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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

17. 6. 2009 - 19:11

Journal '09: 17.6.

Sehnsüchte nach starken Männern, und wie Hermann Göring da den Weg vorzeigt.

Um folgendes Göring-Zitat geht es im Wesentlichen:

"... aber das Volk kann mit oder ohne Stimmrecht immer dazu gebracht werden, den Befehlen der Führer zu folgen. Das ist ganz einfach. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert in jedem Land."

Danke an redken und kwipstep fürs Aufmerksammachen!

Vor einigen Tagen tauchte im Forum zum freitäglichen Journal, das (vom MQ-Anlaßfall ausgehend) die Verschiebung der Grenzen was die "Sicherheit" betrifft thematisierte, ein Posting auf.
Es wurde ein Zitat eines der führenden Nationalsozialisten, des Gestapo-Gründers und KZ-Erfinders Hermann Göring verwendet, in dem die Strategie beschrieben wird, wie man demokratische Denk-Prozesse außer Kraft setzt; eine Strategie, der aktuell von Europa Rechtspopulisten 1zu1 befolgt wird.

Das Zitat stammt vom 18. April 1946, festgehalten hat es der zuständige Gerichtspsychologe, Gustave Gilbert, veröffentlicht wurde es im Rahmen des Nürnberger Tagebuchs, in dem Gilbert seine Protokolle und Gespräche bündelte.

Nun gibt es eine Menge Propaganda-Literatur, ideologische Leitfäden, schwulstiges "Mein Kampf"-Blabla und geschönte Handlungsanleitungen aus/über der/die NS-Zeit, aber eine so richtig stolze strategische Innensicht, die existiert nicht, zumindest nicht in Schriftform.

Da sind die Gespräche, die der schwatz- und geltungssüchtige Göring mit seiner Ansprech-Person, dem Gefängnis-Psychologen führte, dann eine echte Fundgrube.
Zumal dem Generalfeldmarschall durchaus klar war, dass hier seine letzte Chance für eine ideologische Hinterlassenschaft bestand. Denn das Todesurteil, dessen Vollstreckung er sich durch Selbstmord entzog, stand für ihn außer Zweifel.

Gilbert beschreibt Göring in Nürnberg (Seite 17) so:
In unseren Unterhaltungen in seiner Zelle versuchte Göring den Eindruck eines jovialen Realisten zu machen, der mit hohen Einsätzen gespielt und verloren hatte und es alles wie ein guter Sportsmann hinnahm. Jede Schuldfrage tat er mit seiner zynischen Ansicht über die "Gerechtigkeit der Sieger" ab. Sein gewandter Humor wollte immer den Anschein erwecken, ein derart liebenswürdiger Mensch könne nichts böse gemeint haben.

Die Göring-Doktrin

Cover "Nürnberger Tagebuch"

Fischer Verlag

In dieser Mischung aus Lebensrückschau, letztem Aufbäumen und Angeberei formuliert der zu dieser Zeit von seiner Morphin- und Codein-Sucht geheilte Göring einige Sätze von beachtlicher Klarheit, und legt in den Gilbert-Gesprächen wahres Zeugnis ab.

Die wichtigste dieser Passagen findet sich auf Seite 270 der Fischer-Taschenbuch-Ausgabe von Gilberts Tagebuch:

Hermann Göring nannte sich selber den "zweiten Mann" im Staat, gemeinsam mit Hitler und Joseph Goebbels bildete er die strategische Kerngruppe der NSDAP. In Nürnberg benannte er zwar Hitler, Himmler, Bormann, Goebbels und Heydrich (siehe Seite 109) als die Verschwörer, die die Massenmorde ausgeheckt hätten, im Gegensatz zu Himmler, Bormann oder Heydrich, die letztlich operativ tätig waren, oblagen der genannten Troika jedoch die Weichenstellungen.

Wir kamen dann wieder auf das Kriegsthema, und ich sagte, dass ich glaubte, im Gegensatz zu seiner Einstellung sei das einfache Volk nicht sehr dankbar für Führer, die ihm Krieg und Zerstörung bescheren.
"Nun, natürlich, das Volk will keinen Krieg", sagte Göring achselzuckend, "Warum sollte irgendein armer Landarbeiter im Krieg sein Leben aufs Spiel setzen wollen, wenn das Beste ist, was er dabei herausholen kann, daß er mit heilen Knochen zurückkommt. Natürlich, das einfache Volk will keinen Krieg; weder in Rußland, noch in England, noch in Amerika, und ebenso wenig in Deutschland. Das ist klar. Aber schließlich sind es die Führer eines Landes, die die Politik bestimmen, und es ist immer leicht, das Volk zum Mitmachen zu bringen, ob es sich nun um eine Demokratie, eine faschistische Diktatur, um ein Parlament oder eine kommunistische Diktatur handelt.".

"Nur mit einem Unterschied", entgegnete ich. "In einer Demokratie hat das Volk durch seine gewählten Volksvertreter ein Wort mitzureden, und in den Vereinigten Staaten kann nur der Kongreß einen Krieg erklären."
"Oh, das ist alles schön und gut, aber das Volk kann mit oder ohne Stimmrecht immer dazu gebracht werden, den Befehlen der Führer zu folgen. Das ist ganz einfach. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert in jedem Land."

Die Troika Hitler/Goebbels/Göring ist auch der Elchtest fürs Funktionieren der ideologischen Gehirnwäsche: allesamt entsprachen die drei nicht einmal ansatzweise den Herrenmenschen-Idealen des Nazi-Rassenwahns. Trotzdem reichte die Installierung eines äußeren Feindes und die anfänglich klug inszenierte Aufteilung des Vermögens, das man den Ermordeten und Vertreibenen rausgepreßt hatte, in der Rest-Gesellschaft, um die Bevölkerung zufriedenzustellen.

In diesem Punkt ist Göring, dessen Prophezeiungen sonst allesamt floppten, so zeitnah wie's nur geht.

Österreich und die starken Männer

In der Anfang der Woche veröffentlichten Studie über die Sehnsucht nach dem "starken Mann" finden an die 20% der Österreicher sogar Gefallen an einer politischen Lösung, "einen starken Führer zu haben, der sich nicht um ein Parlament und um Wahlen kümmern muss", sechs Prozent fänden sogar eine Militär-Diktatur lässig.

Dass vordringlich die Unterstützer der Populisten diese Segmenten füllen, versteht sich.

Die in Österreich eh immer schon erschreckend hohen Werte sind im Vergleich zu 1999 noch gestiegen, die Autoren konstatieren ein "ernsthaftes Krisensignal für die österreichische Demokratie" und eine Zunahme deren, die mit "Freiheit und Pluralität" ihre Probleme haben (siehe dazu auch diese Geschichte im Profil).

Wer das Volk "angreift" ist sonnenklar: die Hälfte der Österreicher plädiert für ein zumindest relatives "Ausländer raus!"

Mittlerweile hat die Gehirnwäsche der Populisten also bereits so verfangen, dass sich eine durchaus kritische Größe, die sich noch knapp in Minderheiten-Position befindet, die Göring-Doktrin bereits freiwillig praktiziert, man sie gar nicht erst mittels Verdummung dorthinführen muß, sondern sie bereits reisefertig abholen kann.

Hermanns Bruder Albert Göring lehnte die NS-Ideologie im übrigen dezidiert ab, leistete aktiven Widerstand, beging (auch im Schutz des kleiner-Bruder-Schmähs) diverse Sabotage-Akte und rettete viele Verfolgte. Albert Göring starb 1966, ohne dass seine couragierte Haltung von der Zivilgesellschaft oder gar dem Staat ernsthaft gewürdigt worden wäre.

Dazu paßt ein anderes Zitat, das Gilbert am 6. Juni 1946 aufgeschrieben hat. Inmitten von absurden Tagträumen über eine Art Gegenrevolution in den nächsten paar Jahren sagt Göring dieses:

"Ihr Amerikaner macht eine große Dummheit mit eurem gerede von Demokratie und Moral. Ihr glaubt, es genüge, die Nazis alle einzusperren und über Nacht die Demokratie einzuführen. Glaubt ihr wirklich, die Deutschen wären jetzt auch nur eine Spur weniger nationalbewußt, weil die sogenannten christlichen Parteien heute die Stimmenmehrheit haben? Mein Gott, nein! Die nationalsozialistische Partei ist verboten worden, was bleibt ihnen anderes übrig? Kommunisten oder Sozialdemokraten können sie nicht werden, deshalb verstecken sie sich für eine Weile hinter den Rücken der Priester."

Gustave Gilbert war übrigens erst in der zweiten Generation Amerikaner, seine Eltern waren emigrierte Österreicher, Und das sich in Österreich eine Menge Ex-Nazis auch in der SPÖ versteckten, wäre dem Luftwaffenchef und Endlösungs-Beauftrager auch nicht in den Sinn gekommen.

PS - IQ

Das nur zur nicht umzubringenden (mäßig intelligenten) Ansicht, dass "böse" Leute automatisch doof wären, bzw "Gute" automatisch g'scheit.

Beim Nürnberger Prozeß wurden die Angeklagten einem IQ-Test unterzogen. Die Resultate waren wie erwartet: 20 der 21 untersuchten Nazi-Größen waren überdurchschnittlich intelligent. Bizarrerweise einziger Ausreißer nach unten: Julius Streicher, die Propaganda-Bestie des "Stürmer".

Göring erreichte, ebenso wie Admiral Dönitz 138, Seyss-Inquart gar 141.

Gilbert quotiert dieses Ergebnis mit trockener Wissenschaftlichkeit: "Die IQs zeigen, dass die Nazi-Führer überdurchschnittlich intelligent waren, was nur die Tatsache bestätigt, dass die erfolgreichsten Menschen auf jedem Gebiet menschlicher Tätigkeit - sei es Politik, Industrie, Militärwesen oder Kriminalität - meist über der Durchschnittsintelligenz liegen.

Alle Zitate aus Gustave M. Gilbert: Nürnberger Tagebuch, Gespräche der Angeklagten mit dem Gerichtspsychologen, erschienen bei Fischer (TB 1885), "ein Klassiker", wie der Händler bei Kuppitsch, wo ich das Buch heute gefunden habe, anmerkte.

Dabei ist zu bedenken, dass die IQs nur die mechanische Leistungsfähigkeit des Gehirns anzeigen und nichts zu tun haben mit dem Charakter oder dem sittlichen Verhalten.

Jedoch kann eine derartig weitreichenden und katastrophale Bewegung wie der Nationalsozialismus nicht ausreichend durch individuelle Charaktereigenschaften seiner Führer analysiert und verstanden werden. Eine realistische Annäherung von der psychologischen Seite verlangt einen Einblick in die Gesamtpersönlichkeit in ihrer Wechselwirkung mit den jeweiligen gesellschaftlichen und geschichtlichen Gegebenheiten".