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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

29. 6. 2009 - 22:01

Journal '09: 29.6.

2009 - Das Jahr, in dem Österreich kippt, Part 5. Etwas zur Ausrede der machtlosen Politik.

Anstoß war das Mail einer Freundin, die eine Veranstaltung, bei der Robert Misik mit dem deutschen Ökonomen Heiner Flassbeck diskutierte, besucht hat. Thema am Rande war auch etwas, was zuletzt immer wieder in die Argumentations-Schleife der Polit-Frustration eingeflossen war: Die Kapitulation der Politik vor den wirtschaftlichen Zuständen.
Flassbeck ist einer derjenigen, die der Politik ihre mangelnde Kenntnis rund um gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge durchaus zum Vorwurf machen.
Sicher zurecht.

Das, was in der aktuellen Suche nach Gründen für den demokratiepolitischen Niedergang dabei überbleibt und gerne im Werteverfalls-Kanon gepredigt wird, ist das Diktum von der Machtlosigkeit der Politik angesichts der globalen weltbeherrschenden Wirtschaft.

Die Machtlosigkeits-These

Weil die Politik, "die Politiker" heutzutage "ja eh" keine Macht haben, sondern alles mitmachen müssten, was die Wirtschaftsbosse sich untereinander ausmachen, würde die Spirale der Wurschtigkeit des Wahlvolks sich in demokratiepolitisch problematische Höhen weiterentwickeln.

Ich möchte diese These beeinspruchen.
Sie ist zu simpel, verkennt Geschichte und Entwicklungen.

Erstens: Es ist nichts Neues. Die globale Wirtschaft beherrscht die Welt seit jeher.

Zweitens: Politik ist nicht die Kunst der Möglichkeit, sie ist gar keine Kunst, sie ist das Gewerbe der bestmöglichen Vermittlung, auch seit jeher.

Drittens: Tatsächliches Interesse an Demokratie und Partizipation ist nicht durch konjunkturell fluktuierende Gefühligkeiten beeinflussbar. Das kann nur einer schon zuvor nur scheindemokratisch denkenden Gruppe passieren.

Die Herrschaft der Wirtschaft

besteht, seit es Clans gibt.
Allerspätestens die Seefahrerei brachte die ersten globalen multinationalen Konzerne hervor. Und natürlich kontrollierten die Wirtschaftskapitäne immer die Herrscher und nicht umgekehrt, das war bei Jakob Fugger und diversen deutschen Kaisern, bei Krupp und Wilhelm II. sowie später Hitler so, um nur zwei Beispiele aus dem deutschen Sprachraum zu bringen.

Ebenso selbstverständlich wie der Dominanz-Anspruch der regionalen Wirtschafts-Granden ist ihr globaler Schulterschluss. Der liegt in der Natur des Menschen.
Genauso wie ein Sammler von wertvollen Fingerhüten seit jeher mit den anderen großen Sammlern weltweit verbunden war, sind und waren die Bosse vernetzt. Je enger die Welt zusammenrückt, desto dichter.
Alles, was sich in verschwörungstheoretischer und massenhysterischer Projektion festgesetzt hat (Bilderberger, Ostküste, Freimaurer, Bretton Woods), entspringt diesem unvermeidbaren Szene-Zusammenschluss.

Nichts von alldem ist also neu oder unlogisch.

Und jeder, der wollte, wusste immer Bescheid.
Trotzdem wird heute ein leicht dümmliches Bild eines "Gestern" konstruiert, in dem Politiker noch was zu melden hatten, machtvoll waren, ganz im Gegensatz zu heute.

Das ist ein reines Konstrukt.
Zu ihrer Zeit wurden Lincoln oder Churchill durchaus realistisch, genauso als Spielbälle im Einflussbereich der damals relevanten Wirtschaftsführer betrachtet.

Historische Figuren wie diese stehen in den simplifizierenden Geschichtsbüchern deshalb so da, weil sie das politische Handwerk von der bestmöglichen Vermittlung zwischen Interessen der Allgemeinheit und der der Wirtschaftmächtigen beherrscht haben.
Und das ist heute natürlich noch genauso möglich.

Die fünf Trend-Cluster

Weil's auch personell sein muss - die Trend-Hitliste geht so:
1. Konrad
2. Dichand
3. Scharinger
4. Treichl
5. Leitl
6. Ederer
Sorger auf 9, Raidl auf 17. Pirker auf 19, Androsch auf 22, Wrabetz auf 45.

Im heute erschienenen Trend etwa sind die realen Machtstrukturen innerhalb des Wirtschaftssystems Österreich angeführt.
Man will da fünf Cluster erkannt haben, im wesentlichen klüngeln sich die Machtzentren um die Raiffeisen, die Industriellen-Vereinigung, Banken, Sparkassen und Versicherungen. ÖGB und die ehemalige verstaatlichte Industrie sind an den Rand gedrängt, disloziert und selbst vom Machtzentrum Nationalrat deutlich abgekoppelt.

Natürlich sind es diese Kräfte, die bestimmen, was passiert, welche Steuern warum und warum nicht kommen, welche Sozialleistungen gestrichen oder eingeführt werden, wohin die Bildungspolitik geht etc.

Aber (und damit sind wir bei Einspruch 2) die Gestaltungsmöglichkeit für die Vermittler, die Umsetzer, die Politiker ist immer noch riesenhaft.
Zum einen, weil sich diese Macht-Cluster auch nicht immer einig sind und sich hier Windows Of Opportunities öffnen; zum anderen, weil es viele Felder gibt, die von diesen Konsortien thematisch einfach nicht beachtet werden und trotzdem gesellschaftsverändernd oder -stabilisierend wirken können.

Kind und Bad

Wer aufgrund des Spruchs von der Machtlosigkeit der Politik gleich das Kind mit dem Bade auschüttet, hat sie nicht verdient, die Demokratie.
Deshalb sind die vielen Hättiwaris, die sich in den Parteien herumdrücken, Totengräber der Demokratie; und deshalb sind es auch die Wähler, die wegen scheinbarer Ohnmacht auf ihr Recht der Entscheidung verzichten.

Das alles kann allerdings (siehe Einspruch 3) nur dann passieren, wenn die Grundeinstellung einer Gesellschaft in ihrer Gesamtheit nicht ernsthaft demokratisch ist.

Wenn sich eine Koalition aus Denk- und Handlungs-Faulen mit Ausreden aus der Verantwortung stehlen will, dann ist das in erster Linie ein Produkt des Gefühls, dass sowas wie eine partizipative Demokratie westlicher Prägung angesichts der Chance auf eine an eine Security delegierte Aufrechterhaltung der Ordnung viel zu anstrengend ist.

Das hat auch - wie alles - mit Bildung zu tun.
Solange die Desinteressierten ernsthaft und wirklich (aufgrund fehlender Ahnung um internationale Zusammenhänge, die auch auf eine Abschottungs-Politik der von Kirche und Konservativen seit Jahrhhunderten künstlich hinterm Berg gehaltenen Bevölkerungs-Mehrheit zurückzuführen ist) glauben, dass ein regionaler Scheißminix die globalen Player aufmischt, dass ein populistischer Hallawachl im Alleingang die EU raushalten kann, ist nichts zu machen.

Mut- und Wehrlosigkeit

Denn in Österreich hat sich die Mut- und Wehrlosigkeit der hier besprochenen "Ma-kann-jo-nix-machn"-Haltung leider nur bis zum Mittelstand durchgesetzt. Die Oberschicht hat immer schon gewusst, dass Politik hinter der Wirtschaftsmacht poliert und bewusst damit lebt, die Mittelschicht erkennt es in ihrer Mehrheit (und unglaublich viel zu spät) erst jetzt und verzagt dabei - die Unterschicht hingegen glaubt noch ernsthaft an den starken Mann, der eine Nation abkoppeln kann. Das ist so lustig, dass es traurig ist.

Und daran gilt es zu arbeiten. Am Bewusstsein.
Kurzzeitig an dem der Mittelschicht, die der Träger des Polit-Frusts und der Wurschtigkeit ist.
Mittelfristig an der Ahnungslosigkeit der Unterschicht, die politische, ökonomische und mediale Bildung braucht, dringend und in hohen Dosen.

Das widerspricht leider allem, woran die Mächte in diesem Land seit Jahrzehnten arbeiten; nämlich der Somaisierung der Massen.
Die ÖVP müsste ihr Machterhaltungs-Denk-Monopol aufgeben, die SPÖ müsste ihre alte Volkshochschul-Behäbigkeit überarbeiten.
Ich muss nicht betonen, wie unlikely das ist. Wiewohl es machbar wäre. Aber auch hier ist, denke ich, der Zug abgefahren, auch hier ist 2009 das Jahr, in dem Österreich gekippt ist.