Erstellt am: 22. 6. 2009 - 11:38 Uhr
Germany's Next Top Festival...
Okay, nach drei Tagen und 67 Bands verblassen die Erinnerungen aufgrund der visuellen, auditiven und vegetativen Ermüdungserscheinungen schon ein wenig. Da bleibt nur mehr übrig, was sich durch emotionale Übertragungen tief in die Amygdala eingebrannt hat (hier allerdings eher mit dem Lust-, als mit dem Angstfaktor kodiert). Dabei spielt das Alter der Bands eigentlich keine Rolle, jedoch kann der Aspekt hervorgerufener Jugenderinnerungen, wie zum Beispiel bei den langgedienten und wiedervereinten Faith No More wesentlich zum Memorierungsprozess beitragen. Also mal sehen, was von den jungen Hüpfern und alten Hasen am Southside 2009 so bleibt.
Französische Entzückung
Der zweite Tag startet mit einer schönen Überraschung. Um 14:45 Uhr zu spielen, auf einem Festival, das dieses Jahr einen Besucherrekord von rund 50.000 feiert, das - könnte man annehmen - sei eine undankbare Sache. Doch weit gefehlt. Das französisch-finnische Trio The Dø steht vor vollem Zelt auf der Bühne, sichtlich erfreut und verwundert über tausend hüpfende und mitingende Menschen.
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Wenn man den Bandnamen in Verbindung mit ihrer Homebase Frankreich hört, kommen unweigerlich Gedanken an Chanson und Zirkusmusik auf, doch die weiße Plane mit den sechs Masten, unter denen sie spielen, ist das einzige was hier an Wanderakrobaten denken lässt.
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Die Døs verbinden vielmehr teils komplexe Weltmusikrhythmik mit rauem Indiepop und psychedelischen Rockausbrüchen. Allerdings bleibt selbst wenn Dan seinen "Satan" aus der Brust brüllt, die Contenance gewahrt. Überhaupt ist der gelernte Jazz- und Filmkomponist der soundtechnische Mastermind der Truppe.
Schließlich ist es auch auf seine Vorliebe von Kochtöpfen und anderen Küchenutelsilien zurückzuführen, dass ein wirklich sonderbares Schlagwerk wie ein Elfenbeinturm aus dem hinteren Teil der Bühne wächst.
Dan: "Als ich angefangen habe, Musik zu machen, leiteten meine Eltern ein Restaurant. Immer wenn sie das Essen servierten, wurde ich durch eine Bodenklappe in den Keller geschickt, wenn ich Musik machen wollte. Dort schlug ich auf Töpfe und Teller und habe auch alles aufgenommen. Wenn die Gäste gegangen waren, riefen mich meine Eltern wieder nach oben. Als es darum ging, live aufzutreten dachte ich: Okay, ich will kein gewöhnliches Schlagzeug sondern etwas, mit dem man richtig experimentieren kann."
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Der größte Wiedererkennungswert der Band ist wohl die extravagante Stimme von Olivia Merilahti.
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Die Sängerin klingt zerbrechlich und doch ausdrucksstark. Nicht nur in dem kleinen Indie-Hit "On My Shoulders" lotet Olivia nonchalant ihre stimmlichen Höhen aus, auch bei dem großartigen Stück "At Last" singt sie derart eigenwillig und superbe, wie es sich die Cardigans zur Zeit wohl gerne träumen würden, zu klingen. Auch live bringt die Dø-Frontfrau die Songs auf den Punkt. Wenn man sich das Album anhört, so kommt einem dabei unweigerlich das Rolemodel eines schüchternen Mädchens in den Sinn. Doch Olivia ist alles andere als schüchtern: Hier steht eine Frau die weiß was sie kann und will.
Der Indie-Twist von Franz Ferdinando
Mein erster Gedanke war: So weit hätte ich nun wirklich nicht fahren müssen, um Franz Ferdinand zu sehen.
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Aber auch in diesem Fall wurde ich eines besseren belehrt. Denn die Band um Sänger Alex Kapranos präsentierte sich mir noch nie so entfesselt und mit einem derart gut ausbalanciertem Mix aus Coolness und Empathie für die Fans. Zum ersten Mal spürte ich auf diesem Festival, dass hier ein Headliner steht, der nicht von oben herab für, sondern mit dem Publikum spielt.
Im wahrsten Sinne des Wortes, nicht umsonst gehen bei "This Fire" alle zwischen Wellenbrecher und Bühne in die Knie, nur um dramaturgisch gut geleitet danach im Kollektiv in die Höhe zu springen. Ich hätte mir außerdem nicht gedacht, dass man "Aha-Yeah" und "Oho-Yeah" in hundert verschiedenen Varianten als Mitsingperformance bringen kann. Da ist selbst beim gut geübten Rocksänger Kreativität gefragt, um nicht platten Attitüden aufzusitzen.
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Schon mit dem Eröffnungsstück "The Dark of the Matinée" beweisen Franz Ferdinand, dass sie der besten Zeit, während des Sonnenuntergangs, auf der größten Bühne würdig sind. Denn mit den ersten Takten Zehntausende zu packen und eineinviertel Stunden nicht mehr los zu lassen, dazu gehört schon ein clever aufgebautes Live-Set und eine publikumsnahe Präsentation ohne Anbiederung. Bei "Take Me Out" tanzen Tausende den Indie-Twist, wobei mit "Do You Want To" gleich noch eins drauf gesetzt wird.
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Auch "Franz Ferdinando", wie Alex in einer enthusiastischen Zwischenansage meint, zeigen sich von einer lockeren, spielerisch frischen Seite, die den Spaß am Gig erkennen lässt. Einer der Höhepunkte ist das spacige Synthesizer Duell zwischen Nicholas McCarthy und Alex Kapranos, bei den sie auf ihren großen Analog-Keyboards über den treibenden Rhythmus des präzisen Schlagwerkers Paul Thomson und den groovenden Bass von Robert Hardy offenbar einer Kraut-Elektro-Rock-Liebe freien Lauf lassen. Zu guter Letzt werden die Gitarren zuerst ins Publikum gehalten und dann in dramatisch-ironischer Weise vor der Bühne mit ausgestreckten Armen die Hälse der Instrumente gekreuzt. Einer für alle, alle für Franz Ferdinand.
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Könige des Sonnenscheins vs. dunkler Fürst
Grundsätzlich ist die Progammierung eines Festivals eine schwierige Angelegenheit, besonders wenn man so wie das Southside ein Schwesternfestival (das Hurricane in Norddeutschland) mit demselben Lineup hat. Insofern ist das zeitliche "gegeneinander Aufspielen" keine Konkurrenzgeschichte. In Sachen Lautstärke jedoch räumen - nicht unbedingt wie zu erwarten - die Kings Of Leon den begehrten Tinnituspokal ab. Der Sound der Followill Brüder ist hervorragend ausgewogen, auch wenn ich noch nie so einen prägnanten Bass gehört habe, wie den von Jared, sodass es einem in dem Wellenbrechergebiet vor der Bühne fast umweht. Das Set ist durchwachsen, jedoch im positiven Sinne. Alte Hits und neue Songs werden durchgemischt und mit sehr emotionalen Ansagen garniert. So gibt sich Sänger Caleb noch immer bescheidener Dankbarkeit hin, wenn er davon erzählt, dass er es sich nie hätte träumen lassen, jemals aus Nashville, Tennessee herauszukommen. Jetzt könne er die Welt kennen lernen und so viele Menschen kommen, nur um sie spielen zu hören. Ein "god bless you all" darf an dieser Stelle natürlich nicht fehlen. Trotzdem weiß ich ja nicht so recht, was ich von dieser religiösen Demut halten soll, denn nach dem Auftritt seien angeblich alle Brüder einzeln in Limousinen von der Bühne abgeholt worden. Zwist im Hause der Leons? Egal, musikalisch hat das Quartett auf alle Fälle die Sonne scheinen lassen.
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Das furiosen Kontrastprogramm der Dunkelheit bietet dann Herr Trent Reznor mit seiner Nine Inch Nails Abschiedstour. Ich kann mich eigentlich nur den Worten von Christian Holzmann anschließen, was die Performance an sich angeht. Allerdings kann ich keine detailierte Beschreibung bieten. Im Gegensatz zum Nova Rock haben Nine Inch Nails beim Southside das volle Set durchgedrückt und das bei Eisregen und arktisch anmutenden Temperaturen bis zwei Uhr früh!
This is the first day of my last days...
Der passende Anfang vom Live-Ende. Wenn bei dem Song "Wish" die Gitarren einsetzen, legt man automatisch die Ohren an. Richtig fies fräsen sich die Gitarrenakkorde direkt ins Gehirn. Das Schlagzeug rollt wie eine Lawine über die Zuschauer hinweg. Trent Reznors Stimme bleibt dabei immer im Vordergrund. Die leisen Klavierparts lösen Gänsehaut aus und die poppigen Momente blitzen wie die Stoboskoblichter immer wieder aus dem Noise hervor.
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Apropos Licht: Bei all den Tonnen von Scheinwerfern und Lichteffektgeräten würde es micht nicht wundern, wenn die auch dazu beigetragen hätten, dass in Nickelsdorf der Strom flöten gegangen ist. Klar war es der Regen, nur angesichts dieser riesen Light-Show habe ich das Bild im Kopf, dass zu Beginn des Konzerts im Nachbardorf die Stromzähler wie Rotorblätter zu rasen beginnen und in irgendeiner fernen Stadt der Energieverantwortliche den "atomic power plant" Regler drücken muss, um genügend Saft für das gesamte Gebiet zu haben. So feiert man Abschiede, auch wenn Herr Reznor eigentlich ein Fürst der Dunkelheit ist.
Die 10.000 Euro-Frage
Welche der folgenden Acts gehört nicht zum Southside 2009?
- A) Faith No More
- B) Moby
- C) Katy Perry
- D) Mando Diao
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Armin Assinger hätte wahrscheinlich seine Freude mit dieser Frage und wahrhaftig, für jemanden der das Lineup nicht im Kopf hat, dürfte eher C nennen. Doch das wäre falsch. Das amerikanische Popsternchen steht wirklich um 17:00 Uhr auf der pinken, äh Verzeihung, blauen Bühne. Ihr Faibel für Rosa (siehe deutschen Webauftritt) und Flamingos lebt sie auch beim Southside aus.
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Sogar ihre Band muss mit striktem Dresscode auftreten: Pinke Anzüge. Alles in allem visuell viel zu viel Bubblegum. Ihre Hits funktionieren, Tausende werfen mit Stroh und hüpfen im Gleichklang der alles übertönenden Beats. Doch wenn es daran geht, dass Katy ihre übrigen Songs vorstellt, fragt man sich schon, wer die zwei Hits geschrieben hat. Vielmehr als eine schlechte Mischung aus neuen Pink!-Sachen und mittelmäßigen Jennifer Rostock Nummern kommt da nämlich nicht aus den Boxen.
Auf dem Weg zum Zelt prügeln sich gerade The Mars Volta durch ihr Progrockuniversum. Mit aberwitzigen Gitarrensoli, jenseitigem Falsettgesang und wüsten Rhythmuswechseln. Alles sehr solide und gut vorgetragen, soweit sich meine Ohren beim kurzen Verweilen vor der Bühne nicht täuschen.
Denn parallel haben schon Portugal, the Man ihre Show angefangen und eine Band aus Alaska sieht man ja nicht alle Tage. Ihr Outfit ist ihrem Stil angemessen. Tiefster Siebzigerstyle mit zotteligen Langhaarfrisuren, Bart und Stretchjeans. Dazu eine große, weiße, halbakustische Jazzgitarre, mehrere Synthies, Bass und Schlagzeug. Die Lieblinge der Musikkritiker lassen es ambitioniert krachen, doch leider vermurkst der Soundtechniker die Songs mit einem undifferenzierbaren Lautstärkegemisch, bei dem weniger sicher mehr gewesen wäre. Schade, denn die Band aus Alaska hätte sich auch ein schönes Klangewand verdient.
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Schwedischen Hexenküche und deutsches Drama
Bei meinem Interview zu Youth Novels letzten September, zeigte sich die schwedische Sängerin Lykke Li nicht gerade von ihrer charmanten Seite.
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Ich weiß, ich hatte es damals verschwiegen, aber sie war knapp angebunden und unwillig, mir auch nur irgendetwas über ihre Songs zu erzählen. Trotzdem hat die junge Schwedin ein überaus wundervolles Album geschaffen. Umso gespannter bin ich auf den Live-Auftritt mit Band.
Mein erster Eindruck: Sie ist eine Hexe. Eine Pophexe, um genauer zu sein, die mit uns allen und ihrem Image spielt. Schüchternheit, Unnahbarkeit, etwas Unbeholfenes und doch Verwegenes. Man kann mir jetzt schlechte Männerfantasien attestieren, doch ich glaube, Lykke setzt diese Elemente durchaus bewusst ein, um uns einerseits um den Finger zu wickeln, andererseits um unsere klischeehaften Vorurteile vor Augen zu führen.
Darüber hinaus trägt ihre oft brüchig scheinende Stimme auch live die Songs. Unterstützt wird sie von einem leidenschaftlichen Schlagzeuger, Gitarristen/Bassisten und einem Tastenmensch, der auch seine Stimme durch den Vocoder jagt. Eigentlich ein gutes Setup, wären da nicht zweite Gesangsspuren und Streicher, die von Band kommen würden. Das hätte die Band und Lykke nicht nötig gehabt, hier ihre schönen Popsongs aufzufetten. Also performance hui, Playback pfui.
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Dafür legen es die nachfolgenden, recht jungen Hüpfer aus Deutschland sehr organisch und akustisch an. Der knöcherne Sound von Get Well Soon mischt sich hervorragend mit der getragenen, traurigen Stimme von Mastermind Konstantin Gropper, wobei er gegen das wilde Geprügel von Social Distortion auf der gegenüberligenden Bühne verhalten ansingt.
Man könnte Gropper als deutschen Joey Burns oder Win Butler bezeichnen, aber beides trifft irgendwie nicht richtig zu. Zwar trompetet und schrammelt es sich gitarrenakustisch zeitweise flott dahin wie bei Calexico und auch das kollektiv laut zelebrierte Drama à la Arcade Fire findet sich in den Songs, doch Get Well Soon haben noch eine andere Dimension. Zerbrechlicher trifft es vielleicht am ehesten auf den Punkt, wobei aufgrund des recht schlechten Monitorings die Tightness ein wenig leidet. Ein mutiges Programm jedenfalls, dass Konstantin Gropper und seine Band hier am Southside zur Primetime bieten.
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You gotta have Faith!
Auch wenn ich durch da Nova Rock schon gespoilt wurde, überraschte mich das Faith No More Reunion-Konzert. Der Krückstock, mit dem Mike Patton auch in Süddeutschland auf die Bühne humpelte, war freilich nur Zierde. Denn richtig sportlich legt es der Faith No More Sänger an, wenn es darum geht, den alten Rap-Metal-Fusionsongs wieder richtig Leben einzuhauchen. Ich wusste zwar, dass Nummern wie "Epic", "Midlife Crisis" und "Easy" am Programm stehen würden, dass sich die Vorreiter des Crossover allerdings sogar bis in die zeit von "Introduce Yourself" zurückbiemen würden, überraschte dann doch. Aber der "Best-Of-Mix" von "The Real Thing" bis zum "Album Of The Year" war perfekt und ausgewogen. Den alten Mannen machte es sichtlich Spaß, in die Zeitmaschine zu steigen, um ihre Indie-Klassiker recht locker aus den Ärmeln zu schütteln. Ein schöner, wenn auch nostalgischer Abschluss für drei ereignisreiche Festivaltage. Denn wenn man "Surprise, you're dead" nach so vielen Jahren endlich wieder live hört, merkt man, wie alt Faith No More und man selber mittlerweile geworden ist.
Aber das Schönste am Southside ist: Es ist ein Festival der Liebe ...

Oetzmann