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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

24. 6. 2009 - 10:52

Der Bilder-Schwindel

Verzückende Schönheit oder kalkulierte Werbeästhetik? An dem Fantasymärchen "The Fall" scheiden sich die Geister.

Erinnert sich noch jemand an den surreal angehauchten Thriller "The Cell" aus dem Jahr 2000? Jennifer Lopez, damals noch nicht ganz zu Jenny From The Block mutiert, spielt darin eine Polizistin, die sich mit einer neuen Methode in die Gedankenwelt eines Serienmörders einklinkt.

Der Killer muss ziemlich viele Musikvideos und Kunstmagazine konsumiert haben, denn in seinem Kopf wimmelt es vor Zitaten: Der einmalige Look, den Floria Sigismondi für Marilyn Manson und Nine Inch Nails kreierte flackert ebenso auf wie berühmte Nirvana-Clips von Anton Corbijn, der alte Salvador Dalí oder die schwülstige Popart von Pierre et Gilles.

Der Mann, der all diese und viele andere Einflüsse schamlos plakativ für seinen Film verramscht, kommt selber aus dem Bereich der bunten Musikclips: Tarsem Singh macht sich mit auffälligen Promofilmchen für Bands wie REM einen Namen.

The Cell

New Line Cinema

Nach dem nicht ganz so erfolgreichen Kinostart von "The Cell" zieht sich Tarsem, wie sich der Regisseur gerne abgekürzt nennt, in die lukrative Werbebranche zurück. Inzwischen verfolgt der gebürtige Inder aber eine Privatobsession, ein monomanisches Filmprojekt, für das sich keine Finanziers finden lassen, weshalb der Filmemacher in die eigene Tasche greift.

"The Fall" heißt das bildgewaltige Epos, bei dem letztlich die großen Kollegen (und ehemaligen Musikvideo- und Werbefilmprofis) David Fincher und Spike Jonze als Koproduzenten mithelfen.

In über zwanzig Ländern dreht Tarsem seinen erneuten Mix aus Fantasie und Realität, über etliche Jahre müssen sich die Schauspieler bereit halten. Denn immer wenn gerade ein paar fettere Honorare auf das Konto des Regisseurs fließen, wird die Arbeit fortgesetzt.

Zahlt sich soviel Einsatz und Energie aus? Daran werden sich die Geschmäcker scheiden. Was für die einen das opulenteste und atemberaubendste Filmspektakel des Jahres sein dürfte, wird anderen als esoterischer Kitsch aufstoßen. Meine Wenigkeit zählt eindeutig zur letzteren Fraktion.

The Fall

Einhorn Film

Worum es geht? Wir schreiben das Jahr 1920, in einem Krankenhaus in Los Angeles liegt ein schwer verletzter Stuntman (Lee Pace) und denkt an Selbstmord. Erst die Gespräche mit einer kleinen Patientin (Catinca Untaru) reißen den Mann aus seiner Agonie.

Roy beginnt dem Mädchen eine fantastische Geschichte zu erzählen, von fünf mythischen Helden, die gegen einen bösen Herrscher antreten. Immer mehr verwischen sich die Grenzen zwischen dem tristen Alltag im Spital und der märchenhaften Schilderung.

Dabei ist die Story in diesem Streifen wirklich nur noch aufgesetztes Beiwerk, ein lästiges Vehikel.

Es geht um einen grenzenlosen visuellen Rausch, um eine endlose Revue der Farben, Formen, Landschaften und Attraktionen. Jede Einstellung ist durchkomponiert bis ins kleinste Detail, jedes Bild auf eine Sensation hingetrimmt.

The Fall

Einhorn Film

Poetisch, magisch, überwältigend, solche Begriffe hört und liest man immer wieder in Verbindung mit "The Fall". Aber wer dermaßen schwärmt, befürchte ich, vergöttert möglicherweise auch die Malerei der Wiener Schule des fantastischen Realismus, bestimmte Prog-Rock-Plattencover, Helnwein-Poster oder die Filme von Jeunet/Caro.

Wirkliche Poesie sucht man in Tarsem Singhs Opus Magnum nämlich vergeblich. Herz, Liebe und Hirn sowieso.

Zwar kokettiert dieser eiskalte Schwindel, der sich als verzückende Schönheit ausgibt, mit den ungleich originelleren Werken eines Alejandro Jodorowsky und Guillermo del Toro, mit den Brüdern Quay oder Matthew Barney.

Aber wo sich bei diesen erwähnten Filmemachern konsequent verstörende Untiefen finden, steckt hinter den knallbunten Visionen in "The Fall" nur ein riesiges Vakuum. Die leblose Leere eines Werbefilmers, der seine kalkulierte Ästhetik als künstlerisch verkauft. Das oft verwendete Prädikat "Style over Substance", hier hat es seine Berechtigung.

The Fall

Einhorn Film