Erstellt am: 24. 6. 2009 - 19:38 Uhr
Journal '09: 24.6.
Diese Journal bezieht sich auf die montägliche Veröffentlichung "Es ist vorbei. 2009 ist das Jahr, in dem Österreich kippt. Der Weg zur Security-Demokratie ist fix vorgezeichnet" und Tom Schaffers gestern erfolgte widersprechende Replik.
Ich war gestern recht froh, dass alle Einwände, die man gegen das Journal von vorgestern haben kann, von jemandem kamen, der die neue Generation vertritt.
Ich hätte die Referenzen, die Tom Schaffer in seiner Replik als Gegenbeispiele angeführt hat, wahrscheinlich auch rausstreichen können - es wäre allerdings weniger glaubhaft, weniger bestimmt gewesen.
Ich gebe ihm also recht; einerseits.
Isoliert betrachtet.
Im Gesamtzusammenhang aber muss ich widersprechen.
Das hat damit zu tun, dass ich all diese Widerständigkeiten seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten verfolge und kenne; ihr wellenförmiges Auftreten, immer dann, wenn die Lage unerträglich wird, wenn die Menschenwürde, der demokratische Grundkonsens, auf dem die 2. Republik fußt, und zentrale Moralvorstellungen unterminiert werden; ihre im Moment dann große gute Wucht und die unmittelbaren Auswirkungen; aber auch ihr immer schnelleres Versickern.
Das mit der Unumkehrbarkeit
Und, vor allem, das immer kleiner werdende Umfeld derer, die mit anstrengenden Themen wie einem Selbstverständnis als Citoyen, Zivilcourage und einem offenem Umgang mit dem Fremden, dem Neuen, dem Anderen, überhaupt noch ansprechbar sind.
Diese schwindende Basis ist das Hauptproblem; und auch der Grund, warum ich die Entwicklung als gekippt betrachte und sowas wie Unumkehrbarkeit konstatieren muss.
Zudem kann ich den von Tom an den Tag gelegten Optimismus, was Parteien und Medien betrifft, nicht teilen.
Im Handling der Medien sind die Populisten (sofern sie nicht eh selber die Herausgeber sind) um ein wesentliches besser als die guten Kräfte (zudem: Wer soll denn das im Medienbereich überhaupt sein?).
Und dass der Partizipations-Gedanke des Web 2.0 die Menschen bessert, ist leider auch nur ein naiver Ansatz. Wichtig werden auch hier (wie im Web 1.0) die Bürowitze und Katzenbilder sein, die demnächst dann durch Ausländer- oder Judenwitze ersetzt werden.
Die Grünen sind so planlos wie noch nie in ihrer Geschichte, inklusive Vorgeschichten als Bewegung: Sie stehen inhaltlich für nichts.
In der SPÖ gab es über die letzten Jahrzehnte immer ein intellektuelles Nachdenk-Zentrum (mit diversen Künstlern im Umfeld) - auch das ist nur noch Geschichte und nicht wiederbelebbar. Sonst ist die SP wie die VP geworden: eine "IG Machterhaltung" bar jeder ideologischen Selbstverantwortung. Mittlerweile haben nicht mehr nur die Intellektuellen der Großparteien keine (Macht-)Basis, sie wird zunehmend auch den wenigen verbliebenen Sacharbeitern entzogen.
Das mit dem letzten Backlash
Es fehlt also jegliche Struktur, die - wie in den USA - auf eine Betonkopf-Politik eine Grassroots-Bewegung folgen lassen kann. Und auch die angesprochene Möglichkeit des "letzten Backlash", nach dessen Schock dann alles besser würde, kann damit enden, dass wir (um meinen Freund Fred zu zitieren) mit einem Innenminister und Vizekanzler Strache aufwachen; und dass der "Schock" dann ebensowenig ein nachhaltiger sein wird, wie der, den die Wende-Regierung ausgelöst hat.
Alles nämlich, was dadurch ins Bewusstsein der in diesem Jahrtausend Sozialisierten eindrang, war die gesellschaftliche Zurkenntnisnahme der Anwesenheit von Xenophobie, Antisemitismus, herbeigeredeter Wertlosigkeit demokratischer Grundstrukturen und der Akzeptanz von radikalisierter Sprache darüber.
Und es gibt eben genau keine kritische und wehrhafte Masse, es gibt keine Bürgergesellschaft. Ein hin und wieder sich selber einfliegender Andre Heller eignet sich bloß zur Parodie einer solchen Bewegung.
Die von Tom "Irren" genannte Gruppe der Kräfte, die bewusst eine autoritäte Security-Variante von Schein-Demokratie anstreben, sind - und das bereits seit Jahren - nicht mehr klar zu verortende Bösewichte; sie sind auch nicht irr.
Diese Gruppe ist größer und breiter, als sie je wahr.
Sowohl die aktiven Betreiber, als auch die lauten (Stammtisch-)Zustimmer als auch die stummen (Mehrheits-)Abnicker. Sie erfahren neue Unterstützung durch eine Gruppe, die ich die Hämer, nein besser die Maliziösen nennen möchte.
Das mit den Maliziösen
ist natürlich komplex. Es hat viel mit gegenseitiger Verachtung zu tun; einer Emotion, die interessanterweise keine Todsünde ist, wohl weil die diese installierende Kirche sie brauchte, um auf andere Religionen herabblicken zu können.
Die Verachtung ist ein wichtiges Mittel der Populisten. Verachtet wird der politische Gegner, verachtet wird der konstruierte Feind - und zwar in einer Art und Weise, die beide nicht mehr als zur gleichen Gattung gehörig geltend machen.
Dass z.B. im Strache-Wahlcomix alle "Anderen" nur über Tierköpfe/-körper verfügen, spiegelt diese Grund-Strategie deutlich wider.
Verachtung ist überall.
Wenn die jungen Vorstädter (ganz egal ob white Trash oder 2. Generation) zum Praterdome pilgern und dabei am Fluc vorbeikommen, erklärt einer dem anderen, dass alle, die dort hingängen, eh einfach nur schwul wären, "verstehst, sind alle schwul".
Das bezieht sich nicht auf die Sexualität, sondern den Bewusstseinszustand. Dort sind die besser Ausgebildeten daheim, die die eine Chance haben im gesellschaftlichen Ranking, die sie selber nie bekommen werden, also lauern Neid und Frust, also wird eine offene und neugierige Grundgesinnung als "schwul" gebrandmarkt. Auch im Gegensatz zu den eingefahrenen Strukturen der neuen Prolo-Kultur, die sich aus unverdauten Überresten der machoiden Zuwanderungs-Communities und der atv-Tausche-Familie-Weltsicht zusammensetzt.
Umgekehrt verachtet der Fluc/Planetarium/Pratersauna-Heini natürlich den Praterdome-Geher als in jeder Hinsicht bewusstlosen Abloser, als jemanden, der die geringe Chance nicht einmal sucht.
Und das im Bewusstsein, dass die eigene prekäre Grundsituation sie nur knapp über die Chancenlosigkeit der anderen erhebt.
Die können nämlich nicht einmal mehr den Working-Class-Klassiker als Popstar oder Fußballer geben, weil es auch dafür mittlerweile erhöhte Anforderungsprofile gibt.
Das mit der Verachtung
Eine der besseren Chancen aus der Spirale rauszukommen wird künftig das direkte Engagement bei den Populisten sein, egal ob als Security, als Jugend-Kontaktperson oder gar als Kandidat.
So etwas wie eine Basis-Solidarität zwischen Jungen wird es künftig nicht mehr geben. Auch nicht zwischen jugendkulturellen Stämmen, denen Toleranz untereinander heute noch etwas bedeutet, das wird sich zunehmend verflüchtigen.
Die Verachtung wird zu Kämpfen führen, die nicht wie in den seligen 80ern (z.B. Mods - Skins) aus politischen Gründen geführt wurden, sondern (wie z.B. in Lateinamerika oder im Osten) aus Gründen einer aufgesetzten Verachtung (unwertes Leben, Elois - Morlocks) geführt werden. "Nicht-Schwule" werden "Schwule" dreschen.
Da weiß ich teuflisch gut Bescheid: Das ist meine Generation. Und ja, ein erheblich Maß an Selbstkritik ist da dabei.
Dazu kommt die Verachtung der Maliziösen, eines Großteils der Versager-Generation der 35- bis 50-Jährigen.
Die sind mit großen Ansprüchen an sich selbst losgestartet, waren grün- oder sonstwie bewegt und haben nichts erreicht. Mittlerweile sind sie angekommen in bürgerlichen Berufen (als letzte Generation mit brauchbaren Arbeitsplätzen) und befinden sich im Abwehrkampf: um ihre halbwegs abgesicherten Rechte, ihre neu entdeckten Familienwerte, ihren wiederentdeckten strukturellen Konservativismus, vielleicht sogar Katholizismus.
Sie leisten ihren gesamtgesellschaftlichen Beitrag, haben aber noch nichts zu sagen, fühlen sich als Sandwich-Generation eingesperrt. Gegen die Älteren opponieren sie mit Ignoranz (anrennen lassen...) und gegen die Jüngeren mit einer neuen Gehässigkeit.
Das mit dem Bildungs-Neid
Die Häme, die von dieser Generation der vor ihren eigenen Ansprüchen versagt Habenden den Jungen, den Aktiven gegenüber versprüht, ist atemberaubend; sie war noch nie so umfassend und groß; sie wurde aber eben auch noch nie so heftig befeuert, mit populistischen Neid-Standards.
Verachtung gibt's auch durch das Bildungsgefälle.
Man sollte nicht glauben, wie viele Menschen es gibt, die sich seit Jahren (negativ) über ihre fehlende Uni-Zeit definieren und das in Verhöhnung all derer, die diese Chance halt hatten, rauslassen.
Und in der Häme über die, die was machen, die vor Aktivität glühen, die sich einsetzen (wenn auch manchmal plump und fehlerbehaftet) und dadurch automatisch Öffentlichkeit und Applaus bekommen (denn: wer tut schon überhaupt was, hierzulande?) trifft sich diese Koalition der Übergöße: die hoffnungslosen Modernisierungs-Verlierer, der in den Konsumrausch ausweichende White Trash, die in ihrer überwiegenden Mehrheit zukunftslose 2. und 3. Generation, diejenigen, die das früher auch erfolglos probiert hatten und den Frust darüber heute auf ihre Nachfolger projizieren, die Bildungsneidigen, natürlich auch diejenigen, denen dank ihrer Herkunft ein Platz im Machterhaltungssystem sicher ist und selbstverständlich die Populisten, die in dieser kleinen Gruppe der Jungen und Aktiven ein ideales Feindbild für alle aufbauen können.
Diese Koalition der Übergröße war noch nie so stark und mächtig. Deshalb sind Vergleiche mit den 30ern, als mehrere große Lager gegeneinanderstanden, nichtig.
Das mit der Koalition der Übergöße
Die "heftige Zustimmung einer breiten Mehrheit", die ich vorgestern beschrieben habe, wird - auch - auf genau diesem Feindbild reitend zustandekommen.
Tut sie in Wahrheit jetzt schon.
Schaut euch die öffentlichen und privaten Reaktionen auf alles, was widerständisch, aktivistisch daherkommt und womöglich sogar noch von Jungen getragen wird, einmal genau an.
Hört die hämisch-altklugen Besserwissereien derer, die bereits vor Jahren aufgegeben haben und sich in ein privates Biedermeier flüchten.
Alle die haben bereits (und mehrheitlich) entschieden, dass das Biotop Österreich gekippt ist. Nicht die offensichtlich Bösen oder die "Irren" des Tom Schaffer. Sondern die (noch) heimlichen Abnicker der ganz normalen Verachtung für die Jungen und Aktiven.