Erstellt am: 10. 6. 2009 - 17:21 Uhr
A Fine City?
Das Spiel mit der Angst
2002 stellte die Grazer FPÖ den Verein "Bürger für Schutz und Sicherheit" vor. Zivilcourage interpretierte die sogenannte Bürgerwehr mit blauer Baseballkappe und im blauen Hemd auf ihre Weise und patrouillierte mit Handy, Digitalkamera und Funkgerät, um strafbare Handlungen zu dokumentieren und Drogendealer zu stellen. FPÖ-Politiker in Eisenstadt und Innsbruck liebäugelten mit der Idee der Bürgerwehr. Nach Kritik und Widerstand wurde das Experiment eingestellt. Die Sicherheitsdebatte lässt sich von den Privat-Sheriffs zur städtischen Ordnungswache ziehen.
Poster Tosca trifft den Nagel auf den Kopf: die anfängliche Empörung gibt’s ja immer und dann ist es oft nur halb so wild. In Graz wird es nicht einmal mehr als halb so wild empfunden, dass die Ordnungswache ihre Kontrollrunden am Hauptplatz dreht und seit Anfang April auch im Univiertel dafür sorgen soll, dass die mitgebrachten Flaschen in den Taschen bleiben: Das Alkoholverbot im öffentlichen Raum an diesen Hotspots wird kontrolliert und exekutiert.
Ebenso im Visier der städtischen Ordnungswache: Omis, die Tauben füttern. Freilaufende Hunde ohne Leine oder Maulkorb. Wildpinkelnde Männer. Geparkte Autos auf Grünflächen. Straßenmusik vor 10 und nach 21 Uhr. Und mit dem Rad durch den Stadtpark zu fahren ist und bleibt verboten – auch wenn die schwarz-grüne Koalition gerne ein Wegstück davon abrücken würde.
Wenn ich mein Handy in der Straßenbahn zücke, gibt es verärgerte Blicke. Erleichterung aufmerksamer Sitznachbarn, wenn Kurznachrichten getippt werden. Das Schreiben und Abschicken von SMS verstößt nicht gegen die Beförderungsbestimmungen der Grazer Verkehrsbetriebe. Telefonieren ist per im April des Vorjahres in Kraft getretener Benimmregel untersagt, ebenso wie Jausnen, Rauchen, Singen, Musizieren. Ja, das klingt absurd und nach Kindergarten-Ausflug. Zeit-Redakteur Lukas Kapeller spricht zu Recht von "Singapur an der Mur".
Angst oder Leben

Radio FM4
Doch eine öffentliche Debatte darüber, ob die GrazerInnen Gouvernanten brauchen, um den Alltag zu überstehen und den öffentlichen Raum zu passieren, ohne Schäden zu verursachen oder davonzutragen, findet nicht statt. Der innerstädtische Bereich wird überwacht und kontrolliert. Zu den offiziellen Kameras auf dem Haupt- und Jakominiplatz sowie am Hauptbahnhof bekommen zukünftig die Straßenbahnen Videoüberwachung: 2010 werden die ersten neuen Garnituren mit je sechs Kameras Passagiere aufnehmen. Denn: "Immer öfter kommt es in Bus und Tram zu Gewalt". Das klingt bedrohlich. Fakt ist: Im letzten Jahr gab es 13 Attacken auf Fahrer, als abends kaum mehr Passagiere unterwegs waren.
"Privatisierung durch die Stadt"
Private Kameras, die auf den öffentlichen Raum gerichtet sind,
dokumentiert der Verein Wirdorange.
In Graz hat die Stadt die Privatisierung beliebter öffentlicher Plätze übernommen. Anfangs mit Buchsbäumchen gegen "Punks", dann mit einem - letztlich gescheiterten - Versuch eines Bettlerverbots, bis 2007 die Ordnungswache auf den Plan trat. Aggressives Betteln wird mit 35 Euro geahndet. Füttern von Tauben macht 30 Euro. Wegwerfen eines Zigarettenstummels 10 Euro. Das Öffnen und Trinken aus einer mitgebrachten Bierdose kostet am Hauptplatz 35 Euro.
Denn rund um den Erzherzog-Johann-Brunnen besteht Alkoholverbot. Die Ordnungswächter können diese Organstrafverfügung austeilen oder einen schlicht abmahnen - ganz in ihrem Ermessen. Wird die Polizei hinzugerufen, ist eine Anzeige möglich. Auf ein "Hab’ kein Geld" folgt der Ordnungswächter einen Erlagschein aus - dazu braucht es keinen Polizisten. "Das ist einzigartig in Österreich: wir sind auf rechtliche Füße gestellt“, sagt Andreas Köhler, der als Referatsleiter für die Ordnungswache zuständig ist. Das Steiermärkische Landes-Sicherheitsgesetz hat die Ordnungswache ins Laufen gebracht. Für GrazerInnen ist das alles freilich nichts Neues.
Biegt man ums Eck vom Billa am Hauptplatz und trinkt dort sein Bier, geht das die Ordnungswächter nichts an - denn dann steht man in der Albrechtgasse. Ohne Alkoholverbot. Beim Würstelstand am Hauptplatz gibt es ebenso kein Alkoholproblem - Marktstände sind vom Gesetz ebenso ausgenommen wie Ausschank bei Veranstaltungen.
Im Grazer Stadtpark darf man es sich nach wie vor mit einer Flasche Wein auf einer Picknickdecke gemütlich machen.
Doch warum zücken Personen selbstverständlich ihre Geldtascherln und zeigen Führerscheine, um sich auszuweisen, wenn ein Ordnungswache-Duo sie zur Rede stellt? Das müssten sie nicht. "Es besteht keine Ausweispflicht für einen österreichischen Staatsbürger. Aber: die angesprochene Person muss der Ordnungswache ihre Identität preisgeben" erklärt Köhler. "Wenn dies nicht passiert, gibt es Möglichkeiten, wie man sehr wohl zu den Daten kommt." Und das klingt schon wieder bedrohlich. Ist es aber nicht, versichert Köhler und erzählt im Telefonat von Autokennzeichen und Hundebesitzern, die Hundstrümmerl nicht wegräumen.
Alles also halb so wild? Finde ich nicht. Das Spiel mit der Angst um die Sicherheit ist kein neues und Entmündigung passiert mit teils wohlwollender Zustimmung.

Radio FM4
Mehr Ordnungswächter
Von Jänner bis Mai 2009 haben die Ordnungswächter die meisten Übertretungen gegen die Grünanlagenverordnung registriert: 1000 an der Zahl, dicht gefolgt von 900 "Alkoholproblemen".
Derzeit tun 18 Ordnungswächter ihren Dienst. Eine Aufstockung des Personals ist bereits in Planung. Die Ausbildung dauert sechs Monate, am Anfang steht ein psychologischer Test.
Finanziell zahlen sich die Kontrollgänge für die Stadt nicht annähernd aus. Von deutschen Städten mit vergleichbaren Systemen weiß man, dass die Einnahmen nicht die Kosten decken. Zudem ist das Geld zweckgebunden zu verwenden, von Gesetzeswegen müssen die Einnahmen aus den Organstrafverfügungen sozialen Zwecken zugeführt werden.
Wenn ich den Rückspiegel meines Autos drei Mal in zwei Monaten erneuern müsste, weil Betrunkene dagegen kickboxen, würde mich der Anblick der Ordnungswächter beruhigen? Wohl kaum. Und wie würde es denn ohne Ordnungswache in Graz aussehen?
Singapur hat seine berühmt-berüchtigte Kaugummiverordnung übrigens 2004 teilweise wieder gelockert.