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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

2. 7. 2009 - 20:00

Fußball-Journal '09-52.

Wie ein Nachwuchs-Konzept Früchte bringt. Unter besonderer Berücksichtigung des immer noch zu schwach ausgeschöpften migrantischen Potentials.

Nach der (matten und wenig erfolgreichen) WM-Teilnahme 1998 setzte sich der Verband zusammen und ortete die Problemzonen, etwa die, dass das gescheiterte Team einen Altersschnitt von über 30 hatte.
Man installierte also 1999 ein umfassendes Förder-Programm für Verband, Vereine, Bundesliga und Nachwuchs-Mannschaften, mit den Schwerpunkten auf bundesweitem Scouting und spezieller Berücksichtigung der migrantischen Talente.
Zehn Jahre später hat der Verband die europäischen Trophäen der U17, der U19 und (seit Montag) der U 21 in der Vitrine stehen.

Ja, es handelt sich um den DFB, um den deutschen Nachwuchs.
Was habt ihr denn geglaubt?

Deutschland ist Nachwuchs-Europameister

Obwohl: so schlecht steht es um den ÖFB-Nachwuchs ja gar nicht. Der kann auch seit etwa 10 Jahren auf bessere Strukturen verweisen, keine Frage, da hat sich viel bewegt. Aber in zentralen Fragen ist der ÖFB, der sich da, wie so oft, nicht auf die indifferente Liga stützen kann, immer noch hinterdrein.

Interessant ist es aber allemal zu ergründen, was die Deutschen da richtig gemacht haben. Und es fallen vier Punkte auf.

1) die gezielte und nicht personalwechselabhängige Schwerpunktsetzung
2) das gezielte und nicht personalwechselabhängige Scouting
3) lebenslange Lernpflicht
4) das gezielte Schlaglicht auf den migrantischen Nachwuchs

Denn: auch wenn die handelnden Akteure wechselten (so ist zb Matthias Sammer erst seit 2006 beim DFB, allerdings schon seit 2000 in Nachwuchs-Pläne eingebunden) - die Pläne wurden klaglos fortgeführt.

Die österreichische Tradition bei jedem Personal-Wechsel erst einmal wieder bei Null zu beginnen, alles, was davor war schon aus Prinzip abzuschaffen, behindert sowas wie eine Arbeits-Kontinuität massiv.

Der lebenslange Hrubesch

Das hängt auch mit Punkt 3 zusammen.
Horst Hrubesch, aktuell U21 und U19-Europameister als Trainer (im Herbst dann auch noch U 20-EM-Teilnehmer...) war Anfang der 90er zuerst Assi, dann Interimstrainer bei Wacker Innsbruck, und Mitte der 90er Kurzzeit-Coach bei der Austria Wien. Bei beiden Stationen hinterließ das ehemalige Kopfball-Ungeheuer den verheerenden Eindruck eines Luftikus, der sich ausschließlich auf Improvisation und seine Erfolge als Spieler verlassen will.

Nach der Austria war der Europameister dann (zurecht) in der Versenkung abgetaucht und heuerte 98/99, also just in der Umbruch-Phase, beim DFB an.

Dort passierte dann etwas, was Sammer zur Aussage von Hrubesch als "Prototyp des lebenslang Lernenden" veranlasst hat. "Hotte" ist zwar weiter der Lässige, der auf seinen Charme und den guten Zugang, den er zu Spielern aufbauen kann, zurückgreifen kann. Dazu kam aber die seriöse Beschäftigung mit all dem Zeug, das nicht durch Luft und Liebe und heftigem Antichambrieren mit den Medien (also der Matthäus-Methode) zu erwerben ist; vor allem im Scouting erwarb sich Hrubesch Anerkennung. Er gilt als vielreisender Schnellfahrer und Strafzettelsammler im Dienste der andauernden Spieler-Beobachtung; er gilt als geschickter System-Mischer und mittlerweile als fleißig.

Der Zsakismus ist kein Schicksal!

Um Lernunwilligkeit nicht allein an Manfred Zsak festzumachen: ein anderer Verweigerer und Selbstdarsteller wurde jetzt in die Wüste geschickt; von sich selber. Klaus Lindenberger bekommt einen Alibi/Protektions-Job als Tormann-Trainer bei Hickersbergers El-Wahda.

Das erzähl' ich nur, weil es illustriert dass der Zsakismus kein Schicksal, sondern höchst vermeidbar ist. Und dass die unter Österreichs junger Trainergarde und leider auch der jungen ÖFB-Trainerschar verbreitete Ansicht, es reiche ein guter Spieler gewesen zu sein, um einen Job zu ergattern, zwar realpolitisch stimmt, aber kein natürlicher, unveränderbarer Zustand ist. Schon gar keiner, wenn es drum geht, erfolgreich zu arbeiten.

Und so ist auch Andreas Herzogs Gebelle über die Hättiwari-Qualität der heimischen U21 (eine im übrigen krasse Fehleinschätzung der Leistungsfähigkeit, die auf ein erstaunlich schiefes Selbstbild hinweist) nur das des Fuchses in Bezug auf die sauren Trauben.

Gerade in Punkto Scouting schaut's nämlich hierzulande immer noch zu mager aus. Wenn sich Didi Constantini medienwirksam beim Trainingslager von Spartak Moskau (Stichwort: Martin Stranzl) abfilmen lässt, das zufällig in seiner Tiroler Heimat stattfindet, und das dann als tollen Einsatz verkauft, dann hat das was von der Tschesolo-Beweglichkeit früherer Teamchefs. Und - negative - Vorbildwirkung.

Die Kader der U16, U17 werden allzu oft nach reinem Hörensagen zusammengestellt, das für unsereinen vielleicht reicht, für einen Verband-Verantwortlichen aber nicht. Und für einen Verband, der sich ein ernsthaftes Jugendförderungs-Programm an die Fahnen heftet, schon gar nicht.

Denn natürlich ist die Meinung der Akademien-Leiter, der BNZ-Trainer oder LAZ-Coaches wichtig - aber ein zweiter, unvoreingenommener und vor allem bundesweiter Blick schadet nicht. Im Gegenteil.

Die Migranten-Falle

Und da schließt auch die größte Baustelle des nicht vorhandenen Jugend-Konzepts des ÖFB an: bei der Beurteilung und Einschätzung junger Spieler durch Trainer einer immer noch zu alten Schule.
Der Bruch zwischen den Lebenswelten der Herzog/Heraf-Generation zu den jetzt 11 - 21jährigen ist einfach zu riesig um ihn für unwichtig zu erklären.
Aber während haltlose Schwachheiten wie die Generation Playstation-Sprüche des Constantini sich nach einem Trainingslager mit den jungen Buben eh in Luft auflösen, ist das Problem im Nachwuchs-Bereich substanzieller.

Da kommt nämlich zur Generations-Schwelle auch noch eine Kultur-Schwelle dazu. Die der österreichischen Trainer dem migrantischen Nachwuchs gegenüber. Praktisch gesprochen: die Ex-Kicker/Jetzt-Trainer der alten Schule können mit den Yugo- und Türken-Jungs nichts anfangen.

Da gehts nicht um offensiven Rassismus, sondern um ein prinzipielles Verständnis einer anderen Denke, auch einer anderen Fußball-Philosophie. Und da wird im Nachwuchs enorm viel vergeigt. Da werden die familiär ganz anders sozialisierten Rotzlöffel aus der Vojvodina oder Antalya so behandelt wie die Locals.

Die praktischen Beispiele

Arnautovic oder Korkmaz belegen das eindrücklich: beide sind komplett durchs ÖFB-Jugendscouting durchgerutscht, weil sie schon im normalen Nachwuchs-System durchgefallen sind. Wer will sich mit einem viel zu kleinen, früher wohl auch zu schmächtigen, eigensinnigen Käfig-Dribbler beschäftigen, wer setzt sich gerne mit einem arroganten Trickser-Lulatsch, der alle Regeln bricht und immer das Unerwartete macht, auseinander?
Kein Jugendcoach in keiner Liga. Auch schon dort geht es um Normierung, um Berechenbarkeit um eine falsch verstandene Mannschaftsdienlichkeit.

Wiewohl es genau diese Typen sind, die später den Unterschied ausmachen.

In Holland etwa wird beides gepflegt: man legt sowohl Wert aufs Individual-Training als auch Wert auf die Teamfähigkeit. Bei den holländischen Groß-Klubs, die alle strenge Systeme spielen, verlangt man, dass jeder Spieler zumindest zwei Positionen dieser Systeme einnehmen kann. Dort wird Mannschaftsdienlichkeit mit Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit gekoppelt, anstatt wie hierzulande mit dem Kuschen - deswegen funktioniert auch ein Arnautovic dann bei Twente recht klaglos.

zb: die Tosuns

Ein weniger augenscheinliches Beispiel für das Problem: die Tosun-Brüder, Cem und Cemil (Cousins von Turgay Bahadir) bei Rapid. Zwei Jungs türkischer Herkunft, 19 und 22, 1m79 und 1m83, Defensivspieler vom Typus Cannavaro bzw de Rossi, haben das Jugendsystem bei Rapid gut durchlaufen, sind damit Ausnahmen und durchaus privilegiert, bleiben aber jetzt stecken.

Warum?

Weil die Coaches auf ihren Positionen andere kulturelle Maßstäbe haben, anders konditioniert, anders geprägt sind und kein Korrektiv das geraderückt. Der Rapid-Innenverteidiger etwa darf nicht spieleröffnend oder gar integrativ spielen, er muss die Bälle wegdreschen, wie es Patocka oder Hiden halt tun, wie es Hannes Eder, der bei Wacker schon einmal mehr konnte, auch wieder tut. Ein Cannavaro-Typus, ein Tosun-Bruder, der unter 1m80 ist hat da keine Chance, weil er nicht ins (längst überholte) Muster passt.

Und mit diesen und vergleichbaren Problemen kämpfen eine Menge türkischer Jungs, die körperlich nicht den althergebrachten Ansprüchen entsprechen - wiewohl es aktuell gerade die U-1m80 sind, die die Fußball-Welt beherrschen.

Anstrengend halt

Und ja, natürlich ist das eine Parallele zur tatsächlichen Integrations-Politik, auch hier drückt man sich vor einer tatsächlichen "anstrengenden" Beschäftigung und lässt alles nur fließen.

Die aber, die Dribbler, die jugendlichen Schmächtis, die anstrengenden Ideenhaber, die das Unerwartete beherrschen, die wurden und werden von einem Badeschlapfen/Ex-Spieler/Nichtslernenwoller-Coaching-System weggeputzt, weil sie zu "anstrengend" sind. Dabei ist es nur anstrengend sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

In Wahrheit anstrengend ist das redundante System.

Die deutsche U21 wurde von Mesut Özil und Sami Khedira angeführt. Jérôme Boateng war die Neuentdeckung in der Innenverteidigung, Ashkan Dejagah oder Änis Ben-Hatira werden sich, wenn der DFB Pech hat, wegen des Überangebots vielleicht sogar für die Länder ihres Zweitpasses entscheiden - aber eine erfolgreichere Integrationsarbeit als die deutsche gibt es aktuell nicht. Die vormals federführenden Holländer oder Franzosen können da grade nicht mithalten.

Wie man mit Niederlagen kreativ umgeht zeigt die englische Presse (in dem Fall die Times), die nach der Final-Niederlage des Teams von Stuart "Psycho" Pearce schrieb: "Let us look on the bright side. At least these England players will not be burdened with a daft tag like the Golden Generation."

Und in Österreichs aktueller U21 ist (nach ein paar guten Jahren) grad wieder ein Loch auszumachen, in dem eine Menge Talente mit Einwanderungs-Background verschwunden sind.

Dazu braucht es aber einer wirklichen Ansage, eines echten Plans, der dann auch generalstabsmäßig umgesetzt wird; und eines Bewusstseinswandels im Jugend-Coach-Bereich. Dazu wären ein paar Trainer mit ebenfalls migrantischem Background nicht so schlecht.

Es muss ja nicht in die Forderung nach Euro-Titeln ausarten. Aber die aktuelle Situation (vor allem im aufgelegten Vergleich mit den Nachbarn) zeigt, wo anzusetzen wäre.