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Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

2. 7. 2009 - 18:36

Am Tag, als Nina Simone aufhörte zu singen

Darina al-Joundi erinnert sich an ihre Kindheit und Jugend im kriegsgebeutelten Libanon.

Ganzkörperaufnahme schwarz-weiss der Autorin

roger moukarzel/bertelsmann

"Ich wollte nicht länger im Dorf bleiben. Ich fuhr nach Beirut zurück. Abends hatte ich Lust auszugehen... Ich bin ins Babylone, habe mir eine Bloody Mary ohne Alkohol bestellt und dem DJ ein Zeichen gegeben, "Sinnerman" von Nina Simone aufzulegen, dann bin ich auf die Tanzfläche."

Nina Simone, die große US-Sängerin ("My Baby Just Cares For Me"), verstummte am 21. April 2003 für immer. In den Erinnerungen der in Paris lebenden, aus dem Libanon stammenden Autorin Darina al-Joundi hörte Nina Simone aber schon viel früher auf zu singen: als im Libanon der Bürgerkrieg begann (1995-1990). Nina Simone war die Lieblingsstimme ihres Vaters, eines syrischen Intellektuellen, der in den Libanon gegangen war. Ein Freigeist, der zuhause in Beirut die Töchter schon im Kindesalter vom Rotwein kosten ließ, und der eben lieber Nina Simone hörte als traditionelle arabische Musik. Es handelt sich hier also nicht etwa um eine Biografie von Nina Simone, sondern um Kindheits- und Jugenderinnerungen in Beirut, die sich wie ein Roman lesen.

Beirut, mon amour

"Die Straßen waren menschenleer... und in der Ferne bellten Hundemeuten, die längst mit Menschenknochen im Maul durch die Gegend liefen. Ich folgte meinen Schwestern in eine Gasse, an deren Ende wir ein altes Haus entdeckten, das auch Bombenschäden aufwies, doch da war ein großer Garten und darin ein breites Becken mit modrigem Wasser. Wir sind zu dritt hineingesprungen... wir hatten die Haare voller Algen, aber wir waren so glücklich wie nie unter dem freien Himmel von Beirut."

Trotz allem eine Art Normalität zu bewahren, das versuchten Darina, ihre beiden Schwestern, ihre Mutter die Radiomoderatorin, und der Vater, der Journalist, der keinen Unterschied machte zwischen Muslimen, Christen und Juden, Religion niemals als Zwang betrachtete, sondern sich vielmehr zum Atheismus hingezogen fühlte.

Buchcover

C. Bertelsmann

"Bei uns zuhause waren nur wenige Dinge absolut heilig: eine Olivenholzstatuette von Che Guevara und eine Ikone der Jungfrau Maria, die ein Mitglied der kommunistischen Partei der Sowjetunion meinem Vater geschenkt hatte."

Die Zeit des Bürgerkriegs, ein Thema in der libanesischen Literatur, dem sich Darina al-Joundi nicht als erste annimmt. Hoda Barakats "The Stone of Laughter" etwa spielt ebenfalls zu dieser Zeit. Ihre Geschichte, die - außergewöhnlich für Literatur aus dem arabischen Kulturkreis - einen schwulen Hauptprotagonisten hat, wurde leider nicht ins Deutsche übersetzt, so wie Einiges aus der Libanesischen Literatur nur französische und englische Übersetzungen hat.

Keine Angst muss man bei Darina al-Joundi vor der oft schwülstigen Sprache von Büchern aus dem arabischen Raum haben, denn sie kommt in "Der Tag, an dem Nina Simone aufhörte zu singen" nicht wirklich zum Einsatz. Ganz im Gegenteil, ihre Bilder sind - der beschriebenen Realität angepasst - oft harsch und von brutaler Offenheit.

"Sie schleiften mich dreimal im Kreis über die ganze Tanzfläche. Die Leute taten so, als sähen sie mich nicht... all die Freunde, die ich seit 20 Jahren kannte, ich existierte nicht mehr, sie stiegen einfach über mich hinweg und tanzten weiter zur Musik von Nina Simone."