Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Spiel dich doch selbst!"

Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

3. 7. 2009 - 00:59

Spiel dich doch selbst!

Miyamoto verpasst Games den Autopiloten.

Mein erste selbst gemachte Übersichtskarte war eine Orientierungshilfe für die Katakomben von Venedig. Genauer gesagt für die verschlungenen Wege, die sich unter der Markusbibliothek befinden. Den pixeligen Indiana Jones durch ein dunkles Höhlenlabyrinth zu lotsen, von dem man immer nur kleine Ausschnitte sieht (immerhin, virtuelle Taschenlampe sei Dank) war für einen 10-Jährigen zunächst gar nicht so einfach. Durch tapferes Probieren, Nachbessern der Karte und regelmäßiges Save and Load war ich aber bald heil am Ziel angekommen.

Ein Bildschirmfoto aus dem Computerspiel "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug": Indy in den Katakomben von Venedig.

mobygames.com

Erst kürzlich war im GEE Magazin eine wunderbare Fotostrecke von Menschen zu sehen, die sehr ähnliche Kindheits- und Jugenderlebnisse vorzuweisen haben, Gamer zwischen 30 und 40, porträtiert mit ihren alten Schätzen: Aufzeichnungen, Plänen und Notizen zu Computer- und Videospielen, bei denen das Vorankommen oft nur durch geduldiges Training und akribisches Protokollieren verdient werden musste.

War dann irgendwann endlich das letzte Rätsel gelöst, die erfolgreichste Kampftechnik erprobt und die optimale Sprungtechnik perfektioniert, wurde der persönliche Erfolg im Spiel manchmal zusätzlich auch nach außen hin potenziert. Games-Magazine druckten bis in die frühen 1990er Jahre regelmäßig von Fans selbst gezeichnete und geschriebene Spielhilfen und -lösungen ab. Beiden Seiten war damit gedient: Die Einsender freuten sich über die Veröffentlichung ihrer Werke und eine kleine Entschädigung, die Redaktionen hatten günstigen Content und einen direkten Draht zur Leserschaft.

Eine gezeichente Karte für die bessere Orientierung im Computerspiel "Buck Rogers".

kultpower.de

Heute hat sich dieses Service weitgehend ins Netz verlagert und ist dort für jedes Game zu jeder Zeit verfügbar. Doch ebenso wie das artverwandte Cheating ist die Inanspruchnahme von zu viel Händchenhalten beim Spielen etwas, das dem Ehrenkodex des Hardcore-Gamers spätestens seit Ende der Epoche der abgedruckten Dungeons and Dragons in den Spieleheften widerspricht. Seitdem Multiplayer und Online-Communities die Führerschaft bei VielspielerInnen übernommen haben.

Dieser ungeschriebene Kodex ist natürlich Blödsinn, doch wer sich länger als ein paar Wiimote-Schwünge mit Games beschäftigt, kriegt ihn trotzdem nicht mehr aus dem Kopf. Stark verkürzt besagt er: Ist es zu stark, bist du zu schwach. Try again. Und jetzt kommt Shigeru Miyamoto, einer der ersten Spiele-Designer, der erfolgreich herausforderndes Gameplay mit Simplizität und Zugänglichkeit gepaart hat, und sagt: Ich pfeif' auf euren Wertekanon. Bleibt locker!

Alle anderen würden zu diesem Zeitpunkt von der Community in Grund und Boden geschimpft werden. Doch die Idee kommt eben nicht von irgendwem.

Ein Bildschirmfoto aus dem Videospiel "New Super Mario Bros. Wii".

Nintendo

Funktionieren wird das so: Wenn eine Stelle im kommenden "New Super Mario Bros. Wii" als zu schwierig empfunden wird, kann sich der Spielende für den Autopiloten entscheiden. Dann übernimmt das Game die Kontrolle und spielt sich selbst, bis man sich nach der komplizierten Sprungpassage wieder dazu entschließt, selbst weiterzumachen. Das Feature ist freiwillig und soll ermöglichen, dass mehr Menschen die End Credits und damit den gesamten Umfang des Spiels sehen. Videospiele leiden aufgrund ihrer Komplexität und der notwendigen Zeit, die sie einfordern, heute mehr denn je unter dem Problem, dass viele Gamer nur Bruchteile des jeweiligen Titels zu Gesicht bekommen.

Keine Frage: Wenn Herausforderungen fehlen und die damit in Zusammenhang stehende Spannung wegfällt - etwa durch das Abschaffen des Bildschirmtodes - setzen sich Games der Gefahr aus, beliebig zu werden. Doch eine kluge Evolution des Schwierigkeitsgrades kann man ein und dasselbe Spiel für unterschiedliche SpielerInnen-Typen gleichermaßen interessant machen. Hat Miyamoto also recht oder wird er alt? Discuss!