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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

9. 6. 2009 - 22:19

Fußball-Journal '09-43.

Der Knieschuss. Wie eine Liga-Reform Funktionierendes zerstört um rettungslos Verlorenes zu bewahren.

So soll es aussehen (so richtig genau weiß man es nicht, weil die Beschlußlage chaotisch war; zudem fehlt noch der offizielle Sanktus der Bundesliga)
Bundesliga: weiter mit 10 Vereinen, überregional.
1.Liga: neu mit 16 Vereinen, incl B-Teams der Großen, überregional.
Darunter 9 Landesligen, deren Top 3 in jeweils drei Zonen mittels Playoff drei Aufsteiger ausspielen.
Zone Ost : Burgenland, Niederösterreich, Wien,
Zone Mitte: Oberösterreich, Steiermark, Kärnten.
Zone West: Salzburg, Tirol, Vorarlberg.

Warum die Puffer zwischen den Landes-verbänden (=Landesligen) und dem Profi-Fußball (=Bundesliga und 1. Liga), nämlich die drei semi-professionell agierenden Regionalligen der Zonen Ost, Mitte und West abgeschafft werden sollen, wird argumentativ nicht weiter begründet.

In einem Akt beispiellosen Realitätsverlusts (und unter bizarren Umständen) haben heute abend ÖFB und Bundesliga in einem gemeinsamen, kurzfristig arrangierten Beschluss die Totgeburt "1. Liga" aufgepäppelt und für sie die in den letzten Jahren zunehmend besser funktionierenden drei Regionalligen geopfert.

Das ist in etwa so, als würde man die Volksschulen abschaffen um den Hauptschul B-Zug aufzuwerten. Richtig, den alten B-Zug, das Auffangbecken für die Hoffnungslosen gibt es seit Jahren nicht mehr. Die 1. Liga allerdings schon.

Sie soll in Zukunft 16 Teilnehmer (B-Teams der Mächtigen inklusive) haben und semiprofessionell arbeiten. Darunter sollen 9 Landesligen 3 Aufsteiger ausspielen.

Das ist ein Schuss ins Knie, der seinesgleichen sucht. Die Kluft zwischen Landesligen und 2. Leistungsstufe wird unüberwindlich werden und noch mehr als bisher bloß für Glücksritter und gute Onkel-Mäzene möglich; die Kluft zwischen den nur insgesamt 15 ernsthaft lebensfähigen österreichischen Vereinen und dem Rest der neuhinzugekommenen Erstligisten, also etwa zehn Mannschaften der Spielstärke Vöcklabruck/Bad Aussee ebenso.
Profitieren werden die Großen 4 (Salzburg, Rapid, Austria, Sturm), die ihre Amateur-Teams in diese zweite Leistungsstufe hochholen. Von ihnen war die Initiative für diese Veränderung des Beschlusses aus dem Vorjahr, der die B-Teams aus der 1. Liga entfernen sollte, auch ausgegangen.
Dass nun die Landespräsidenten entgegen der Interessen ihrer Regionalliga-Clubs die bisherige 3. Leistungsstufe ersatzlos streichen, ist überraschend, so als ob sich eine Gewerkschaft für die Auflösung von zentralen Betriebsstätten einsetzen würde.

Die Zahlen

Ich bin (das setzte ich als bekannt voraus) weder Resultats- noch Daten-Fetischist, aber die Zuschauer-Zahlen dieses Jahres sagen eine Menge über Österreichs Fußball-Struktur auf Vereinsebene aus.

Da sind drei Klubs, die klar auf einen Schnitt von über 12.000 Besuchern pro Spiel kommen - was allein noch keine Lebensfähigkeit garantiert, aber gehörig mithilft, Interesse und Sponsoren zu generieren. Bei Rapid (15.8) sieht das am tollsten aus, weil damit das kleine, überwuzelte und europauntaugliche Stadion immer voll ist, bei Sturm (12.9) sieht's schon weniger gut gefüllt aus, bei Salzburg (14.2) angesichts eines Riesenrunds schon eher schwach.

Dazu komme zwei Klubs, die sich so durchmogeln: Kärnten mit 9.8 (da ist vor allem das 12,5% Minus im Vergleich zum Vorjahr - und das ohne Euro-Arena - bedenklich, und der LASK mit 9.0; das ist zugleich Liga-Schnitt.

Die Wiener Austria, die seit Jahren nur über die Parodie eines Stadions verfügt, schöpft mit 7.6 ihr Potential nicht wirklich aus, Mattersburg mit seinen 6.3 hingegen schon.

Ernsthaft Bundesligatauglich ist außer diesen 7 Vereinen (zumindest zuschauertechnisch) kein Verein.

Die drei Schlusslichter der Bundeliga und die drei ersten der 1. Liga spielen hingegen auf ähnlichen Niveau: Altach mit 5.8, Ried mit 5.2, Innsbruck mit 4.5, Kapfenberg mit 3.7, Austria Lustenau mit 3.1 und Magna Neustadt mit 2.6 bilden ein - für heimische Verhältnisse sogar solides Mittelfeld.

Grade noch mithalten können die hochgesponserte Admira mit 1,8, die talentierten St.Pöltner mit 1.7 und der FC Lustenau mit 1.2.

Das sind die 16 Vereine, die - bei großer Toleranz - genug Publikum und Interesse generieren um lokale/regionale, manchmal auch überregionale Berichterstattung zu bekommen.

Untauglich

Alle anderen kommen auf Spielzuschauer-Zahlen, die derart beschämend dreistellig sind, das zurecht jeder, der schon einmal ein Unterliga-Spiel auf dem Dorf gesehen hat, sich daran erinnert fühlt.

Die restlichen Vereine (Vöcklabruck, Leoben, Gratkorn, Grödig und die beiden vor leere Tribünen spielenden B-Teams von Salzburg und der Austria) liegen im Regionalligen-Schnitt.

Bloß - die soll es ja künftig nicht mehr geben: Man will sofort von den Landesligen in eine bundesweite 16er-Liga eintauchen. Die wird weiterhin eine Zwei-Klassen-Gesellschaft sein: vorneweg die Aufstiegsgeilen und die durch ein halbwegs großes Einzugegebiet gesegneten Traditionsclubs, hinterdrein die als Spielball behandelten B-Teams und ein paar Glücks-(oder sollte man sagen Pech-?)Ritter der Marke Haas/Grödig, die ihr Geld sinnlos verblasen um auch einmal ins "richtige" Fernsehen zu kommen, nicht nur die lokalen Medien.
Und wird dann von der Bundesliga mittels Beschönigungarien behandelt, als wäre man Teil einer sinnhaften Szene.

Die Totgeburt

Die Ausrede, mehr die des ÖFB als die der Bundesliga, der es nur drum ging das 10er-Format der ersten Leistungsstufe zu halten, um so die TV-Gelder (die künftig - Krise auch hier! - eh geringer ausfallen werden) nicht weiter teilen zu müssen, war, dass so die Jungen mehr Spielzeit bekommen, die Talente in dieser Liga herangeführt werden können.

Das ist riesengroßer Bullshit. Die Admira hat bereits jetzt angekündigt, sich (ebenso wie Magna heuer) nächstes Jahr nicht mehr um die Agreements bezüglich Ausländer-Quote und Jugend-Bestimmungen zu halten. Die B-Teams werden mit geparkten Spielern wieder den Wettbewerb verzerren (die Austria-Amateure haben etwa bereits Muhr, 32, und den Bosnier Djokic verpflichtet), die Außenstelle der (wahrscheinlich vier) Vorarlberger Vereine lautet seit jeher "Brasilien" - entwickelt wird dort gar nix.
Wenn sich nicht hin und wieder Leute wie Frenk Schinkels ein paar in dieser Liga des Grauens steckengebliebene Anfangs-20er greifen und ordentlich nach vorne schieben würden, wäre sie ein reiner Abschreibe-Posten.

Diese 16er-Liga ist eine Totgeburt.
Das ist umso erstaunlicher, weil sie sich aus einer anderen Totgeburt, der 12er-Liga entwickelt hat, die wiederum aus der Totgeburt 10er-Liga entsprang.

Eine zweite bundesweite Leistungsstufe ist weder ökonimisch tragbar noch sportlich sinnvoll.
Wer eine sinnvolle Ausbildungs-Liga für Talente will, muss sich an der italienischen Primavera, dem englischen Reserve-System oder der deutschen A- und B-Jugend orientieren, anstatt einen inhomogen Kompromiss wie diesen zusammenzuschustern, der nicht einmal ansatzweise überlebensfähig ist.

Auf Kosten der Regionalligen

Drastischer formuliert: Wenn die Bundesliga, die den Profi-Fußball (also BL und 1.Liga) vertritt, sich mit einem solchen System in die Luft sprengen will, dann soll sie das tun.
Wie es der ÖFB zulassen kann, dass die Bundesliga in die Struktur eines Unterbau eingreift, der sie nicht wirklich was angeht, entzieht sich meiner Kenntnis. Wie der ÖFB dann allerdings der Demontage der Regionalligen, die die einzig sinnvolle Bündelung im halbprofessionellen Bereich vornimmt, zulassen kann, grenzt an Fahrlässigkeit.

Denn nur die Regionalliga verhindert den zu leicht gemachten Durchmarsch von künstlich aufpoppenden, kurzfristig angelegten Renommier-Projekten dubioser Finanz-Jongleure, geltungssüchtiger Bezirkskaiser und anderer Funktionäre, denen die Ausbildung, die Jugendarbeit und der Fußball an sich piepegal sind. Nicht, dass sie derlei Phänomene verhindert kann - aber manchmal setzen sich dann doch die Viennas, die Horns, Sportklubs, die GAKs, die Hartbergs, die Dornbirns oder die Wattens durch - allesamt gewachsene Vereine mit sinnhaften Strukturen im allernächsten Umfeld.

Die Alternative

liegt recht klar auf der Hand.
Die eh nur 16 richtigen Profi-Vereine gehören in einer Ausbildungs-Liga gebündelt, vollprofessionell, aber mit wirtschaftlichem Realismus (was auch seriöse Lizenzbestimmungen und deren Überprüfung beeinhaltet). Diese Grundaufgabe an eine kaputte 2. Leistungsstufe outzusourcen, ist lächerlich und abzulehnen - es wird bei der Bundesliga hängenbleiben, vor allem in deren Mittelfeld.

Die sinnlose 1. Liga gehört ersatzlos gestrichen.

Der Unterbau gehört regionalisiert: Ob das wie bisher drei oder vielleicht nur zwei Regionalligen sein sollen, kann und muss man diskutieren - notwendig ist es allemal, als semiprofessioneller Zwischenschritt zwischen den Landesligen (in denen Alt-Profis zwar auch vierstellige Euro-Summen kassieren können, die aber tendenziell doch Amateure sind) und der Bundesliga, deren Professionalismus neu zu definieren wäre.

Mit der heutigen Entscheidung, die sich keinem der akuten Probleme ernsthaft angenommen hat, sondern nur ans Weiterwurschteln gedacht hat, wurde - wieder einmal - eine große Chance vertan.
Diesmal von ÖFB und Liga gemeinsam.
Dabei hätte ÖFB-Chef Leo Windtner die Frage, die er gern öffentlich stellt (nämlich: "'Wie viele Proficlubs verträgt Österreich?") ehrlich beantworten müssen.