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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

5. 6. 2009 - 18:06

Fußball-Journal '09-40.

Warum ein Spiel, bei dem niemand zugegen war, dann auch nicht wirklich stattgefunden hat. Oder: der Verlust instinktiven Kollektiv-Wissens über Fußball-Strategie.

Das österreichische U21-Fußball-Nationalteam hat gestern Nachmittag in Sofia ein Testspiel bestritten (schließlich steht im Herbst die EM-Quali an) und die bulgarischen Alterskollegen dabei 1 zu 0 besiegt.

Das schaut gut aus.
Aber: was heißt das?

Es gab keine TV-Kameras vorort, es war (denke ich) niemand außerhalb des Teams mitgefahren um zu reportieren, selbst die APA holte sich den Spielverlauf wohl aus dortigen Agentur-Quellen.

Mit anderen Worten: wir haben keine Ahnung, was dort genau passiert ist. Es könnte im wildesten Fall (wie zb im Fall der Bielelfeld-Verschwörung) alles auch einfach nur erfunden sein.

So weit reicht mittlerweile die Kraft der Medien: was nicht übertragen wird, wovon nicht zumindest intensiv berichtet wird, das hat tendenziell gar nicht stattgefunden.

Der Bildbericht der Fußballsteinzeit fand im Kopf statt

Das war früher natürlich anders. Man hat sich in der ersten Blütezeit des Spiels (in den 20er und 30er-Jahren, als Österreich eine Weltmacht war, ein innovatorischer Verfechter und Vorreiter professioneller Strukturen, guten Trainings und einer feinen Technik-Schule) auf Augenzeugen und Berichte verlassen, ohne Wimpernzucken - auch weil die Wochenschau-Kamera wochenlang hinterherzuckelte und dann zwar atmosphärische, aber für den Spielverlauf unwichtige Momente zu heute grotesk anmutenden Spielberichten zusammenschusterte.

Dass das Spiel damals, ganz ohne Fernsehen, auch einen unglaublichen Publikums-Erfolg samt ausgehungertem Interesse nach sich ziehen konnte, war einerseits einem (zumindest in Österreich) weitaus größeren Live-Publikum als heute zu verdanken, andererseits aber auch einem wesentlich höheren strategischen Verständnis des durchschnittlichen Fans.

Der wusste, wenn er die Aufstellung "seiner" Mannschaft sah, wie sie gespielt haben musste. Auch weil die Systeme klar abgesteckt waren, bzw es lange Zeit, bis in dien 50er, letztlich nur eines gab: das sogenannte WM-System eine Art 3-2-5, das zb auch Österreichs Wunderteam spielte, aber auch die Herberger-Truppe und sogar noch der brasilianische Weltmeister (mit dem jungen Pele) von 58 und 62.
Erst die WM 1966 brachte die Abkehr und die Umstellung auf das, was heute im Groben noch gilt (4-4-2, 4-3-3, 4-2-4 etc).

Der Matchbericht im TV-Zeitalter findet im Nirgendwo statt

Seitdem heißt es massiv mitzudenken und sich ununterbrochen mit einer der Spielsituation angepassten Strategie zu beschäftigen - für Spieler und Betreuer sowieso, für die Fans in noch viel anstrengenderem Maße.

Da Fußball etwa zeitgleich TV-Sport wurde, verließ man sich auf die (neue) Wucht der (Live-)Bilder und vernachlässigte die (davor viel einfacher zu handhabende) strategische Bildung.

Was letztlich dazu führt, dass wir die Fähigkeit verlernt haben, ein Spiel aus der Distanz (also nur über seine Daten) lesen zu können.

Dieses Gefühl, dieses instrinktive kollektive Wissen der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, ist verloren gegangen, bei den Fans zu erheblichem Teil, aber auch bei den hiesigen Verantwortlichen. Die, die es gewohnt sind, sich auf die Praxis auszureden, wenn es Erklärungsbedarf gibt (Host es doch eh gsehn oder? Wos frogst deppat!), sind mittlerweile nicht mehr imstande ein Spiel, das nicht zu sehen war, aufzudröseln. Ohne Video/DVD-Mitschnitt bricht alles zusammen, es fehlen die Worte, die sprachlichen und bildlichen Mittel.
Nicht dass die Sprache über Fußball früher ausschließlich eine torberg'sche war, sie war mehrheitlich natürlich "tiaf", aber sie behandelte strategische Inhalte, die heute off limits sind.

Die Rettungsaktion zum U21-Testmatch

Die wahrscheinlichen Aufstellungen zu diesem Phantom-Spiel:

1. Halbzeit:
Königshofer;
Fabian Koch, Ramsebner, Margreitter, Pürcher;
Patrick Salomon, Ilsanker, Seidl;
Guido Burgstaller, Mathias Koch;
Benjamin Sulimani.

2. Halbzeit (46. - 60.)
Schober;
F. Koch, Ramsebner, Margreitter, Seidl (?);
G.Burgstaller, P.Salomon, Ilsanker, M. Koch;
B. Sulimani, Nuhiu.

2. Halbzeit (ab 62.), womöglich:
Schober;
F. Koch, Manuel Wallner, Margreitter, Seidl (?);
Mario Leitgeb, P. Salomon, Ilsanker;
Julius Perstaller, Nuhiu, Elsneg.

Der ÖFB in Gestalt seinen Presse-Mitarbeiters Werner Germ verdient insofern ein Sonderlob, als er (bzw Germ) wohl ebenso instinktiv kapiert hat, dass bei 0 Bildern/Info ein Erklärungs-Notstand gegeben ist, den er mit einem direkt nach Spielende geführten Gespräch mit dem zuständigen Chef-Coach Andreas Herzog, der hier auf der ÖFB-Website erschien beheben wollte.

Aber natürlich kann in einem kurzen Gespräch, das auch gleich noch fünf andere Themen (von der EMQuali-Spionage über den Co-Trainer-Status bis zum hoffnungsfrohsten Talent) behandelt, kein Bild dieses Spiels erzeugt werden.

Das fiel allerdings schon davor schwer.
Herzog/Pfeifenberger hatten in ihrem ursprünglichen Kader nämlich keinen Links-Verteidiger, aber beriefen den, der das zuletzt besorgte (Dominic Pürcher, Sturms Leihgabe in Grödig) dann doch nach. Allerdings wurde Pürcher in der 2. Halbzeit durch den Stürmer Nuhiu ersetzt, auch weil Herzog, wie er in dem Gespräch anmerkt, von 4-3-3 (also defacto einem 4-3-2-1) auf ein 4-4-2 umstellte. Welcher seiner Mittelfeldspieler sich dann auf der Linksverteidiger-Position abmühen mußte, bleibt im Dunklen.
Auch die gleich vier Wechsel in der 60./62. Minute, also NACH dem Führungstor, das Benjamin Sulimani in der 55. erzielte, können nicht spurlos am System vorbeigegangen sein: da kam etwa der defensive Mittelfeldspieler Mario Leitgeb (no relation) für den offensiven Flügelspieler Guido Burgstaller und das Stürmertalent Dieter Elsneg für den offensiven Mittelfeldspieler Mathias Koch (der wohl auch am Flügel gespielt hatte) - das deutet auf eine neuerliche Umstellung, eher wieder auf ein 4-3-3 hin.

Allein, wir wissen's nicht, weil ja niemand dabei war und ehschonwissen: der Baum, der im Wald umfällt und keiner hörts, macht kein Geräusch; oder: Bielefeld, wieder einmal.

Rückstoß ins vorige Jahrtausend

Im übrigen, und das ist auch ein Hintergrund meiner kleinen Thematisierung dieses Aspekts, ist es keinesfalls gesichert, dass der ORF die im Herbst startenden Unter 21-Qualifikationsspiele für die U21-Euro 2011, die sich dann über ein Jahr ziehen wird (Gegner: Schottland, Belarus, Albanien, Azerbeidjan) so wie zuletzt üblich übertragen werden wird: geringes Publikums-Interesse, Sparkurs, Restriktionen, was Sport-Plus (auf TW1) betrifft; dazu kommen die schwierigen Übertragungs-Bedingungen in drei der Gegner-Länder.

Das ist ein wenig traurig und auch ein bisserl dramatisch. Und es wird nötig sein, das Instrumentarium hochzufahren, was Sprache und Übermittlung und altes kollektives Wissen um die Beschreibbarkeit von bilderlosem Fußball betrifft.

Die zeitgleich mit dem Confed-Cup angesetzte heurige U21-EM in Schweden (die Österreichs Teams aus bekannten Gründen vergeigt hat) wird sehr wohl zu sehen sein, tv-technisch.

Sich zu qualifizieren ist also immer die beste Methode dafür gut sichtbar zu sein.