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Das Biber

Artikel aus dem Stadtmagazin für Wien, Viyana und Beč. Mit Scharf.

6. 6. 2009 - 13:57

Josip Broz Superstar

Tito ist nicht tot. Er lebt als Objekt der Sehnsucht in den Köpfen und als T-Shirt Aufdruck in Serbien, Montenegro, Mazedonien und Teilen Bosniens.

Als Jugoslawe war man wer und hatte was. Darüber erstrahlte ein Sternchenfirmament aus kleinen, roten Sternen. Was am Anfang der Tito-Herrschaft stand, blieb ausgeblendet. Der Tito-Kult: Ein Schattenspiel zwischen Verbrechen, Verklärung und Vereinnahmung.

Von Bogumil Balkansky und Daniel Shaked (Fotos)

Mein Großvater und Tito

Eine Briefmarke der UdSSR mit Tito als Motiv

- commons -

  • Josip Broz 7.Mai 1892, Kumrovec bis 4.Mai 1980, Ljubljana. Schlosser, kommunistischer Revolutionsführer und Präsident Jugoslawiens. „Tito“ war sein Deck- und Kriegsname.

Mein Großvater kam bis Bleiburg. Dann war der Zweite Weltkrieg für meinen Großvater zu Ende und er schwieg die nächsten 40 Jahre über alles, was damit zu tun hatte.

Während dieser Zeit wurde ich geboren und als Baby in der Familie nur „Hruschtschov“ genannt. Das war ein blonder, rundlicher Generalsekretär der Sowjetunion. Später ging ich in die Volksschule „25. Mai“. Das ist der „Tag der Jugend" und Titos offizieller Geburtstag. Dann wurde ich „Titos Pionier“ und bekam das rote Halstuch und das blaue Schiffchen mit dem roten, fünfzackigen Stern. Kurze Zeit später war ich ein Gastarbeiter-Schlüsselkind in Wien. Und dann waren an einem Sommerabend 1985 die 40 Jahre vorbei. Als alle schliefen und nur er und ich auf der Terrasse saßen, begann mein Großvater zu sprechen.
Über Bleiburg. 1945. Als mein Großvater „Titos Partisan“ war. Und warum er damals aufhörte „Titos“ Partisan zu sein.

Kreuzweg in den Tod

Denn am Anfang dessen, was wir Jugoslawen euphemistisch „Titos Jugoslawien“ nannten, stand eines der größten Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkrieges. Der sogenannte „Kreuzweg von Bleiburg“ ist in seinen Ausmaßen und der ordinären Brutalität der Durchführung nur noch mit den Massakern von Katyn und Babi Yar vergleichbar. Bei Bleiburg in Kärnten übergaben die Alliierten alle Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Königreich SHS an Titos Partisanenarmee.

Schuldige und Unschuldige

Darunter kroatische Ustascha und serbische Tschetniks mitsamt Familien sowie Reste der muslimischen Waffen-SS-Division „Handschar“ aus Bosnien. Auch der gefürchtete Ustascha-Führer Ante Pavelic, seine Funktionäre, Minister und Mitläufer. Es waren Schuldige, denen selbst Blut an den Händen klebte und die mit den Nazis ein Terrorregime errichtet hatten. Es waren aber auch Unschuldige. Kinder, Frauen, Greise, Kranke, Verwundete...
Ihre Zahl ist bis Heute ein Streitthema. Ebenso wie die Zahl jener von ihnen, die ermordet wurden. Fest steht nur, was die Erde erst dieser Tage in Slowenien und dem Zagorje freigibt: ganze Panzergräben - bis an den Rand gefüllt mit Knochen. Und ganze Naherholungsgebiete, die mit einer Unzahl kleinerer Massengräber übersäht sind. Mancherorts braucht ein Spaziergänger nur einen Stein umzudrehen, um blanke Knochen freizulegen.

Fest steht außerdem: Nichts kann so gut sein, um es auch mit Verbrechen zu legitimieren.

Das Gute in Titos Jugoslawien

Eine Frau mit um das Auge aufgemaltem roten Stern

Daniel Shaked / Das Biber

Gutes gab es in „Titos Jugoslawien“, dem Land, wo Josep Broz „Tito“ herrschte, vieles. Gutes, das man hinter dem „Eisernen Vorhang“ bei „diesen anderen Kommunisten“ nicht kannte. Als Jugoslawe wurde man eben nicht zu den Ostblocklern hinter dem Vorhang gezählt. Man konnte leicht einen Reisepass haben. Und man konnte es sich von Zeit zu Zeit leisten, damit in „den Westen“ zu reisen. Lange Jahre profitierte die Stadt Triest im benachbarten Italien von diesem Guten an „Titos Jugoslawien“. Meine ersten Jeans waren original „Levis“ aus Triest. Bis zum Beginn des ökonomischen Bankrotts des Politsystems „Titoismus“ am Anfang der 1980er Jahre, erlebte der einzelne Jugoslawe eine Periode nie gekannten Wohlstands. Er war Bescheidener als im Westen, aber erheblich im Vergleich mit dem „Ostblock“.

Das Gute am jugoslawischen Reisepass war auch, dass es eine Rubrik gab, in die man seine nationale Zugehörigkeit eintragen konnte. Man durfte also hochoffiziell Kroate sein. Oder Serbe. Aber auch: Rom, Jugoslawe oder „ohne nationales Bekenntnis“.

Keine zensurierten Filme

Cover der aktuellen Biber-Ausgabe

Das Biber

Der Artikel "Josip Broz Superstar" ist in der Mai/Juni-Ausgabe von biber. mit scharf erschienen.

Die Musikszene war weitgehend frei von Maßregelung durch Titos Apparat, was eine innovative Generation von Bands hervorbrachte wie z. B. „Bjelo Dugme“, „Leb i Sol“, „Zabranjeno Pusenje“, „Idoli“ und viele mehr. Es gab zahlreiche Minderheitenprogramme in der Muttersprache der jeweiligen Minderheit im nationalen Fernsehen. Genauso wie eine Alphabetisierungskampagne, kultige Serien und die Live-Übertragung der Mondlandung. Alle ausländischen Filme kamen unzensuriert ins Kino und das Filmfestival in der Arena von Pula hatte europaweite Bedeutung.

Begründer der „Blockfreien“

Weltweit war „Titos Jugoslawien“ als Begründerstaat der Bewegung der „Blockfreien“ bekannt. Damals hauptsächlich junge afrikanische Demokratien, frisch aus der Kolonialherrschaft entlassen, die erst viel später zu jenen Kleptokratien verkommen sollten, die sie heute teilweise noch sind. Und Staaten wie Sri Lanka, deren Präsidentin Bandaranaike mit Tito als Mitbegründerin der Blockfreien gilt. Nicht zu Vergessen: Titos historischer Bruch mit Stalin und dem Stalinismus.

Kokta, Eurokrem und Co

Genuin jugoslawische Brands wie „Kokta“ Limonade, „Bronhi“ und „Kiki“ Bonbons, „Bajadera“ und „Eurokrem“ Konfekt, der nachgebaute Fiat „Topolino“, als „Fico“ oft Papas erstes Auto und noch einiges mehr, rundeten die Corporate Identity des „Tito-Jugoslawismus“ ab. Als Jugoslawe war man wer, hatte was und blickte in eine heitere Arbeiter-selbstverwaltete Zukunft.

Der Typ, der Hitler und Stalin einen Tritt gab

Die Trolle im Propagandakeller aber hatten ohnedies eine andere Strategie. All das Gute in Jugoslawien wurde sorgsam mit der „Persona Dramatis“ Tito verwoben. Alles, war irgendwie mit dem Partisanenführer und Vater der „Jugoslawischen Nation“, dem Kerl, der Hitler und Stalin in den Arsch getreten hat, verbunden. Aber anders als beim Personenkult um Stalin, war alles subtiler, weniger peinlich und weniger penetrant. Akzeptabler, weicher. Schluckbarer.

So formten all diese kleinen und großen, konkreten und virtuellen Goodies, ein Sternchenfirmament aus lauter kleinen, roten Sternen. Wie jenen auf meinem Pionierschifferl. Und die heutigen Tito-Nostalgiker blicken verklärt dort hinauf. Dabei vergessen sie auf die Erde zu blicken, aus der heute Knochen ragen.

Ich gelange jedenfalls zur Überzeugung, dass der Tito-Kult in Wahrheit ein Tito-Jugoslawien-Kult ist. Man mag das auch anders sehen.

Ein Gespenst als Touristenattraktion

Tito-Kultobjekte

  • Der „Blaue Zug“. Eine Zuggarnitur für Tito´s Reisen im Land. Zuletzt 1980 als Leiche. Der Zug wurde später gelegentlich für Nostalgiefahrten in Serbien eingesetzt.
  • Das ozeantaugliche Schiff „Galeb“ für Reisen in alle Welt, mit dem Tito die Staaten der Blockfreien bereiste. Die „Galeb“ ist gegenwärtig in Rijeka vertäut und wartet auf die Umgestaltung zu einem Museum.
  • Ein Maßgeschneidertes amerikanisches Flugzeug vom Typ DC-6 für Interkontinentalflüge. Heute im Besitz von „Red Bull“.
  • Die Insel Brioni. Ein „Geschenk des jugoslawischen Volkes an Marschall Tito“. Für Erholung und Staatsgäste. Heute im Besitz der Republik Kroatien als Sommerresidenz des Präsidenten.
  • Die „Nackte Insel“. Ein Hochsicherheitsgefängnis für politische Gegner. Auch „Titos Alcatraz“ genannt.
  • Seine Leiche. Sie liegt im „Haus der Blumen“ im Belgrader Stadtteil Dedinje.
  • Zahlreiche Jagdhäuser für den Hobbyjäger Tito und seine Kumpels vom Zentralkomitee.
  • Mehrere Atombunker in Serbien, Bosnien und Kroatien.
  • Eine millionenschwere Sammlung von Gegenständen, die Tito von Staatsgästen bekam.
  • T-Shirts, Kappen, Filme über Tito, Poster, und überhaupt alles was sich ein krankes Marketinghirn ausdenken kann.
Tito

Das Biber

Bis zum Beginn des ökonomischen Bankrotts des Politsystems „Titoismus“ am Anfang der 1980er Jahre, erlebte der einzelne Jugoslawe eine Periode nie gekannten Wohlstands.

Die gegenwärtige Tito-Nostalgie ist nicht überall gleichermaßen lebendig. Es gibt eine Art Nord-Süd Gefälle. Während in Serbien, Montenegro, Mazedonien und Teilen Bosniens (z.B. Sarajevo) ein Tito-T-Shirt und viele andere Devotionalien im Kiosk erhältlich sind, muss jemand, der im kroatischen Split, Zadar oder Gospic ähnliches versucht, um sein Leben fürchten. Dennoch gibt es auch in Kroatien Inseln der Tito-Adoranten. In seinem Geburtsdorf Kumrovec in der der Zagora, nördlich von Zagreb, leben die Einwohner, darunter zahlreiche Blutsverwandte Titos, vom recht schwunghaften Tito-Tourismus. Allerdings haben unbekannt gebliebene Täter vor geraumer Zeit nachts den Kopf der bronzenen Titostatue im Dorf gesprengt. Was also im Rest-Restjugoslawien eher zur Folklore tendiert, ist in Kroatien noch Kulturkampf, der durchaus auch mit Dynamit ausgetragen wird. Abgesehen von Kumrovec, ist das traditionell liberale und von einer Linkspartei regierte Istrien, der einzige mir bekannte Hort des Tito-Fandoms in Kroatien.

Wie Tito aus dem Grab geholt wurde

Eigenartigerweise kann man als Begründer der Tito-Mania in Kroatien ausgerechnet einen seiner Nachfolger, ausmachen. Franjo Tudjman, der „Vater der kroatischen Eigenständigkeit“ hatte Titos Uniform-Fetischismus auf ein neues Level der Peinlichkeit gebracht. Ein Kabarettistenduo namens „Spikom na Spiku“ thematisierte diesen Umstand und brachte mit einer satirischen Begegnung zwischen Tudjman und dem Gespenst seines toten „ehemaligen Chefs“ Tito, einen Megaerfolg auf die Bühne. Tudjman, einst „Titos jüngster General“ und damals Präsident Kroatiens, saß bei der Uraufführung im Publikum und machte saure Mine zum exzellenten Spiel.

In Serbien hat Slobodan Milosevic stets seine Legitimierung als Diktator auch aus seiner Mitgliedschaft zum engsten Kreis der Tito-Nomenklatura bezogen. Milosevic´s Partei JUL verstand sich als Nachfolgepartei der KP Jugoslawiens und Slobodan und seine Frau Mira gaben die Reinkarnation von Tito und Jovanka, dem „first and always couple“ Jugoslawiens. In Belgrad kann und konnte man T-Shirts von Tito und seinem royalistischem Gegner, dem serbisch-königlichen Oberst und Tschetnikführer Draza Mihajlovic am selben Kiosk kaufen. Aber keines mit dem Konterfei des Ustaschaführers Ante Pavelic. Solche T-SHirts würden den Verkäufer in Belgrad in Lebensgefahr bringen

Landkarte der Tito-Verehrung

In Bosnien ist die Landkarte der Titoverehrung kongruent mit der Landkarte der ethnischen Säuberungen. Wo Serben die Säuberer waren, ist Tito nicht pfui. Wo Kroaten oder Muslime die Säuberer waren, ist Tito ganz pfui. Ausnahme: Sarajevo. Eine angenehm tolerant gebliebene Tito-jugoslawische Stadt. Die letzte.