Erstellt am: 22. 6. 2009 - 18:00 Uhr
Grenzland
Christoph Weiss/Radio FM4
Vor zwanzig Jahren, im Jahr 1989, wurde der "Eiserne Vorhang", also die Grenze zu den sogenannten Ostblockstaaten, geöffnet. Es war eine "sanfte" Veränderung, die ohne Gewalt geschah. Die Grenzen zu den östlichen Nachbarstaaten Österreichs haben sich in diesen zwei Jahrzehnten mehrmals verändert : Vom Eisernern Vorhang zur Schengen-Außengrenze zur Grenze innerhalb von EU und Schengenraum. Aber wie sieht es dort, wo früher Stacheldraht und Wachtürme waren, heute aus? Mit dieser Frage im Kopf habe ich mich ins Auto gesetzt und bin Richtung Burgenland losgefahren. Eine Stunde Fahrzeit, und so richtig habe ich nicht bemerkt, dass ich über die ungarische Grenze gefahren war: plötzlich war die Straße etwas enger, und die Schlaglöcher ein bisschen größer.
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Ich steige aus dem Auto und gehe zu Fuß zurück. Da steht ein kleines verlassenes Zollhäuschen, blau-weiss angemalt und schaut eher aus wie ein Informationsstand für Touristen.
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Die Hütte wird wohl noch für irgendetwas benutzt, denn Zeitschriften liegen auf einem Tisch und Fotos von fröhlichen Menschen (Besuchern?) hängen an der Wand - doch für Grenzkontrollen ist das Häuschen bestimmt nicht mehr da. Ich spaziere in die Wiese und entdecke einen Grenzstein. Auf einer Seite steht "Ö" für Österreich, auf der anderen "M" für Magyaroszag.
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Eine Körperhälfte in Österreich, die andere in Ungarn. Das wollte ich immer schon einmal tun.
1989-2009
Der Schwerpunkt auf FM4
Schwerpunkt 1989/2009: Vom Leben an der Grenze
- Grenzland - Spazieren gehen, wo früher der Eiserne Vorhang war.
- Draußen an der Grenze - Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer gibt es hundert Mal so viele Tote an Europas schärfster Grenze.
- Excalibur City - Vom militärischem Sperrgebiet zum Shopping- und Glücksspiel-Eldorado.
- Armes Grenzland - Ein Lokalaugenschein an einer ungarischen EU-Außengrenze
Die grüne EU-Innengrenze ist so unauffällig wie möglich. Nichts deutet darauf hin, dass hier einmal Stacheldraht und Wachtürme zu sehen waren. Ich setze mich wieder ins Auto und fahre in die nur einen Kilometer entfernte Ortschaft Halbturn. "Wie haben sie die Veränderungen vor zwanzig Jahren erlebt?", frage ich einige Menschen reiferen Alters. "Eigentlich nur über die Medien", sagt mir eine Dame. "Sie sind also nicht zur Grenze gegangen?" - "Naa, naa." Ein älterer Herr sagt: "Mir san do eh sicher gwesn. Und für die Menschen is jo guat, dass frei san olle." Eine jüngere Frau sagt: "Zuerst war der Eiserne Vorhang, mit Wachtürmen und Soldaten auf der anderen Seite. Dann war es plötzlich umgekehrt und die Soldaten waren hier auf unserer Seite, um die Schengengrenze zu bewachen. Erst jetzt finde ich es toll, richtig genial, wir fahren mit dem Fahhrad, wir gehen zu Fuß hinüber essen."
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Aber nicht alle sehen diese jüngste Veränderung positiv: "Es kommen jetzt mehr Gastarbeiter zu uns", sagt eine Burgenländerin, "und in Zeiten wie diesen haben wir selbst keine Arbeit. Man sieht schon mehr Ungarn als Österreicher." Und ein älterer Mann meint: "Die unten san net so guat beinand mitm Göd, und zum Schluss hot ma dann, dass einbrochen wird bei uns."
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Ich steige wieder ins Auto und verlasse Halbturn. Einige Kilometer Schotterstraße führen mich zum Kleylehof. Dort lebt seit 15 Jahren der Maler und Bildhauer Franz Gyolcs. Aufgewachsen ist er nicht weit von hier, in Andau. Dass die Grenze in den Köpfen vieler Menschen noch vorhanden ist, kann er nachvollziehen: "Für mich ist die Grenze immer auch noch da. Wenn du in so einer Grenzgegend aufwächst, wenn du weißt, wo der Stacheldraht war, wo der Wachturm war, dann bleibt das Bild im Kopf."
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Auch den Wandel vom Eisernen Vorhang zur Schengen-Aussengrenze hat Gyolcs nicht in guter Erinnerung: "Weil ich ständig aufgehalten wurde, ständig Anzeigen gekriegt habe. Mehrere Führerscheinentzüge gehen darauf zurück, dass mich Soldaten kontrolliert haben, die dann die Polizei informiert haben." Gyolcs ist froh, dass jetzt keine Soldaten mehr im Grenzgebiet patroullieren.
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Seine Erinnerungen an die Grenze hat Franz Gyolcs auch in mehreren Kunstprojekten verarbeitet, bereits im Jahr 1993 mit der Ausstellung und dem Symposium "Die Brücke von Andau". Auch da erinnert sich der Bildhauer an zahlreiche Probleme mit österreichischen Soldaten, etwa als er für ein Symposium Künstler aus Russland oder Ungarn mitbrachte: "Wir hatten die kaum vom Flughafen zum Symposiumsplatz gebracht, steht schon das Militär mit Waffen da und führt die Künstler ab. Es gab einige Eklats dieser Art."
Radio FM4/Christoph Weiss
Trotz solcher Erinnerungen und mancher Ängste bemerken viele Menschen im Grenzgebiet auch einen stärker werdenden kulturellen Austausch. "Wir spüren das auch hier in der Ausstellung", sagt mir eine Frau im Souvenirladen eines gut besuchten Schlosses. "Es gibt regen Besuch aus Ungarn, und das war bisher nicht der Fall. Und auch wir gehen öfter rüber, oder wir fahren mit dem Rad nach Ungarn, um dort essen zu gehen. Es ist eins geworden, und das spürt man immer stärker."
Radio-Tipp
Mehr zu "Schwerpunkt 1989/2009: Vom Leben an der Grenze" gibt es am 23. Juni 2009 in Connected (15-19) und der Homebase (19-22)