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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

30. 6. 2009 - 20:00

Fußball-Journal '09-51.

Diskussions-Kultur. Ein Gast-Kommentar für die VdF.

Dieser Gast-Kommentar ist in der gestern verschickten Zeitschrift der Fußballer-Gewerkschaft VdF, dem vierteljährlichen Spieler unter der Rubrik "Speakers Corner" erschienen.

Im selben Heft erscheinen auch die 23 Thesen für den österreichischen Fußball der heimischen Gewerkschafter, die bereits im Mai präsentierten wurden.

Dieser auf Einladung der VdF verfasste Kommentar bezieht sich an sich auf die Anfang Juni präsentierte Aufbläh-Reform des Profi-Fußballs (mit einer 16er-Liga als zweiter Profi-Klasse, die dann letzte Woche wieder abgeblasen wurde und basiert auf den denkbar schlechten Kennzahlen, die der heimische Fußball aktuell aufweist, spricht aber die prinzipielle Problematik dahinter an.

Diskussions-Kultur

Die 23 Thesen der VdF fanden unlängst Erwähnung in der "Kronen Zeitung".
Peter Linden fragte sich dort laut, wie es nur sein könne, dass eine Spielervertretung im Rahmen einer Umstrukturierung des österreichischen Fußballs für „die Abschaffung von Arbeitsplätzen“ eintreten könne.

Dieser Denkansatz ist dem Krone-Urgestein nicht zum Vorwurf zu machen: die strenge Befehlskette in der Muthgasse erlaubt es nicht, dass sich jemand außer dem Chef Gedanken macht und eigenständige Modelle entwickelt – Strukturen müssen unhinterfragt übernommen, Order exekutiert werden.

Das ist auch auf dem Gebiet, das Linden journalistisch seit Jahren höchst erfolgreich beackert, dem heimischen Fußball, ziemlich genau so: problematische Strukturen zu hinterfragen gilt als Pfuigack; ÖFB, Liga, Vereine heulen dann gerne unisono auf und holen entweder die Nestbeschmutzer-Keule hervor oder singen die „Wollt-ihr-uns-denn-ruinieren?“-Arie; um sich dann zufrieden auf einen zutiefst nichtzufriedenstellenden Status Quo als Nummer 35 (Nationalteam) bzw. 20 (Vereine) in Europa zurückzuziehen.

Cover der VdF-Zeitschrift "Spieler"

spieler

Das hat über die letzten Jahre dazu geführt, dass es so ziemlich gar keine Diskussions-Kultur gibt; dass Vorschläge und Ideen maximal Anlass für Diffamierung oder gezieltes Lobbying bieten, das man hinter jedem neuen Ansatz eine gegnerische Seilschaft vermutet und deshalb alles blockiert, was frischen Wind bringen kann.

Österreichs Fußball-Kultur hat, ebenso wie im sportlichen Bereich, wo in den 80ern und 90ern der Anschluss ans internationale Level verloren wurde, den Umstieg von der alten Schule der Honoratioren und Herrenbauern ins 21. Jahrhundert, in dem Fußball ein Geschäftsmodell mit gesellschaftlichem Mehr- und Nährwert darstellt, verpasst.

Die österreichische Fußball-Dauerkrise ist eine Krise ihrer längst nicht mehr zeitgemäß agierenden Funktionäre.

Das war zuletzt in einer der schwärzesten Stunden, einer komplett aus dem Ruder laufenden ÖFB-Präsidiums-Sitzung, die die Zukunft des österreichischen Liga-Fußballs regeln sollte und dabei schwer versagte, deutlich sichtbar.

Auch dort wurde hauptsächlich auf der Basis von Nicht-Wissen und Informations-Unterdrückung gearbeitet, mit dem fatalen „Bauchgefühl“ der Funktionäre und Einflüsterer. Und das hat wiederum mit dem Herrschafts-Denken zu tun, dass auch im anfangs zitierten Vorwurf von Peter Linden zu spüren ist. Das nämlich schon allein das kreative Nachdenken über die Strukturprobleme des Vereins-Fußballs ungehörig ist.

Wenn sich die österreichischen Fußball-Gewaltigen weiterhin einer funktionierenden Diskussions-Kultur verweigern, wird der heimische Fußball den Katzentisch, den er international mit einem mitleidigen Lächeln zugewiesen bekommt, nie mehr verlassen.

Bonustrack

Updates zur Lage immer hier.

Da die 23 Thesen im selben Heft thematisiert werden und da die Fußballer selber über den "Pseudoprofessionalismus in der Ersten Liga" Bescheid wissen, konnte ich in diesem Kommentar einiges vorraussetzen.

Deshalb für alle nicht im Detail Informierten: in der aktuellen 1. Liga wird mit ein paar Ausnahmen eine seltsame Art des Halbprofessionalismus exerziert. Bei St.Pölten etwa sind einige der (vor allem jüngeren und lokal ansässigen) Akteure halbtags bei Stadt oder Land NÖ beschäftigt. Auch das größte Talent des Vereins, der 1.Liga-All Star Lukas Thürauer, hat so einen Job samt Ausbildungs-Chance, falls aus der Karriere nix wird.
Bei anderen Vereinen erledigt das dann ein regionaler Mäzen.

Die Kluft zwischen den tatsächlich im Profi-Modus agierenden Vereinen (aktuell nicht mehr als 14) und den Dahinwurschtlern wird größer, weshalb sowohl eine Reduktion der Bundesliga (die derzeit zwei Profi-Ligen a 10 Vereine unterhält) als auch eine Neudefinition des Berufsbilds Fußballer (These 5) dringend nötig sind.

Es gibt sogar Stimmen, die eine geschlossene Profi-Liga ohne Auf/Abstieg aus dem Halb-Profi/Halb-Amateur-Bereich nach holländischem Vorbild für die einzige Rettung aus der Krise halten (ich gehöre dieser Fraktion im übrigen nicht an), weil so dem Pseudo-Professionalismus in den unteren Klassen der Garaus gemacht werden kann, aber das wäre wieder eine andere Debatte.