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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

14. 6. 2009 - 21:47

Journal '09: 14.6.

Ein Musik&Medien-Gespräch: über die Unbedarftheit der Mainstream-Medien, was Subkultur betrifft und über den Terror des Albums.

An einem der wochenendlichen Ausgeh-Abende, die nächtlich laues Herumstehen in oder vor Freiluft-Locations ermöglichen, ist mir mit einem Szene-Bekannten ein Gespräch passiert, das über den bei solchen Gelegenheiten üblichen Small-Talk hinausgeht. Das hat mit seiner und meiner Disposition als unzufriedener Hinterfrager zu tun, und auch mit seinen Interessensschwerpunkten: der junge, talentierte Herr ist sowohl im Musik- als auch im Medien-Bereich tätig (im Übrigen auch als guter Einschätzer seiner selbst), und das sind Bereiche mit Themen, die mich ja auch beschäftigen.

Im Wesentlichen haben wir über zwei Dinge gesprochen, in leise unterschiedlicher Einigkeit: über die Uneinsichtigkeit des medialen Old-School-Terrors was die Konzentration auf das sieche Format "Album" betrifft und über ein gar seltsames Phänomen in Bezug auf Mainstream-Medien und Subkultur-Berichterstattung. Zweitere geht, in ersteren betrieben, nämlich immer - und vor allem: immer noch, nach sicher ein paar Jahrzehnten Übung - sowas von schief, dass es nicht mehr als ein purer Belustigungs-Faktor ist.

Wenn sich (jegliches) Fernsehen oder Kommerz-Radio oder das seriöse politische Magazin oder die unbedarfte Tageszeitung eines Subkultur-Themas annimmt, könnten Lehrer ihre Rotstifte so richtig austesten: da stimmen zunächst einmal meist die simplen Fakten nicht (weil unglaublich Zuordnungs-Fehler gemacht werden), von den Voraussetzungen wie Verstehen von Codes, Überkommen von abgrenzender Ironie einmal ganz zu schweigen. Und der klassische Mainstream-Zugang, vereinzelte subkulturelle Phänomene völlig hirnlos ineinanderzuwerfen und als Szene misszuverstehen, toppt derlei Berichte dann als Gatsch-Gupf.

Lachen über die gutgemeinte Subkultur-Story im TV

Witzigerweise sagt der streitbare Kamp MC im ein paar Tage später erschienenen Magazin The Gap was sehr Ähnliches:

"Wenn heute im ORF ein Bericht über HipHop läuft, ist der teilweise naiver, dümmer und verzerrender als vielleicht vor 20 Jahren."

Wir lachen gemeinsam über einen kürzlich gesehenen TV-Kultur-Bericht über das Comeback des Vinyl, in dem falsch quergerechnete Zahlen mit nicht hochrechenbaren Einzel-Erscheinungen, dem Reinfallen auf falsche Fährten und sinnentleerten Aktions-Bildern in einen komplett absurden Grenadiermarsch geschlagen wurden, der einzig den Wunsch des Macher nach einer Rückkehr in eine sichere Musik-Rezeptions-Zeit widerspiegelt. Und wir lachen noch mehr als ich erzähle unlängst für eine nach genau demselben Muster gestrickten Beitrag zum Thema "Die Hochkultur saugt die Subkultur jetzt aus!" interviewt worden zu sein - wo sich all die Verwurstungs-Fehler schon in der Fragestellung ausnehmen ließen.

Wer Kultur-Geschichten mit dem fixen Wissen um ihren Ausgang angeht - hat schon verloren; das war vielleicht in den 80ern ein möglicher Zugang, heute ist nichts als die blanke Neugier samt Darstellung der Realitäten vonnöten, keine Regulierung via künstlichem Brückenschlag zwischen Mainstream-Gesellschaft und kultureller Avantgarde. Weil nämlich beide Gruppen da drauf scheißen, mittlerweile.

Und das haben die Bediener der Mainstream-Medien noch nicht erkannt.

Gestörte Vertrauensbasis

Nun kann man sagen: alles nicht so wichtig.
Nur: wenn ich bei einer Spiegel-Popkulturgeschichte erkenne, wie grauenhaft wenig man da weiß, denkt und vermag, dann fällt das auf das ganze Produkt zurück.
Mein Vertrauen in die außenpolitische Berichterstattung der deutschen Öffentlich-Rechtlichen ist seit ihrem Wiener EU-Wahleinsteig von vor dem "Albertinum" mit gleich noch zwei Fehlern im einminütigen Aufsager empfindlich gestört.

Natürlich haben die missverständlichen, gut gemeinten Übersetzungs-Hilfen immer auch mit dem Bewusstseinsstand der Generation an den Hebeln zu tun. Und die 40-49jährigen, die aktuell das Sagen haben, sind sich in ihrer popkulturellen Selbst-Definition (im Gegensatz zu den Digital Natives etwa) noch so unsicher, dass sie allzu simplifizierend erklären und damit alle verschrecken.

Hier eine andere Ansicht dazu, von Robert Rotifer am Mittwoch danach erschienen.

Gegen das Album!

Das trifft auch auf unser zweites Thema zu: die letztlich nur noch als Konstrukt existente Dominanz des "Albums" als wichtiges Format der Musik-Kultur.

Mein Gesprächspartner hat da einen viel radikaleren Ansatz. Warum, sagt er, sollte man einem Medium, das letztlich vielleicht nur zwei Jahrzehnte wirklich wichtig war, immer noch so viel Macht und Bedeutung zusprechen?

Ehe Rockmusik in den 60ern zu etwas wirklich Bedeutsamen gebündelt wurde (egal on auf politischer/lyrischer oder auf klangrevolutionierender/musikalischer oder die formalen Grenzen auslotender Ebene) war der Song wichtig, egal ob im Jazz, der Unterhaltungs-Musik oder dem frühen Pop.
Und seit der Einführung der CD bröselt die Macht des Albums, die dann durch die Download-Ära komplett gebrochen wurde.

Bloß: dieses Allen (den Usern, Musikern, der Industrie und den Medien) bekannte Faktum hat keine Konsequenz: ein ganzes Genre tut so als wär nichts, und produziert an den Bedürfnissen aller vorbei. Alben.

Nun ist es langweilig die Musik-Industrie zu bashen, also tun wir das erst gar nicht. sondern wundern uns über die Medien. Warum, sagt mein mittlerweile in Fahrt gekommener Gesprächspartner, ist es möglich, dass immer noch, in allen relevanten Musikmagazinen kilometerlange Rezensions-Strecken über Alben drinstehn, die in ihrer Gesamtheit niemanden interessieren? Weil - und das weiß ich, weil ich einmal einen Verantwortlichen auch genau das gefragt habe - diese Text-Friedhöfe hohe Beliebtheitswerte bei den Lesern haben. Nicht, dass die Rezensionen gelesen werden würden, aber man schätzt es, dass sie da sind.

Für den Track!

Da beißt sich die Katze in den Schwanz: mittelalterliche Magazin-Leser brauchen das anheimelnde Gefühl der Alben-Rezension um sich geborgen zu fühlen, die Medien bieten ihnen das, was die Industrie dazu bringt Musiker anzuspornen Alben aufzunehmen. Gut, die Industrie weiß, dass ihr Schnitt bei Alben höher ist als bei Einzel-Tracks, aber der Schnitt von "immer weniger" wird das irgendwann (bald) nicht mehr rechtfertigen. Absurd.

Während der Musiker in meinem Medien-Kollegen mit ihm durchgeht und eine neue Kultur der Track-Rezension fordert (schließlich rezipiere man als Konsument einzelne Stücke) fällt mir eine kurze Zeit in den beginnenden 80ern ein, als das schon einmal ein wenig so war: als Tapes, singles oder Einzel-Tracks wichtiger waren als Alben, weil das der Punk/Postpunk-Ethik entsprach und sich gegen die Hippie-Scheiße und deren blödige Konzept-Alben-Pseudo-Kunst wandte. Und die Medien, zumindest die mit Verstand, reagierten entsprechend - die Tracks-Rezension, die gab es damals.
Dieselben Medien bieten heute langweilige Alben-Friedhöfe an.

Das hat auch damit zu tun, dass die Punk-Acts, kaum wurden sie erfolgreich -> Alben veröffentlichten. Gut, damals verkauften sie die auch ordentlich.

Heute hingegen sellen nur noch die Großen und die Alten (die großen Alten halt) ganze Alben. Die Mehrheit der Musikschaffenden lebt sowieso nicht von Tonträger-Verkauf im herkömmlichen Sinn - und wenn, dann sicher nicht von einer aufwändigen Produktion wie einem 12 bis 15 Tracks umfassendem Produkt aus einem Guss.
Es sei denn, man agiert LowFi oder mit einer andere n Guerilla-Strategie.

Die Zukunft des Albums

Wer sich dezidiert als Musik-Künstler mit dem Drang dazu Lieder-Zyklen aufzunehmen begreift, wird das weiterhin tun: Alben herausbringen.
Wer sich als Erschaffer von Tracks, also als in Club-Szenen beheimateter Künstler sieht, oder als Kreateur von einzelnen Stücken, also als Pop-Artist sieht, wird es lassen.

Der von Industrie und Medien durch absurde Halsstarrigkeit vorgegebene Zwang zum Album (Subtext: ohne könne man kein seriöser Künstler sein...) wird aber nicht aufrecht zu erhalten sein.
Je schneller man dem Rat meines jungen Kollegen nach einer forcierten Track-Rezension nachkommt, desto näher pocht das Herz des Konsumenten, desto wahrer wird Musik-Rezeption. Und als Nebeneffekt könnten dann auch peinliche Mainstream-Berichte über strange Subkulturen besser werden.