Erstellt am: 17. 6. 2009 - 18:18 Uhr
Ich stricke, also bin ich!
Unten ist es laut. Drei Meter lange gelb-lila Computerstrickmaschinen arbeiten rasselnden in der Strickwerkstatt der Modeschule Wien. Gastgeberin Sophie öffnet mit einem Haken die Tür im Plafond. Eine Metallleiter faltet sich zu uns herab, und wir steigen in eine ruhige, bunte Welt hinauf.
Hallo!
Hallo! Also, ich bin die Sophie Skach, ich bin jetzt im zweiten Semester hier im Bakkalureatsstudium, und ich bin im Ausbildungsschwerpunkt Strick. Wir sind jetzt am Dachboden über der Strickklasse, im Woll-Lager. Das sind Regale bis an die Decke mit ... Wolle.
Es riecht hier auch recht, schnüff, eigen.
Am Dachboden riecht's generell, glaub ich, ein bisschen muffig, und hier kommt vielleicht dazu, dass wir ein Mottenschutzmittel haben, damit die Wollen nicht zerfressen werden. Was, obwohl wir uns bemühen, trotzdem manchmal der Fall ist.

Sophie Skach
Deine Karriere ist speziell, weil du dich gleichzeitig für Mathematikund für Mode interessierst. Wie kam's?
Hier (in der Oberstufe, die Sophie auch an der Modeschule abgeschlossen hat, Anm.) haben wir sehr wenig Mathematik. Wir haben zwei Stunden die Woche, im letzten Jahr gar nicht mehr. Ich hab mich immer für Wissenschaft, für Naturwissenschaft interessiert, und dann war ich einmal zufällig mit einem Freund bei einem Vortrag über Physik... Das hat mich dann so gefesselt, dass ich das vertieft habe. Ich bin immer zu Vorträgen an der Technischen Universität gegangen, und hab mich im Laufe der Jahre auch mit den Professoren auseinandergesetzt. Wir haben uns ausgetauscht. Ich hab denen gezeigt, dass ich Mode mache, und die haben mir das mathematische Wissen erklärt, das ich wissen wollte, oder das ich so in der Schule nicht genügend für mich hatte.
Und dann hat sich das irgendwie vermischt, speziell in den letzten zwei Jahren. Da hab ich Kollektionen gemacht, die mathematische Themen hatten. Strickkollektionen mit grafisch-mathematischen Sachen, oder hab von der Struktur her mathematische Sachen eingebaut.
Für meine Abschlusskollektion habe ich einen Mathematiker als Inspiration hergenommen, und hab für ihn oder sagen wir, als Ode an ihn, eine Kollektion entworfen.
Wer war das?
Das war René Descartes.
"Ich denke, also bin ich."
Genau! Der Philosoph und Mathematiker hat im 17. Jahrhundert gelebt, und da hab ich die Schnitte und Silhouetten historisch an das angelehnt. Ich stricke, also bin ich!
Du studierst jetzt parallel.
Ich studiere jetzt im zweiten Semester hier an der Modeschule und auch an der technischen Universität. Und da rackere ich mich grad ab, mit technischer Mathematik und Mode und Strick und allem irgendwie, und versuche das zu verbinden.
Wo sieht man deine Kleider?
Ich habe soeben bei einem internationalen Wettbewerb mitgemacht, von der Unterwäschefirma Triumph. Das Thema war "Icons". Es ging darum, Stilikonen oder Ikonen jeglicher Art zu finden und in Unterwäsche umzusetzen.
Und ich, als Mathematikstudentin - natürlich - habe eine Mathematikerin genommen. Sophie Germain, die erste offizielle Mathematikstudentin. Sie hat Ende des 18. Jahrhunderts gelebt, da war es für Frauen noch verboten, Mathematik zu studieren. Und sie hat das revolutioniert. Sie hat sich immer für Mathematik interessiert und hat sich, obwohl ihre Eltern das als peinlich empfanden und es ihr verbaten, durchgesetzt und sich selbst im Teenageralter Mathematik beigebracht. Und dann ist sie als Mann verkleidet an die Universität gegangen, um Mathematik zu studieren, weil sie so dafür gebrannt hat. Dort ist sie durch ihre großartigen Leistungen aufgefallen. Die Präsidenten der Akademie - das war in Paris - wollten sie kennenlernen - und dann ist aufgeflogen, dass sie eben kein Monsieur war, sondern eine Mademoiselle.
Die großen Mathematiker ihrer Zeit haben sie überraschenderweise unterstützt, und dann wurde es ihr gestattet: Sie durfte offiziell als Frau Mathematik studieren. Sie hat auf dem Gebiet der Zahlentheorie Grosses geleistet, hat auch in der Physik geforscht...
Wow.
Ja. (lacht) Und sie hab ich dann als Ikone genommen, und ihre grösste Leistung umgesetzt in Unterwäsche. Ich hab Formeln und Primzahlen, es gibt nämlich die "Sophie-Germain-Primzahlen" die eine ganz spezielle Form haben, auf ein 4 Meter langes Tüllband gedruckt, das sich dann am Ende auflöst. Weil es sozusagen ins Unendliche gehen soll. Weil man nicht weiss, ob es unendlich viele Sophie-Germain-Primzahlen gibt oder nicht. Ich versuch das im ästhetischen Sinn darzustellen: Das Unendliche und das Philosophische, das in der Mathematik eben auch steckt.

Triumph
Mathematik und Mode, zwei so verschiedene Wissenschaften friedlich vereint.
Sooo kontrastreich ist das gar nicht! Es mag auf den ersten Blick sehr unterschiedlich wirken, weil man denkt: Mode - Mathematik - was hat das für eine Verbindung??
Ich denke: Es geht in beiden um Schönheit. Das ist in der Mode vielleicht ein bisschen offensichtlicher als in der Mathematik, aber auch in der Mathematik geht's im Grunde um Schönheit.
Wenn man zum Beispiel einen Beweis führt, geht man zurück, beweist die vorhergehenden Aussagen. Und da führt einen der Weg bis zu einem Punkt, wo man nicht mehr weiter kann bis zu einer Wahrheit, die weder widerlegbar noch beweisbar ist. Das ist ein Axiom, und darauf baut die ganze Mathematik auf. Und das ist diese pure Schönheit, finde ich, diese Wahrheit, dieses Unumstrittene, das einem die Mathematik gibt.