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Albert Farkas

Ein kühnes Kratzen an der Oberfläche von Hohlräumen.

10. 6. 2009 - 13:22

Eklektische Entladungen

Kasabian grenzen niemand anderen aus. Sie werden ausgegrenzt!

das Cover vom neuen, dritten Kasabian-Album

Kasabian

Willkommen bei meiner Plattenkritik von „West Ryder Pauper Lunatic Asylum“ von Kasabian. Das dritte Album ist immer das schwerste. Rock’n’Roll ist ein Manifest für die Freiheit des Einzelnen. Beats sind eine inspirierende Währung und sie bringen uns zum Tanzen. Wenn also Kasabian-Mastermind Serge Pizzorno zum drei-winkligen Telford-Twang von Robert Fripp (der wegen seiner resonanten Leichtflüssigkeit definitiv als technisch hochwertiger als David Gilmour’s Salvo-Strum anzusehen ist) am Over-Rim seiner Rickenbacker OneTwoThree ansetzt, dann entgleiten dem entstehenden Sound-Miasma filigran flackernde, flüssige Formen, die mit Kinks/T-Rex/schonnochohnemitBrian Eno-Ära Roxy Music/Hüsker Dü/the Refused/Babylon Zoo-Anleihen den Hörer sanft umspielen und sich schließlich in einer mehrstöckigen Kapillarbewegung zu einem gediegenen Vibe-Kondensat aus kontrolliertem Anbau verfestigen, das sich einem sodann wie ein schonend-epochales Gleitmittel in sämtliche Körperöffnungen einschmiegt, um die snynaptischen Schaltkreise mit vielen hymnisch-heiteren WallofSound/Glam-Punk/Motown/Electroclash/Singer-Songwriter/Gangsta-Rap-Wohlfühlmomenten zu regenerieren. Auch das Schlagzeug ist gut. Die Basslines sind gut. Der Stoff ist gut. Paul geht es gut. Auch Mutter geht es gut. Kasabian sind das Sprachrohr unserer Generation. Das dritte Album ist das schwierigste. Operation gelungen. Viel Erfolg. 9/10

Hahahahahahaha, Verzeihung. Ich bin abgedriftet. Ich hab keine Ahnung von dem, was ich da grad geschrieben hab, entschuldigung, ich schreib Sachen, ich bin kein Musiker, ich weiß nichts von Spieltechnik, und wie sich die auf die musikalische und chemisch-hormonelle Dynamik niederschlägt, obwohl das sicher einen großen Teil davon ausmacht, das denk ich schon, aber da fehlt mir eben leider die Qualifikation, und wo das ganze dann im Spektrum der übergeordneten Dinge metaphorisch hinstellt, ich könnt's mir, ganz ehrlich, nicht anmaßen, da Vergleiche anzustrengen und Urteile zu fällen. Aber jedenfalls....Wo war ich? Ach ja, Kasabian. Ach herrje, ja, naja. Ja. Eh. Anscheinend live ein echter Hammer, echt großer, lauter Sound (das ist, find ich, ja schon wichtig). Und sie bringen offenbar die Stimmung gut rüber, die Ian Brown bei seinem Auftritt beim FM4-Geburtstagsfest von 2005 vermittelt hat, dass sich, um Himmels willen, alles gegen ihn und seine Fans verschworen hat, und die Zeit rennt uns davon, weil die böse Außenwelt uns gleich die Anlage abdrehen, und überhaupt sind die mit Hubschraubern und Bluthunde-Suchteams und der ganze Kavallerie hinter uns her, und heute ist es wirklich wir gegen die Welt, diese fabrizierte Antagonisten-Stimmung, die das Konzerterlebnis sicherlich verdichtet und erhöht, das können Kasabian anscheinend sehr gut jedesmal aufziehen, da haben sie schon Routine dabei. Das ist aber auch nicht überraschend, weil das ist ihr ganz großes Ding, da basteln sie unaufhörlich an ihrem eigenen Nonkonformisten-Mythos, schon seit dem ersten Album machen sie das. Die Vorab-Single aus "...Asylum" hat auch "Underdog" geheißen, und mit dem Titel des neuen Albums spielen sie wohl sicher nicht auf verirrte Schreie von so genannten "geistig behinderten" Menschen an, oder die eisern aufoktroyierte Bettruhe seitens des Personals, oder die bittere, verzehrende Einsamkeit, die die Insassen solcher Stätten in manchen lichten Momenten ergreifen mag, oder auf irgendwelche der anderen entschieden wenig-glamourösen Entmenschlichungsmechanismen in den psychiatrischen Kliniken dieser Welt, sondern wohl eher auf Jack Nicholson in seiner rebellischen Paraderolle in "Einer Flog Über das Kuckucksnest", weil, yeah, das ist cool, auch wenn der am Ende eine Lobotomie verpasst bekommt. Im Pressetext zum Album steht als erster Satz irgendsowas wie "Kasabian sind die Ketzer des Rock." Und so weiter, und die Bandmitglieder scheinen wirklich fest daran zu glauben, dass sie für alle Ewigkeit im Außenseiterwinkerl stehen und sie niemand mag.

Ein Kasabian-Konzert im Pariser Bataclan

Nimwai

Outlaw-Mythos

Keine Ahnung, warum die sich das einreden, warum das sein muss, vielleicht, weil sie die Musikpresse am Anfang so 2003 anscheinend nicht gleich so umschmust hat, jedenfalls bin ich überzeugt, dass Kasabian, wenn sie für die eben ergangenen Europawahlen eine eigene Fraktion gegründet hätten, die "Rauschmittel, coole Bedrohlichkeit und eine Menge, was dir erst nach mehreren Malen auffallen wird" geheißen, und sie ganz entgegen des selbstauferlegten Minderheiten-Status in Großbritannien komfortable 30% eingefahren hätte, oder vielleicht auch nur 20%, aber auf jeden Fall noch vor Labour gelandet wäre, und in den Wahlkreisen "North East", "Yorkshire and the Humber", "East Midlands" und "West Midlands" mindestens ein Mandat errungen hätte.

Nur viele Frauen hätten sie, wag ich jetzt mal zu spekulieren, vielleicht nicht gewählt. Kasabian ist vielleicht eine von den Bands, von denen ich mir es am wenigsten vorstellen kann, dass eine Frau bei ihnen mitspielt, und sich hernach mit ihnen backstage rumtreibt, obwohl, anscheinend sind Kasabian gar nicht sooo große Machos, jedenfalls kämpfen sie jetzt vehement gegen diesen über sie perpetuierte Laddism-Ruf an, und auf meine Frage, ob man in seiner Band auch über Gefühle sprechen kann, antwortet Kasabian-Bassist Chris Edwards ganz emphatisch, "Yes, wes love each other!". Naja.

Ja. Und die leidige Sache mit Oasis. Denen sind Kasabian mit Haut und Haaren verfallen, wenn Oasis sagen, dass Kasabian aus dem Mezzanin-Fenster springen sollen, dann würden sie ihre Roadies wohl auch dazu anhalten, ihnen bei diesem Unterfangen zu helfen. Jetzt supporten sie Oasis auch grad wieder auf deren Tour, da spielen sie vor vielen 50.000 oder 100.000er - Arenen oder was auch immer, die hohen Zahlen machen Chris Edwards jedenfalls fast schäumend vor Stolz. Die Gallaghers sind ja ihrerseits auch große Fans, und 2005 hat der Noel gesagt, dass er Kasabian als sein großes Vermächtnis ansieht, was Kasabian ja eigentlich Unrecht tut, nämlich wirklich, weil die ja stilistisch weiß Gott ungefähr das 80tausendfache drauf haben als Gevatter Rüpel, die ja seit 15 Jahren KAISER immer das NEUE selbe Riff unter einem anderen KLEIDER Namen verchecken. Aber, nochmals, ich bin kein Musiker, also halt ich da besser den Schnabel.

Eclectic Lad-Land

Okay, also eben der wohl wichtigste Punkt an "West....Pauper....dingsda....Irrenhaus, nana": KEINE ZWEI SONGS KLINGEN AUCH NUR ANSATZWEISE ÄHNLICH! Das gehörte schon in Blockbuchstaben, denn von wie vielen anderen Platten kann man das außer Odelay noch behaupten? Da muss man wirklich den Hut ziehen, das ist angewandter Eklektizismus vom Scheitel bis zur Sohle, da bleibt der Willen zur Innovation nicht nur Lippenbekenntnis, da hat sich jemand wirklich in die äußersten Verfransungen seiner Plattensammlung vertieft, und alles in sich aufgesogen. Und was ebenso verneigenswert ist, das Album ist _absolut nicht eingängig_ Bis auf die aktuelle Single Fire ist alles ein dicht verwobener Wust aus waberndem Bass, wabernden Gitarren-Effekten, waberndem (weil marianengraben-tief im Mix vergraben) Gebell von "Sänger" Tom Meighan. Von Kasabian hat es schon immer geheißen, dass sie gerne in so Farm-Kommunen aufnehmen wie so deutsche Krautrock-Bands aus den 70er-Jahren, und bis jetzt hab ich mir immer gedacht, "hä, komisch, also zumindest musikalisch klingt das alles gar nicht krautig sondern halt wie Primal Scream/Happy Mondays - Baggy - Zeug", aber bei dieser LP kommt der Einfluss dieser äonenlangen selbstvergessenen tribalen Nudeleien von Can et al wirklich zum Vorschein - wenn auch, selbstverständlich, auf ein leichter verdeuliches Zeitformat runtergestutzt. Wer aber jedenfalls bei "Empire" gedacht hat: "Donnerlittlichen und Kanonenrohr, jetzt werden die Charts unter Beschuss genommen, und zwar in einem Tempo, dass das nächste Album schon wie Nik Kershaw klingen könnte", der wird in "...Asylum" wohl erfreulich schwer hineinkommen. Ihre vielen tausend Fußball-Hymnen-affinen Fans werden die Platte aber sowieso kaufen, also ist das ja auch kein Problem für die Band.

Ja. Produziert hat das Album Dan the Automator. "Da kann man doch gar nix falsch machen, selbst, wenn man über 65 Minuten nur das Geräusch aufnimmt, wie man Karotten in kleine Scheibchen schneideit!", werde ich euch da jetzt reklamieren hören. Ja. Weiß nicht. Ob der anerkanntermaßen genialste Mensch im gesamten Pop-Business ever wirklich ausnahmslos _alles_ mit seinem sicheren Händchen für Beats und Bleeps zu Gold machen kann, so sicher wär ich mir da nicht, aber "West Ryder" kann sich jedenfalls problemlos in den Kanon seiner "Ha, da hab ich einen Act aber schon spürbar auf den nächsthöheren Level gezogen"-Platten einreihen.

Kasabian-Sänger Tom Meighan

Steely

Gemischte Platte

Ein kurzer schematischer Überblick....Was hamma denn da alles...ja, "Swarfiga" ist dann halt schon wirklich einfach Dub-Electronica, "Ladies And Gentlemen" ist ein Las-Vegas - Revue - Frank Sinatra-4-Uhr-Früh-down-and-out-Crooner, "Fast Fuse" ist so ein väterlich-ungeduldig gesungenes Glam-Ding, wie man's von der Band schon eher kennt, "Secret Alphabets" ist Prog, "Thick As Thieves" ist eine Merseybeat-Ballade, was eine angenehme Überraschung ist, auch, wenn ich Kollege Robert Rotifer darin beipflichten muss, dass so auch der beste Song aus dem The Jam-Oeuvre heißt, und alles, was mit diesem Namen anders klingt, zwangsläufig eine Enttäuschung darstellen muss, und man seine originale Komposition daher besser erst gar nicht so nennen sollte. "West Ryder Silver Bullet" ist eine typische Sid & Nancy-Coolness-Moritat, aufgenommen mit der Schauspielerin Rosario Dawson, ja, wenn man sowas braucht. Und das alles deckt die Genre-Palette noch gar nicht ausreichend ab. Dabei ist nicht jeder Exkurs in entlegene musikalische Gefilde ein ähnlich großer Wurf, obwohl, was weiß ich, vielleicht ja doch, Geschmäcker sind verschieden. Alles was ich weiß: "Fire", was jetzt dann, glaub ich, bald überall im Radio (also zumindest hier) laufen sollte, ist wirklich GANZ GANZ SUPER großartig. Echt. Das ist ein superlustiges energetisches Disco-Bootyshaker-Instant-Kracher, das hab ich einmal gehört und wollt es gleich noch 3mal hören, ja gut, es ist derivativ so wie ALLES auf der Welt, aber es ist wirklich, wirklich gut. Der vielleicht beste Song im Kasabian-Inventar bisher, wenn Sie mich fragen.

Ja. Unterhalten will ich mich mit den Typen trotzdem nicht, also, außerhalb der kontrollierten Interview-Situation. ich mein, offenbar versucht Serge Pizzorno mittels seiner lyrics auf "West..." eh auf die eine oder andere Art relevante Sozialkritik zu üben, von wegen wachsende Wohlstandskluft und degenerierende Stadtkerne, aber aus dem rauhen Organ des Sängers verkommt das halt einfach immer zu rabiatem Poser - Fight-Talk. Und ich wünsch ihnen nicht, dass sie jemals auch nur eine mini-fuzzi-begrenzte Zeit in einer dieser geschlossenen Anstalten verbringen müssen, die sie im Titel ihres neun Albums zitieren. Weil dort bekommt man, wenn man diffus-agressive Drohungen herausbrüllt, keinen Bausparvertrag, sondern nur in die Gummizelle.

Kasabian werden bei der heurigen Ausgabe des FM4-Frequency-Festivals, so es die Gnade der Gesundheit erlaubt, ihr erstes Österreich-gastspiel absolvieren.

Programmhinweis

Auszüge aus "West Dingsda" gibt es in der heutigen Homebase ab 19 Uhr sowie weit ausführlicher in einem House-Of-Pain Spezial unter der Aufsicht von #1-Fan Christian Fuchs heute ab 22 Uhr. Und die Platte aber sowieso kaufen, also ist das ja auch kein Problem für die Band.