Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Den Delfinen nach"

Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

26. 6. 2009 - 17:44

Den Delfinen nach

In Graz zelebrieren dieses Wochenende 30 Künstler ein "3-Tages-Happening zur Steigerung des Bewusstseins und der geistigen Fähigkeiten". Das ist gar nicht so esoterisch wie es klingt.

Post vom belgischen Label Taped Sounds hat es in sich: Fotos von Raumschiffen und aus 70er Jahre-Katalogen ausgeschnittene Bilder finden sich im Päckchen. Oder bunte Watte. Darin gut verpackt die aktuellen Veröffentlichungen des Kassettenlabels, das dieses Wochenende ein "3-Tages-Happening zur Steigerung des Bewusstseins und der geistigen Fähigkeiten" in Graz ausrichten wird.

Im Rahmen der Ausstellung und Veranstaltungsreihe Absolutely Free tritt damit eine kleine, eigenwillige Musikszene auf, die mit ihrer aktionistischen und auf den ersten Blick esoterischen Herangehensweise Außenstehende staunend ihren Eindrücken überlässt.

Musik zwischen Drone, Ambient, Tape-Music, Krautrock, Noise, New Age und Freak Out wird zu hören sein, die in erster Linie über Kassetten verbreitet wird.

kitschiges Bild von Delfinen in lila Meer

cetacean nation communications

Taped Music ist Musik, bei der Kassettenrekorder und Bandmaschinen als Instrumente eingesetzt werden. Live werden Tapes manipuliert und bearbeitet. Bevor es digitale Loops gab, ließen sich (willkürliche) Wiederholungen durch das Zurechtschneiden von Kassettenbändern erzeugen. Eine Bastelanleitung dazu hier.

Ein Kassettenlabel

Jede der Kassetten sieht anders aus und ist liebevoll bizarr gestaltet. "Auf einer war Glitterzeug", sagt Christoph Marek. "Was auf diesem Label erscheint ist so grenzwertig, im Wesentlichen ist es experimentelle Musik." Der Soziologe, Journalist, Musiker und Kurator des Musikprogramms von Absolutely Free erwartet gerade eine neue Lieferung an C-30ern - und die wird Labelbetreiber Lieven Martens persönlich überbringen. Denn für den "Karneval im Land der Cetacean" im Grazer Landesmuseum Joanneum hat der Belgier Martens ein Line-Up von dreißig Musikern und Künstlern zusammengestellt, teils sehr unvorhersehbare Gastspiele. Darunter der Freestyle-Gitarrist Bram Devens, besser bekannt als Ignatz und Ludo Mich, der bereits Mitte der 1960er Jahre den fließenden Übergang zwischen Kunst und Leben forcierte.

Lachender Delfin im Wasser

Lieven Martens

Den Stowasser aus dem Regal gefischt: Cetacea sind Wale und auch die Delfine zählen dazu. Schall breitet sich unter Wasser vier Mal schneller aus als in der Luft. Delfine orientieren sich am Schall, Echolokation ist ihr Spezialgebiet.
Die US-Navy setzt Delfine zum Aufspüren von Minen ein und sucht aktuell noch nach einer Alternative.
Als nächste Verwandte von Delfinen haben Wissenschafter übrigens Schweine ausgemacht. Nutzloses Wissen, hallo-oh-oh.

Stets im Wandel ist selbst der Name des Labels, der wie Ebbe und Flut periodisch wechselt: das Mutter-Label Taped Sounds setzt sich einmal mit Dreamtime Taped Label, dann als Cetacean Nations Communications fort. Ja, der Kopf hinter diesen Namen hat eine Vorliebe für das Meer und seine Kreaturen. Im Speziellen für Wale und Delfine.

Das Erscheinungsbild des Labels, das ab und an auch Vinyl-Re-Issues von Free-Jazz- und Fluxus-Pionieren herausbringt, ist vom Delfin-Kult der Amerikanerin Joan Ocean beeinflusst. Delfine als Wesen, die uns über Zukunft und Vergangenheit informieren, und zu spiritueller Erleuchtung führen können beeindrucken Martens. Wieviel Koketterie in diesem Image steckt? Weiß man nicht. Seine letzte erschienene Platte "...On Sea-Faring Isolation" nennt er jedenfalls sein "New Age Masterpiece".

Aktionskunst 2009

Mit den esoterischen Klischees wird von anderen Künstlern der Szene gehörig gebrochen. Viele der Protagonisten sind Bildende Künstler, die ihre Performances auch in Galerien platzieren. Die Arbeiten sind sehr sphärisch und arbeiten mit meditativen Klischees.

„Diese meditative, spirituelle Soundästhetik, bei der eine Performance zu einer rituellen Praxis wird, wird kaum irgendwo noch praktiziert. Die metaphysische Komponente, wo es in Richtung Trance geht, ist im Rockzirkus komplett abhanden gekommen. Und das passiert bei diesen Performances“, sagt Marek.

Konventionelle Produktionsmittel sind selten. So tritt etwa Brew Abuse mit einem Mikrowellenherd auf. „Keine Ahnung, wie er den einsetzt", rätselt Marek. Ein anderer Artist, Partkdolg, wiederum kommt mit einem Vogelkäfig als Verstärker. Das möchte ich sehen!

Wer hinter den Projekten steht, ist oft nicht zu durchschauen. Veröffentlicht wird unter x-fachen Künstlernamen oder gar anonym und die Szene, die in den USA mit den Labels Not Not Fun und Digitalis eine eigene Basis hat, agiert vielfach analog. Sprich: man kennt sich untereinander. Die Vermarktungsstrategie lautet "limitierte Auflage". Nur selten passiert einem Musiker der Sprung in den Indie-Bereich

Die Künstler

Beim belgischen Freestyle-Gitarristen Ignatz war das der Fall. Er macht mit einer Akkustikgitarre elektronischen Folk-Noise. Mit dem mittlerweile dritten Album, schlicht "III", wird er zu europäischen Jazz-Festivals eingeladen und ist auf MySpace zu finden, das die lose Szene ansonsten meidet. Den Pop-Bereich lässt Taped Sounds weit hinter sich.

Zwischen experimenteller und neuer Musik hin zu konkret-artigen Ausläufern und zu eher konventioneller Synthesizermusik bewegen sich die dreißig Personen und Kollektive.

Christoph Marek hat drei Empfehlungen, an denen man sich in die unendlichen Weiten der für die meisten wohl noch unbekannten Klangwelten hanteln kann.

Was man sich außer den düsteren Gitarrenlandschaften von Ignatz noch anschauen sollte: Orphan Fairytale. Sie ist eine der wenigen Frauen in der Szene, betreibt ihr eigenes Label "Pluim" und macht
psychedelische Kindermusik.

Musikerin Orphan Fairytale

Orphan Fairytale

Die Tape-Manipulatoren James Ferraro und Spencer Clark bildeten gemeinsam die Formation The Skaters, die unter Taped Music-Kennern Kultstatus hat. Nun sind sie jeder für sich unterwegs und gastieren beide in Graz. Spencer Clark ist "Monopoly Child" und Ferraro ist "Ferraro". Für seine Performances verändert er gerne die Räumlichkeiten, kleidet einen ganzen Saal mit Räucherstäbchen aus und setzt Masken auf und sich mitten ins Publikum.

Musikformation Monopoly Child: Spencer Clark sitzt inmitten von Synthesizern.

Barrydean

Spencer Clark aka Monopoly Child am Werken.

Mit Head of Wantastiquet wird ein junger Mann aus dem Sunburned Hand of the Man-Kollektiv, das mit seinem Weird-Folk durch die Länder tingelt und auch mit Pferdehufen trommelt, live spielen.

Filme, Dia-Projektionen und Performances, die im weitesten Sinne als Tanzperformances gesehen werden könnten, werden ebenso stattfinden. Die Frage nach einem exakten Zeitplan zum Line-Up stellt besser gar nicht erst. Alles fließt.

Karneval im Land der Cetacean, 26. Juni - 28. Juni, Landesmuseum Joanneum, Graz.

So: Go with the flow

Also nicht von kitschigen Delfinbildchen abschrecken lassen und rein ins Abenteuer. Auf jeden Fall einpacken: Ohrenstöpsel. Im Landesmuseum Joanneum regieren die Verstärker.