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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

26. 6. 2009 - 05:22

Journal '09: 26.6.

Wo warst du in der Nacht als Michael Jackson starb?

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Nach dem Projekt X gibt's eine etwas seltsame kurze Pause. Und dann kommt Joe-Joes Stimme, noch brüchiger als sonst, und kündigt "Breaking News" an.
Wir schauen uns verdattert an: Barack Obama erschossen? Faymann zurückgetreten?
Nix da: Paul Kraker sagt es uns gleich, auch ein wenig gedrückt: Michael Jackson tot, Herz und so.

Nun ist mein Zustand zu Michael Jackson genau gar keiner. Nie. War mir immer völlig egal. Jackson 5, frühes Solo-Zeug, Superstar-Hitphase mit Thriller und Bad, King of Pop, Neverland, Kinderverzahrer, spät geoutetes Opfer familiärer Gewalt, also Täter und Opfer zugleich (wie das halt oft so ist) - hat mich immer nur sehr periphär, maximal phänomenologisch interessert.
Jackson, der als erster sowas wie einen Entkörperungs-Trend auslöst, der sich selber zerfleischt, der den Optimierungs-Wahn des menschlichen Körpers lostritt, ist als Figur, als Topos interessant, aber nicht mehr.
Kein Gefühl, kein Zustand, keine Emotion, ganz ganz egal.
Es ist sich nicht ausgegangen, falsche Generation, falscher Einstieg, falsch Sozialisation, Prince.

Und irgendwie bleibt das so, auch als Conny anruft und laut hörbar schreit, dass das doch ein Wahnsinn wäre, die Leitfigur ihrer Generation, und jetzt einfach tot; auch als Tili, mit der ich vorher irgendeinen Musik-Blödsinn besprochen habe, in fast sowas wie Entsetzen einfach die Nachricht durchsmst.
Man benachrichtigt einander also vom Tod des Michael Jackson, automatisch, auch weil die Menschen, denen das was bedeutet, annehmen, dass es allen anderen auch so gehen muss. Und damit machen sie es auch für mich von Bedeutung.

Lebensbegleitung

Wir gehen noch raus, treffen uns spontan mit Conny im Shabu. Nicht weil es jetzt dringend nötig ist mit jemandem über "die Sache" zu reden, sondern einfach so. Aber 'einfach so' beeinhaltet einfach auch darüber reden. Birgit und David sind auch da. Stimmt das jetzt echt? Kein Schmäh? Nein, kein Schmäh, LATimes-prooved, Herzinfarkt, dann kurzes Koma dann Tod gegen Mitternacht. Unglaublich eigentlich, wenn jemand den man kennt, sagt Conny... Persönlich? sag ich. Nein, darum gehts doch nicht. Klar, es geht um Lebensbegleitung, und das funktioniert über Musik, auch über Stardom und Klatsch, aber doch am meisten über Musik.

Der Sigi und ein Freund von ihm, der Volker, stolpern zufällig vorbei, und Conny verbietet mir, dass ich es ihnen erzähle. Sie will es sagen, weil sie es schonender tun wird, nicht so ironisch wie ich. Wobei ich gar nicht weiß, was ironisch ist an meiner IstmirimmeramArschvorbeigegangen-Distanz.

Nein, schreit der Volker, das gibts doch nicht - vorher am Würstlstand hat er einen Dialog zwischen Würstelfrau und einem Kunden darüber gehört und es nicht ernstgenommen, weil er dachte die würde über einen gemeinsamen Bekannten reden, den sie halt MichaelJackson nennen würden. Er wär nicht auf die Idee gekommen, dass sie den 'echten' meinen.

Wer erbt jetzt die Reche auf die Beatles-Songs fragt sich der Sigi ein paar Minuten später laut. Es ist nicht so, dass an unserem Tisch im Shabu, wo Jazz aus den Boxen plärrt und ein paar 2. Bezirk-Nachtvögel herumsitzen die ganze Zeit Jacko-Anekdoten erzählt worden wären, aber man kommt doch zwischen Fußball und Reise-Berichten und anderem Blödsinn immer wieder drauf zurück. Nicht im Tränen-Modus, nicht im Schwafel-Modus aber doch immer wieder.
Wir kramen in unserem kollektiven Wissen und einigen uns drauf, dass Jackson die Rechte eh irgendwann wieder verkauft hat, weil er Geld brauchte wegen so Sachen.

Unglauben und Abscheu

Wir ziehen noch weiter ins nahe Bricks.
Ist doch auch schon wurscht und vielleicht spielt der DJ uns dort eine Nummer. Spielt er, sagt er, am Schluss des Sets, und das wird eh bald sein, in ein paar Minuten ist Sperrstund. Und dann läuft Don't stop till you get enough in einer endlos langen Version und Conny tanzt und die anderen Ausdruckstänzer drehen sich und Sigi schlägt ein Kreuz und Volker zerdrückt eine pantomimische Träne, und es ist gleichzeitig ironisch und ernst, gleichzeitig Show und Leben.

Meine Versuche per Handy ins Netz zu kommen scheitern - entweder an den dicken Bricks-Ziegeln oder der Tatsache, dass das grad alle machen. Aber: was gibt es schon Relevantes zu erfahren? Tot ist tot.

Drei Jungs neben mir an der Bar beginnen die Nummer aufzunehmen und zwei sagen dem dritten, dem auffällt, dass hier ein lang nicht gehörter alter Jacko-Hit läuft, dass das deswegen so sei, weil der Typ gerade gestorben ist.

Geh schleich dich! sag der dritte, und gibt damit in schöner wienerischer Tradition sowohl seinem Unglauben, dass ein solcher Star überhaupt sterben könne als auch seiner Abscheu gegen die Entscheidung dieser doch so frühen Abberufung Ausdruck.

Der DJ versucht sich in einem Medley und mir ist klar, dass jemand, der in mir zur Lebzeiten nie etwas ausgelöst hat, mich durch die Wucht der kollektiven Erinnerungsarbeit aus Anlass senes Todes erstmals erwischt. Nicht als Künstler, sondern als Auslöser; als jemand, der andere Menschen berührt und beseelt hat und deswegen indirekt Einfluss nimmt. Es ist einfach passiert. Und das wohl zurecht.

Draußen vor dem Bricks zwitschern die Vögel als wir uns nach Hause aufmachen. Die Zeitungen, die von den Hauszustellern auf Fahrrädern herumgeführt werden, haben es allesamt auf der Titelseite. Morgen, also heute, also nach dem Aufwachen will ich wieder keinen Zustand zu Michael Jackson, der mich in dieser Nacht indirekt erstmals belangt hat. Das wäre nämlich nur übertrieben und bigott.
Außerdem geht viel mehr als heute Nacht doch eh nicht.