Erstellt am: 15. 6. 2009 - 12:04 Uhr
Um die Wette reden
Entgegen anderslautender Gerüchte braucht sich die Jugend ob ihrer Imagewerte keineswegs zu sorgen. Denn allen im Zeichen der Empörung geschwungenen Gehstöcken zum Trotz ist Jugend immer noch vor allem eines: Ziemlich sexy. Ebenfalls im öffentlichen Bewusstsein durchgesetzt hat sich im Lauf der jüngeren Vergangenheit - einhergehend mit einem grundlegenden Gesinnungswandel in Sachen Erziehung - der Konsens, dass es prinzipiell nicht schaden könnte, der stets energisch nachdrängenden Generation beizeiten auch Aufmerksamkeit und Gehör zu schenken.
Dementsprechend liebevoll betont der gemeine Politiker im Einklang mit Schulvorstehern, Elternratgebern und sonstigen Vertretern der erziehenden Zunft stets die unbedingte Notwendigkeit zur Kommunikation mit jener Jugend, die ja ach so Zukunft, Fortschritt und Hoffnung ist.
An dieser Stelle findet sich eine detaillierte Analyse des Jungwähler-Verhaltens bei der letzten Nationalraltswahl. Zitat Eva Zeglovits:
"Politik muss sich mehr für direkte Kommunikation und reale politische Arbeit mit jungen Menschen interessieren, um Zukunftschancen und -hoffnung geben zu können."
Was etwa die Frage aufwirft, wie dieses allumfassende Einverständnis zum generationenübergreifenden Dialog derart umstandslos mit der Tatsache zu koexistieren vermag, dass ein bedrückender Großteil der österreichischen Jungwähler sich vom politischen Establishment offensichtlich ebenso wenig vertreten wie verstanden fühlt, und politisch zusehends an den rechten Rand driftet.
Ernstzunehmende Versuche, hier gegenzusteuern, und die politischen wie gesellschaftlichen Ansichten junger Menschen aus Köpfen und Klassenzimmern in die Öffentlichkeit zu tragen, gibt es natürlich trotzdem. Beispielsweise den jährlich unter der Schirmherrschaft des Sozialministeriums organisierten Jugendredewettbewerb, bei dem SchülerInnen bundesweit die Möglichkeit gegeben wird, sich selbst, ihre Vorstellungen und Ideen einem breiteren Publikum auszusetzen und dessen Finale vergangene Woche in Wien über die Bühne ging.
Weiterführende Informationen zum Redewettbewerb finden sich in einer
Diplomarbeit
von Gudrun Kastler.
Der Jugendredewettbewerb wurde von der Österreichischen Liga der Vereinten Nationen als Beitrag zur Belebung der Demokratie im Nachkriegsösterreich initiiert und 1952 erstmals ausgetragen. Er umfasst neben der vorbereiteten klassischen Rede mittlerweile auch die Kategorien "Spontanrede" sowie "Neues Sprachrohr", wobei letztere den teilnehmenden Jugendlichen bezüglich Form und Wesen ihres Vortrags jegliche Freiheiten gewährt. Ausgangspunkt sind zumeist engagierte Lehrkräfte, die ihre SchülerInnen zur Teilnahme an den flächendeckend ausgetragenen Bezirksausscheidungen ermutigen, die wiederum in neun Landesfinali und schließlich den Bundesbewerb münden. Wer gute Gedanken klar formuliert und hier den Marsch durch die Verwaltungsebenen erfolgreich absolviert, kann sich der Gewissheit erfreuen, seine Rede über die Dauer des Bewerbs einem nicht unbeträchtlichen Publikum zu Gehör gebracht zu haben. Das alles ist natürlich eine
Jörg Nimmervoll
ganz, ganz tolle Sache!
Nicht nur kann man seinen Standpunkt wortgewaltig und in der Klarheit der Welt an den Kopf werfen, der Jugendredewettbewerb ist auch eine vorzügliche Gelegenheit, sich tief in ein Thema einzuarbeiten und dabei alle zugehörigen Denkrichtungen und Sichtweisen nicht nur strukturiert und verständlich in eine achtminütige Rede zu packen, sondern letztlich auch in den Dienst der eigenen Meinung zu stellen. Vor Publikum zu reden, fördert das Selbstbewusstsein und zwingt einen, gewisse Ängste und Unsicherheiten zu überwinden. Die eigenen Ansichten einer kritischen Zuhörerschaft auszusetzen, regt Diskussionen an und führt im besten Fall zu präziseren, klarer formulierten Gedanken. Außerdem lernt man - vor allem als TeilnehmerIn am Bundesfinale - debattierfreudige Gleichgesinnte mit spannenden Geschichten und Perspektiven kennen und schließt mit ein bisschen Glück die ein oder andere lang anhaltende Freundschaft. Ich weiß das, schließlich verbindet mich mit dieser Veranstaltung eine nicht unwesentliche Historie. Und wie immer, wenn man einander länger kennt, vermag man auch Dinge zu benennen, die sind
Jörg Nimmervoll
nicht ganz so toll!
Als ich beispielsweise beim diesjährigen oberösterreichischen Landesfinale das Vergnügen hatte, der Jury beisitzen zu dürfen, erwartete ich mir naturgemäß einiges an Aufschluss, an tiefen Einblicken in die Lage der jugendlichen Nation. Ich hoffte, an diesem Vormittag wieder ein bisschen mehr Ahnung davon zu bekommen, was - abseits meines studentischen Elfenbeinturms - junge Menschen derzeit bewegt, befeuert und erzürnt.
Aber: Wenig bis nichts dergleichen. Anstatt persönlich motivierter Positionen zur krisenbedingt ansteigenden Jugendarbeitslosigkeit, zur unsäglichen Diskussion um zusätzliche Unterrichtsstunden, zum PISA-Test oder zu den besorgniserregenden Ebenseer-Entgleisungen - allesamt brennende Debatten, denen ich durchwegs zugetraut hätte, den Jungmenschen von heute zu bewegen - sah ich mich vor allem mit Reden konfrontiert, die sich offenbar mit einer möglichst unprovokanten Themenwahl und eigentümlicher Konsenssucht zu übertreffen suchten. Und als ich zum Thema "Vorbilder - gibt es sie noch?" zum dritten Mal hören durfte, dass Katy Perry zwar schon sehr schiache Dinge macht, aber deswegen ja nicht gleich ein schlechter Mensch sein muss, irgendwie auch die Medien Schuld und die wirklich wahren Vorbilder ja die Helden des Alltags sind, wurde mir endlich klar: Diese Veranstaltung ist vielmehr Wettbewerb denn Rede.
Radio FM4
Wurde der Landesbewerb in Linz vor einigen Jahren noch vorbildlicherweise nahe dem Taubenmarkt im öffentlichen Raum ausgetragen, wo es tatsächlich passieren konnte, dass mit Einkaufssackerln bepackte PassantInnen im Zuge eines flammenden Apells nachdenklich stehenblieben, präsentierten sich die RednerInnen von 2009 im Steinernen Saal des Landhauses praktisch ausschließlich vor ihren MitbewerberInnen. Während den SiegerInnen im Bundesfinale lange Zeit eine gemeinsame Städtreise winkte und sich die Platzierten maximal über kleinere Aufmerksamkeiten freuen durften, sind mittlerweile Preisgelder von 300 - 1000 € der an sich kollegialen, anregenden Atmosphäre eher abträglich.
Außerdem ist der Jugendredewettbewerb in jeder Hinsicht institutionalisiert und damit teilweise auch enttäuschend schwerfällig. Aktuelle Debatten in einer klassischen Rede abzuhandeln, ist allein wegen der über Monate gehenden Prozedur an Ausscheidungen und Vorbewerben nur sehr schwer zu bewerkstelligen. Ein Umstand, der bei einem vergangenen Bundesbewerb übrigens dazu führte, dass die spätere Siegerin nach einer vom Stolz der Abstinenz getragenen, theatralischen Ansprache gegen den Nikotinkonsum fluchtartig das Podium Richtung Ausgang verließ, um - zu rauchen! Sie hatte die Rede kurz nach ihrer letzten Zigarette geschrieben und in der Zwischenzeit wieder angefangen.
Jörg Nimmervoll
Die Crux mit der missglückten Kommunikation, ganz Allgemein
Natürlich wird jugendliche Meinungsäußerung mittlerweile - und im Gegensatz zu vergangenen Zeiten - erwünscht und auch gefördert. Nur ganz wenige DirektorInnen würden sich heute noch über Gebühr an einer allfällig kritischen Schülerzeitung stoßen. Mit dem nötigen Enthusiasmus ausgestattet, ist es wohl jedem Heranwachsenden mit einer Aussage möglich, eine entsprechende Ausdrucksform, ein Medium zu finden, und dabei wenn schon nicht gefördert, dann zumindest nicht nennenswert behindert zu werden. Ich darf hier, auf dieser virtuellen Dependance des Staatsfunks, ja auch schreiben, was ich will.
Aber wirkliche Kommunikation mit der "anderen Seite" entspringt nur selten dann, wenn man in einem selbst geschaffenen Rahmen nett danach fragt. Ein echter Austausch beginnt auch eher nicht dort, wo man gönnerhaft Förderungen ausschüttet, um sich als Freund der freien Meinung zu gerieren.
Wer wirklich eine Gesprächsbasis mit "der Jugend" aufbauen will, muss, so altklug das jetzt klingt, vor allem gewillt sein, zuzuhören. Denn Dinge, die wirklich brennen, werden - ganz unabhängig vom gesellschaftlich bereitgestellten Rahmen - immer kommuniziert. Und dann tun sie meistens weh, denn wer tatsächlich tiefgreifende Konflikte diskutieren will, darf nicht mit Streicheleinheiten im gegenseitigen Konsens rechnen. 24% tun weh!