Erstellt am: 29. 6. 2009 - 14:36 Uhr
1969
edition kürbis
1969 (Anthologie)
erschienen in der edition kürbis, 2009
„1969 hab ich um das Recht gekämpft, uneingeschränkt fernsehen zu dürfen. Außerdem habe ich Krieg geführt und versucht, ins All zu gelangen. Ich war zwölf.“ schreibt Bachmannpreisträger Peter Glaser. Er liefert mit seiner Geschichte den Auftakt der Anthologie „1969“. Eine Geschichtensammlung, die recht wenig mit den schreienden CD-Jubiläums-Sammelboxen oder den Hochglanz-Rock’n’Roll-Fotobänden zu tun hat, wie sie dieser Tage vermehrt über die Verkaufstresen wandern. Und Peter Glaser bringt es auch gleich auf den Punkt:
„Woodstock ist ja zu einem Gravitationszentrum gemeinsamen Erinnerns geworden und fordert, dass man sich erinnert, ob man sich nun tatsächlich erinnern kann oder nicht. Es ist eines dieser zu einer Erinnerungsgroßmacht angeschwollenen Ereignisse, die alle Partikularwirklichkeiten zu beseitigen oder zu unterwerfen versucht, aber Woodstock kann mich mal. Das war alles noch ein, zwei Jahre zu früh.“
Derek Redmond & Paul Campbell
Nostalgia? No!
Der Sammelband der steirischen „edition kürbis“ verzichtet auf breitarschige Expertenmeinung; es geht nicht darum, sich selbst irgendwie an der Rock’n’Roll-Posterwand der Geschichte festzunageln. Die elf Autorinnen und Autoren machen das einzig richtige in diesem Jahr voller Jubiläen: Sie verzichten auf Nostalgie.
Natürlich sind die großen Ereignisse des Jahres 1969 der rote Faden durchs Buch, doch es gilt wieder einmal: dort, wo deine Füße stehen, ist der Mittelpunkt der Welt. Beim DKT-Spielen im Garten in Kärnten hört man die Rolling Stones, in der Leibnitzer Au wird mit jugendlichem Eifer darüber diskutiert, ob Gitarristen wie Santana oder Jimmy Hendrix besser im Bett sind (Stichwort: Fingerfertigkeit!), und im elterlichen Keller wird per Chemiebaukasten die Bombe nachgebaut.
„Wie ein laues Sommerlüftchen im Altweibersommer“ sei die 68er-Bewegung an manch kleinem österreichischen Ort vorbeigegangen, schreibt beispielsweise Franzobel. Sein Beitrag: Eine derb-triste Kriminalgeschichte über die große Angst vor der Veränderung.
Die erfahrbare Welt
In „1969“ finden sich nicht nur Geschichten über eigene Erinnerungen – nein, man lässt auch erinnern. Austrofred beispielsweise – zu jung, um dabeigewesen zu sein - fragt beim Vater nach, in der vagen Hoffnung, dass sich unter der beigefarbenen Strickjacke vielleicht doch ein wilder Hund versteckt haben könnte.
„Jaja, das Neunundsechziger-Jahr“, hat er nur gesagt, „das weiß ich eh noch gut, da haben wir den Dachstuhl aufgesetzt.“ 1970 bin dann ich gekommen, 1971 haben sie heruntergeputzt. An was er sich aber noch gut erinnern hat können, das war, wie der sogenannte Neil Armstrong als quasi erster Mensch beziehungsweise Amerikaner den Mond betreten hat. Weil für Fortbewegungsmittel hat er sich schon von Beruf her immer stark begeistern können, und einmal Erde-Mond, das ist natürlich eine beeindruckende Distanz für einen Eisenbahner, der es gewohnt ist, dass die erfahrbare Welt nur bis Feldkirch geht, und dort übernehmen dann die Schweizer Kollegen.
1969 ist kleinteilig und vielseitig, es überrascht und unterhält. Eine gelungene literarische Verneigung vor den vielen „Partikularwirklichkeiten“ dieses geschichtsträchtigen Jahres.