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Pamela Rußmann

Brennend leben: Das Große im Kleinen erkennen

3. 7. 2009 - 11:08

Sex, Sun und Gatsch

Einer der größten Festival-Irrtümer ist: Die Menschen sind der Musik wegen da.

N. ist Single und hat einen Auftrag. Das Ziel des Auftrages ist es, bei einem der größten Musikfestivals des Landes dem Klima Widerstand zu leisten und mit einem kreativen Textilsparprogramm im richtigen Moment sexy auszusehen. Nämlich dann, wenn sie im Getümmel rhythmisch wippt. Sie hat sich bei der Meisterin der lasziven Coolness, Kate Moss, abgeschaut, was für diesen Auftrag als Grundausstattung vonnöten ist: klobige Gummistiefel, nacktes Bein bis knapp zur Schamhaargrenze, strapazfähiges Obermaterial, das bei Bedarf eine nackte Schulter freilegt und eine Handtasche, die auch einer Red Carpet-Situation würdig wäre.

Be my, be my, be my little rock 'n' roll queen

© James Thew - Fotolia.com

Einer der größten Festival-Irrtümer, dem ich bis zu meinem ersten Arbeitseinsatz bei einem Musikfestival anno 1998 erlegen war, ist: Die Menschen sind der Musik wegen da.
Ich – ahnungslos in Cargo-Hosen, ausgeleiertem T-Shirt und ausrangierten Sneakers – wurde damals bereits bei der Ankunft eines besseren Dresscodes belehrt. Die wie Ameisen dem Festivalgelände zuströmenden Menschenmassen trugen nicht nur Zeltstangen, nackte Sixpacks und Bierkisten, sondern auch goldige Zehensandalen, High Heels und Ausgeh-Makeup. Hallo Fräulein Naiv – this is not about music! At all!!

Flirtfaktor Festival:
Mirjam Unger und Esther Csapo widmen sich in der FM4 Sommerrevue (jeden Samstag, 13-17 Uhr) in der schmutzigen Stunde zwischen 15 und 16 Uhr der Frage "Wie erotisch sind Festivals?". Eure Anekdoten sind gefragt - entweder direkt hier ins Forum posten oder live in der Sendung anrufen - 0800 226 996.

Und tatsächlich bietet so ein Wochenende, an dem der lästige Panzer des Alltags abgestreift wird, unzählige mehr oder weniger originelle Anbahnungs- und Austragungsmöglichkeiten. Es beginnt bereits bei der Anreise. Die umweltschonende Variante mit den muffigen Garnituren der ÖBB besitzt den Bonus, dass man entspannt durch die Gänge der Großraumabteile streifen kann und so bereits im Vorfeld den einen oder anderen Love Interest erspäht. Wer hingegen lieber individuell flexibel mit dem Privat-PKW fährt, muss erst auf einen Stau, Pannengeplagte oder Autostopper hoffen, um die Kommunikation mit der Welt außerhalb der Blechbüchse zu initiieren.

Die Gesetze der Annäherung sind bei einer Massenveranstaltung insofern anders als im Alltag, als man selten vorm Fluc ein Zelt aufbaut, um dort zu übernachten. In der wilden Natur hingegen drückt die Post-Feministin schon mal ein Auge zu und regrediert zusehends, je näher der Moment des Heringrammens kommt. Ein gehauchtes „Könntest du mir vielleicht kurz helfen?“ mit Blick auf Materialchaos zu Füßen würde uns im echten Leben nie rausrutschen, hier jedoch wirkt es schlichtweg unwiderstehlich, und ein Bierchen in Aussicht zu stellen, hat auch noch nie geschadet. Die allermeisten Affären würden ohne ein paar Gläser Alkohol nie kickstarten - dieses Gesetz gilt ausnahmsweise hüben wie drüben.

On the bed, on the floor, on a towel by the door, in the tub, in the car, up against the minibar

Der Vorteil eines Musikfestivals ist zweifelsohne die geballte Präsenz ausgflippter Menschen mit unendlicher Partykondition. Der Nachteil: Einsame Plätzchen für Schäferstündchen sind ein rares Gut. Diejenigen, die per se nicht so sehr auf Performances in front of an audience stehen, müssen sich entweder wildromantisch einen Schlafsack teilen, furchtlos in die Büsche springen (Zeckenimpfung auffrischen nicht vergessen!) oder sich in die wartenden Nachtschiffe der Bands schleichen (geht an sich leichter, wenn man vorher ein Bandmitglied aufreißt). Abzuraten ist sexuelle Konfrontation in einem Dixie-Klo: Auch wenn's noch so schön nach Erdbeere riecht, man muss letztendlich immer damit rechnen, während des Ganzkörpereinsatzes mitsamt dem Kobel umzuknacken. Spätestens dann ist die Frage „Wie konserviere ich meine Schönheit für 72 Stunden?“ obsolet.

Salz auf unserer Haut

Dirty Hour, einen Sommer lang: Die Kolumne zum Liebe, Sex & Zärtlichkeits-Talk in der FM4 Sommerrevue. Jeden Freitag hier unter diesem Namen.

Apropos enge Räume: Liebe Pärchen, auch wenn Ihr noch so sehr von Eurer symbiotischen Liebesbeziehung überzeugt seid – ein gemeinsamer Festivalbesuch in einem herzigen, aber winzigen Iglu ist ein Minenfeld von der Größe Neufundlands. In einer Extremsituation wie dieser, die wir uns gerade heftig imaginieren, lernt man nicht nur sich selbst von einer neuen Seite kennen. Das wäre ja vielleicht noch zu schaffen. Aber auch den Partner. Da wird aus einem ursprünglich als liebenswert empfundenen, losen Verhältnis zur Körperhygiene eine Ekelthematik, an deren Ende die Infragestellung der gesamten Beziehung stehen könnte. Ja, ich wage zu behaupten, dass auf Festivals ebenso viele Beziehungen in die Brüche gehen wie neue entstehen. Ich werde es mir von N. dann erzählen lassen.