Erstellt am: 11. 6. 2009 - 05:33 Uhr
Populismus & Hate Crimes in den USA
*ursprünglich erschienen am 06. Juni 2009.
Manchmal muss man zu drastischen Mitteln greifen. Der eine Chocolate Chip Cookie zuviel verlangt nach Bestrafung. Also surfe ich die heimischen Online-Nachrichtenportale an und gebe mir die volle Dosis EU-Wahlkampf. Strache/Graf, Rassismus, Populismus, Antisemitismus. Vertraute Gesichter, neue Köpfe, Uraltsprüche.
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Meinen Freunden in Ö, die vor lauter Fremdschämen und –ärgern nicht mehr den Kopf aus dem Riesenreich der Stänkerzwerge bekommen, entgegne ich beim Wehklagen über den großen Teich immer wieder: Keine Sorge, das gibt es auch hier, im Obama-Amerika, nur halt etwas anders. Der kulturelle Unterschied, you know.
Noch immer werden in den USA anhand von Herkunft, Religion, Hautfarbe und kultureller Prägung Rassismen abgeleitet und populistisch aufgekocht. Eh klar – oder?
Der Mainstream der US-Gesellschaft scheint zurzeit zwar im Großen und Ganzen resistent gegen Hasspredigen dieser Art zu sein. Man konnte das an der relativen Gelassenheit in Bezug auf die jüngst vereitelten "Terroranschläge" und dem Mord an einen Soldaten durch US-Islamisten ablesen (obwohl der Boulevard aus allen Rohren gefeuert hat). Und das Gros der US-Bürger scheint zu realisieren, dass es sich dabei eher um hate crimes handelt und nicht um organisierten Terror - ähnlich dem Mord an dem Abtreibungs-Arzt Dr.Tiller in Kansas.
Doch die Frustration unter den Erzkonservativen scheint zu wachsen. Und aufgrund des Mangels an Nachwuchs und Alternativen in den Reihen der Republikaner gewinnen Senior-Populisten wie der ehemalige Sprecher des Repräsentantenhauses und Anführer der Republican Revolution in den 90ern, Newt Gingrich, oder Radio Talkshow Host Rush Limbaugh zunehmend an Einfluss was den Kurs der GOP und die Themenführerschaft im öffentlichen Diskurs betrifft.
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Geht es um die Republikaner oder gegen die Demokraten/Obama werden die beiden mittlerweile häufiger in den Mainstream Medien zitiert als alle anderen konservativen Politiker und Talking Heads zusammen. So letzte Woche anlässlich der Berufung von Sonja Sotomayor an den Obersten Gerichtshof der USA. Die Richterin, deren Eltern aus Puerto Rico stammen wurde von Gingrich und Limbaugh als "umgekehrte Rassistin" beschimpft. Sie hatte vor Jahren gewagt, die Erfahrung einer Latina in Sachen struggle und Gesellschaft über die von gut situierten, weißen Männern zu stellen. Aber so was von auch!
Viel gäbe es noch über den Rassismus in den nun offiziell farbenblinden USA zu schreiben, doch hier und jetzt will ich euch von einem bizarren Fernseh-Interview erzählen, das ich diese Woche auf CNN gesehen habe. Es ist ein Lehrstück in Sachen Populismus, Eigeninteresse der Medien und Bizarro-TV made in the USA.
Wieder einmal war der Ex-Governor von Illinois, Rod Blagojevich, zu Gast bei grumpy old Larry King. Wir erinnern uns: Blagojevich wurde im Januar mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt. Der State Senate hielt den Landes-Boss für schuldig, u.a. den frei werdenden Senatoren-Sitz von Barack Obama nach dessen Wahl zum US-Präsidenten dem bestbietenden Politiker angedient zu haben – es folgte ein Impeachment Verfahren. Ein strafrechtlicher Prozess in Sachen Betrug, Bestechung und Korruption ist noch ausständig. Unabhängig von dessen Ausgang wird der Demokrat Blagojevich nie wieder ein öffentliches Amt in Illinois ausüben dürfen. Auch das hat der State Senat mit überwältigender Mehrheit beschlossen.
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Seit seiner Verhaftung vor laufenden Kameras im Dezember beteuert der vom Äußeren her an eine Kreuzung aus John F. Kennedy, Alferd E. Neumann und Roy Black gemahnende Ex-Governor hartnäckig seine Unschuld. Diese, von einer PR-Firma geleitete, Medien-Kampagne nimmt mittlerweile bizarre Formen an.
Zuerst schlug Blagojevich vor, US-Talkshow Star Ophra Winfrey zur Senatsnachfolgerin von Obama zu machen. Dann wollte er in der US-Ausgabe der Reality Show "Holt mich hier raus, ich bin ein Star" mitmachen. Das hat nun das für "Blago" zuständige Gericht verhindert. Jetzt isst seine Frau tote Spinnen auf einer einsamen Insel ("She is a real hero!").
Seine eigenwillige Frisur, eine Kombination aus Donald Trump Rolle und David Hasselhoff Dichte, hat Kultstatus ("Mick Jagger uses the same hairdresser when he is visiting Chicago"); die TNA-Wrestling Company bot Blagojevich einen Job an, Psychologen bescheinigen dem Ex-Governor narcissistic personality disorder und die Vehemenz, mit der er unter Berufung auf sämtliche Philosophen, Prediger und US-Präsidenten in Talkshows seine Unschuld zu behaupten versucht, erinnert an die notorische Realitätsverweigerung des von William H. Marcy famos dargestellten Kleinspurstrategen, Jerome Lundegaard , in Fargo.
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Schaun Sie sich das an. Blagojevich im Talk mit Larry King. Hier der Link zu der Realsatire von einem CNN-Interview. Weder Jon Stewart, die Simpsons, Family Guy oder South Park, noch die Coen Brüder hätten das besser hingekriegt. The hair? It´s a living thing!