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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 6. 2009 - 22:06

Journal '09: 20.6.

DJ Rupture hat keine Angst. Der dritte Teil einer unbeabsichtigten Reihe über Musik&Medien-Rezeption.

Siehe dazu auch das Journal von letztem Sonntag: Über den Alben-Terror, quasi als Teil 1, Robert Rotifers Replik Konzepte rocken doch, und dann auch das gestern hier gepostete Video von Christopher Weingarten, quasi Teil 2.

Kürzlich fragt mich Fritz Ostermayer (am Rande, nicht dass der Eindruck entsteht, das wären unsere großen Themen) zwei Dinge: erstens ob Facebook/Twitter etc., die ganzen Community-Sites mein Medienverhalten irgendwie verändert hätten und zweitens ob es meiner Einschätzung nach für ihn nötig ist, drin vertreten zu sein; ob ihm was entgeht.
Nein, sage ich zur zweiten Frage; vor allem für jemanden, der schon das Web 1.0 widerstrebend angenommen hat, ist die Teilnahme am Web 2.0 weder verpflichtend noch sinnhaft.
Nicht stark, sage ich zur zweiten Frage, es kommen halt fast täglich noch ein paar Minuten extra dazu, die man halt sonstwo abzwackt, aber – in meinem Fall - sicher nicht beim anderem Medienkonsum.

Das war nur die halbe Wahrheit, denke ich mir heute in einem kurzen Moment der Selbstbeobachtung. Zwar hat sich die Nutzung dieser Medien nicht auf mein Zeit-Budget ausgewirkt, aber auf mein Zugangs-Verhalten.

Sich-treiben-lassen...

Bislang habe ich Seiten nur dann angesteuert, wenn ich per Linkverschickung bzw. dezidierter Empfehlung drauf verwiesen wurde – das war etwa so, als würde ich zwar Fernsehen, aber nur arte und 3sat schauen.
Mittlerweile lasse ich mich auf wesentlich mehr ein – wenn bei Facebook-Freunden oder Twitter-Referenzen ein Link auftaucht, der halbwegs sinnvoll sein könnte, klicke ich ihn an.

Das ziellose Durchs-Netz-Surfen, das die Digital Natives zur Kunst erhoben haben und dem ich mich bislang eher zufällig entzogen habe, hat mit eingeholt; bis zu einem gewissen Grad natürlich nur. Wenn sich eine Empfehlung als Käse herausstellt, ist sie auch genauso schnell weg.

Denn diese Referenz-Kultur hat ihre Haken und Tücken: wenn man immer nur dem nachgeht, was Peergroup, Netz-Freunde, Follower oder scheinbare Leader so vorgeben, bleibt man automatisch in einem verengten System, einem deutlich engerem als es das reale Leben so knüpft, in dem man sich seine Sozial-Kontakte nicht so dezidiert aussuchen kann wie in den virtuellen Bereichen.
Und da ist man natürlich schnell in einer "shitspiral" drin, die dann zu Realitätsverlusten wie im einen oder anderen Beispiel jüngst erlebt führen kann.

...klebenbleiben und was mitnehmen...

Trotzdem bin ich heute wieder an einem Video klebengeblieben: der Rough Trade-Story, die sich auf einer Seite auftat, die als Referenzseite einer neuen Twitter-Followerin angegeben war. Und auch wenn ich mir nur die ersten 20 Minuten angesehn habe und den Link auf den virtuellen "Später unbedingt anschaun!"-Stoß gelegt habe, war ich schon wieder drin in diesem zufälligen und unbeabsichtigtem Musik/Medien/Rezeptions-Schwerpunkt der letzten Tage.

Um ein paar Minuten später, im richtigen Leben, das genau gleiche zu tun. Denn das, was beim virtuellen Blättern passiert, war beim Thalia-Einkauf genauso: als erstes zupf ich das Spex raus und bleibe an einem Interview mit DJ Rupture hängen. Und dann kommt das Ganze genauso auf den "Später unbedingt …!"-Stoß.

Der mir bislang unbekannte DJ Rupture spricht genau die Themen an, die wir in jüngster Zeit ja auch besprechen, und liefert guten Input. Zum einen, weil seine Biografie bzw. sein vielbeiniges Geschäftsmodell genau das Dilemma der aktuellen Musik-Produktion/Distribution etc. wiederspiegelt und zum anderen, weil er einiges über Formate, versunkene musikalische Gedächtnisse und das Ende des Meisterwerk-Denkens zu sagen hat.

...weitergeben und referenzieren...

DJ Rupture

DJ Rupture

Rupture bloggt auf www.negrophonic.com

Rupture, in echt Jace Clayton aus Brooklyn, ist ein Kind des prekären Zeitalters, Realist und misst den Formatwechseln der letzten 30 Jahre größere Bedeutung zu als das die meisten tun würde – und er könnte recht haben, denn er denkt global.

Er sagt z.B., dass die arabische Musikkultur des 20. Jahrhunderts, die sich zwischen den 20ern und 80er recht gut entwickelt hat, durch den Umstieg von Kassette auf CD großteils unwiderruflich verloren ging: "Arabien hat, anders als die westliche Welt, kein musikalisches Gedächtnis mehr".

Ich hab mich in den 80ern eine Zeitlang recht intensiv mit Rai-Pop beschäftigt, der Musik der Jungen, vor allem in Nordafrika, die damals im Westen höchst neugierig rezipiert wurde, aber dann verschwand – und womöglich hat das mit dem Formatwechsel dieser Tage zu tun. Rupture vergleicht das global: egal ob in Südamerika oder Afrika – Musik läuft dort fast ausschließlich über den Schwarzmarkt; er nennt das den Ausdruck einer hyperkapitalistischen Industrie, in der sowas wie Copyright natürlich nichts zählt.

Und im Westen funktioniere dieses System des großen Schwarzmarkt letztlich genauso. "Wenn Festplatten crashen, Server gelöscht werden oder ein Zensor den freien Datenaustausch verhindert", dann wird auch hierzulande einiges verlorengehen, mehr als beim vorletzten Umstieg, dem von Vinyl auf CD und auch mehr als beim letzten, dem von CD aufs digitale Format. Denn auch das westliche Kollektiv-Gedächntis hat da schwere Lücken aufgerissen.

... und das auch noch angstfrei...

Ebenso radikal sieht DJ Rupture die Diskussion um das Album, das Meisterwerk, den Künstler, das Genie und all die Konstrukte einer kanonisierenden und kanonisierten West-Welt, die mit derlei Kategorien-Erfindung ja immer recht klar hinterherhumpelt. Hundert Jahre hätte es nach Mozarts Tod gebraucht um den Genie-Mythos zu erfinden. "Manchmal denke ich, dass eine Band wie Radiohead zu den letzten Bands der alten Kunstauffassung gehört, in der es noch Genies, Meisterwerke und Einzigartigkeit gab. Die Zukunft ist diversifizierter, unüberschaubarer, flacher."

Gut gebrüllt, Rupture, so seh‘ ich das auch.
Und sein Musikarbeiter-Zugang, der hat auch Klasse: "Als Musiker zu arbeiten bedeutet hier nicht Künstler oder Genie zu sein, sondern einer Arbeit als Taglöhner nachzugehen – jeder Riddim bringt eine Mahlzeit."

Im Gegensatz zu vielen Cassandren hat DJ Rupture auch eine Vision einer Zukunft, in der Begriffe wie gut und schlecht weniger Bedeutung haben werden, es sei denn im musealen Bereich, wo derlei immer funktioniert. In einer hierarchisch flachen Musikkultur empfiehlt er "so blöd das klingen mag" den Augenblick in dem die Musik entsteht zu genießen, "dann befindet man sich als Konsument in derselben Gegenwart wie der Künstler, teilt im wahrsten Sinne des Wortes einen Raum und einen Moment." Und: "für die neue Generation ist das Sich-Treiben-Lassen durch youtube-Videos und mp3-Blogs, dieses schlagartig verfügbare musikalische Archiv eine Soundquelle ohnegleichen, die nur drauf wartet schlüssig neu verfugt zu werden."

Das ist einer, der vor der schönen neuen Welt keine Angst hat. Gut so.