht seinen Weg, flüchtet in die USA, studiert am renommierten Actors Studio. Die ersten Schritte ins Kino wagt er in vernachlässigbaren romantischen Komödien. Schon bald kristallisiert sich aber seine Faszination für bestimmte überhitzte, gefährliche Figuren heraus.

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Ende der Achtziger lernt Cassel dann seinen langjährigen partner in crime kennen, den Regisseur und Schauspieler Mathieu Kassovitz.
Zusammen erregen die beiden 1995 mit dem Banlieue-Drama "La Haine" (Hass) enormes Aufsehen. Der Film, der erstmals die katastrophalen Zustände in den Pariser Vorstadt-Ghettos in aller Drastik aufgreift, begreift sich als Bruch zu einer langen französischen Zelluloid-Tradition.
Cassel und Kassovitz zählen zu einer Generation, die nicht mit Marx, Mao, Godard und Truffaut sozialisiert wurde, sondern mit Punk, Pop und Hip Hop gleichzeitig. Sowohl die Ideologie der Nouvelle Vague als auch deren formale Mittel sind den grellen Bilderstürmern fremd.
Konsumkult und anarchische Slogans, Entertaiment und Provokation, Mainstream und Underground, all das geht stattdessen für Cassel und Kassovitz ebenso locker zusammen wie für ihre Zöglinge und Gesinnungsgenossen Alexandre Aja, Pascal Laugier oder Alexandre Bustillo.
Dass dieser brisante Mix auch ganz leicht in einer Sackgasse enden kann, beweisen etliche Filme, in die Vincent Cassel nach "La Haine" involviert ist. Mit aufgepimpten Thrillern wie "Dobermann" wird der Pariser zum Posterboy eines protzigen Testosteron-Kinos, das sich in postmodernen Genre-Referenzen erschöpft.

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Aber Cassel kann viel mehr, wenn ihn Regisseure fordern, das beweist er nicht nur im erwähnten "Irréversible". Ganz großartig torkelt er auch als verkorkster russischer Mafiasprössling durch David Cronenbergs meisterhaften Thriller "Eastern Promises" (Tödliche Versprechen).
"Public Enemy No. 1", die Biografie des berüchtigten Jacques Mesrine, dürfte nun wohl zu einer Visitenkarte des Vincent Cassel für weitere große Rollen werden. Der Pariser nimmt den etwas zwiespältigen Streifen sozusagen darstellerisch in Geiselhaft, liefert eine physische Tour de Force, die im Gedächtnis bleibt.
Dabei distanziert sich der mittlerweile 43-jährige Cassel privat gänzlich von seinem rebellischen Image, gibt sich stets gutgelaunt, liefert kaum Schlagzeilen. Demonstrativ harmonisch wirkt die Ehe mit der Schauspielkollegin Monica Bellucci.
Die Abgründe liebt er nur in seinem Beruf. Vincent Cassel verehrt visionäre, verstörende und oft brachiale Filmemacher. Und das macht ihn umgekehrt zu einem der spannenderen europäischen Stars.

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