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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

3. 6. 2009 - 17:09

Pretty in Pink

Eine sehr subjektive Querlese des diesjährigen Identities-Programms

Ich weiß nicht mehr genau, wie viele wütende Tweets ich gelesen habe, als bekannt geworden ist, dass der Brigittenauer Deutsch-Rapper Ramses – einer von drei Köpfen der Formation Absolut HIV – im Club 2 zum Generalthema „rechte Jugend“ zu Gast sein wird, um mit einer Selektion von „Experten“ eben über sich selbst und alle anderen zu reden. Von Verhetzungen und Hasspredigten war da die Rede, von einem verantwortungslosen ORF, der diesem jungen Mann, der ja so offenkundig gegen Homos ansingt, eine Plattform zur Selbstdarstellung und – noch viel schlimmer – Selbst-PR errichten würde.

Identitäten

Gekommen ist dann alles ganz anders: Ramses hat sich zurückgehalten und zurückgezogen in die Tiefen des Sofas, wirkte wie aus seinem Lebensalltag und –umfeld ausgehebelt, diskursfähig gemacht. Ich möchte ihm an dieser Stelle nicht nach dem Mund reden, ganz sicher nicht, will ihn auch nicht verteidigen, vor allem aber will ich ihm keinen Maulkorb umhängen, weil er frech, echt und – ja – politisch inkorrekt, vielleicht sogar aggressiv und gefährlich ist.

Moment

Sasha Baron Cohen hat ja ein ganzes Jahr lang in Wien gelebt, muss die Inspirationsquelle zu seinem Brüno in dieser Zeit erlebt, vielleicht sogar kennengelernt haben. Alfons Haider, der in einem Interview gesagt hat, dass er sich heute nicht noch einmal zu seiner Homosexualität bekennen würde, hätte er die Wahl, denn daraus seien ihm massive finanzielle Nachteile entstanden, taugt als Rollenmodell, muss es aber nicht gewesen sein. Jedenfalls segelt dieser Brüno dann vor wenigen Tagen als Engel von der Decke, hinab ins Auditorium der MTV Movie Awards, landet – wie könnte es anders sein – kopfüber auf Eminems Schoß, hält dem Milchjungen seinen von einem Tanga-Slip in zwei makellose Hälften geteilten Arsch mitten ins Gesicht. Der Rapper, der dereinst mit Elton John aufgetreten ist, schöner als Live Aid eigentlich, steht daraufhin wutentbrannt auf, verlässt den Saal mit seinen Bodyguards und ward nicht mehr gesehen.

Moment

To be gay equals X. Ah, mit meiner pinken Machete schlag ich mir den Weg durch den Identitätsdschungel. Ich nehme Tor A. Jetzt habe ich ein Auto gewonnen. Verbaldurchfall beiseite, seitenweise Schönheit im Identities-Programm 2009. Extravaganza and Eleganza, wie RuPaul flöten würde.

Identities

Frau marschiert

Identities

Zeichen des Aufbruchs: Before Stonewall

Programm, programmatisch: Das Ende der Geschichte ist noch lange nicht da. Vierzig Jahre Stonewall schreibt Barbara Reumüller in ihrer Einleitung plus fünfzehn Jahre Identities. Grund zum Feiern, kein Grund zum Feiern. Ein Zentralstück der diesjährigen Auswahl ist der Dokumentarfilm Before Stonewall des Regie-Duos Greta Schiller und Robbie Rosenberg (beide werden in Wien sein), eine verspielte, gefühlsechte Aufrollung der Homo-Historie des 20. Jahrhunderts bis hin zu diesem Junitag des Jahres 1969, an dem neue Geschichten geschrieben worden sind. Etwa auch die von Harvey Milk, dessen utopische Politik als erster offen schwuler Politiker der USA im Zentrum steht von Gus Van Sants feinem Biopic.

Gerade bei homosexuellen Regisseuren und Filmemacherinnen fehlt oft diese Aufbruchsstimmung, der Drang das Medium, die Kunst dazu zu verwenden, den Status Queer zu hinterfragen, zu diskutieren. Beispielhaft vorexerziert wird jene radikale Persönlich-Machung der Kameramaschine von den Italienern Gustav Hofer und Luca Ragazzi in Improvvisamente l'inverno scorso: ein schwules Journalistenpaar, das nach der Angelobung der Mitte-Links-Regierung im Frühjahr 2006 mit hoffnungsschimmernden Augen durch das südeuropäische Land reist, Stimmungen einfängt, Menschen trifft: vom Vatikan, von der konservativen Machtelite werden Hasswellen los getreten, es kommt zu Auseinandersetzungen. Der Traum, dahin.

Zwei junge Männer streiten am Tisch

Identities

Plötzlich, im letzten Winter: Alles scheint machbar, nichts ist möglich
Mann mit Brille

Identities

Geheime Orte des spanischen Kinos: Los Placeres Ocultos

Ein anderes erzkatholisches Land, eine andere Geschichte: In Spanien sind homosexuelle Menschen rechtlich gleichgestellt, dürfen heiraten, auch Kinder adoptieren. Proteste gab es auch hier, aber die sind leiser geworden. Verstummen werden sie eh nie. Politik macht Gesellschaft. Identities legt 2009 einen Schwerpunkt auf das queere Kino Spaniens, zeigt neben aktuellen Produktionen auch Eloy de la Iglesias 1976, ein Jahr nach dem Ende der Franco-Diktatur, gedrehten Los Placeres Ocultos: die Geschichte eines Verzweifelten, eines Außenseiters, eines Bankers (!), der sich Stricherjungs in die Wohnung holt, sich dann in einen 17-jährigen Boy verliebt. Ein Meilenstein für das schwule Kino Spaniens. Überhaupt holt das queere Filmfestival einige nennenswerte Klassiker ins Land, hievt sie auf die Leinwand: Robert Aldrichs Meisterstück The Killing of Sister George gibt es in 35mm, Rosa von Praunheims Manifest Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt zeigt man in der Originalfassung auf 16mm: zwei Schmankerln, die es aufzufressen gilt.

Halbnackte Männer rauchen eine Zigarette

Identities

Rauchen mit Rosa von Praunheim: Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt
Blowjob

Identities

Nur einer von vielen Erotic Films of Peter De Rome

Vor der Salonfähigwerdung von Homosexualität im Erzählkino – allmählich, ab Mitte der Achtziger Jahre – waren vor allem schwule Filmemacher aktiv in zwei augenscheinlich entgegengesetzten, eigentlich aber nahverwandten Genres: der Avantgarde und der Pornografie. Triebe, Lüste, Bildergeilheit: Verdrängtes, Subkutanes bricht durch; neue Zusammenhänge erschließen sich. Pioniere der Verknüpfung von Porn und Art wie Kenneth Anger treffen auf Privat-Filmer wie Peter De Rome, der mit seinen zärtlichen, harten Movies – die eigentlich gar nicht zur Veröffentlichung, sondern nur für den Hausgebrauch bestimmt waren – stilprägend werden sollte: The Erotic Films of Peter De Rome ist. Ein anderer Grenzgänger zwischen Avantgarde und Pornografie war Fred Halsted, der beim Identities zum einen mit seiner expliziten Anger-Nachlese Sex Garage (bemerkenswert: ein Bursche steckt seinen steifen Schwanz in den Auspuff eines Motorrads), zum anderen mit seinem beunruhigenden Mysterienspiel (mit Anfassen) L.A. Plays Itself vertreten ist: Pflichttermine!

Mann

Identities

Eine Stadtsymphonie, ein Schwulenporno, unvergesslich: L.A. Plays Itself. Großwerk von Fred Halsted

Und jetzt auf und raus: um eigene Geschichten zu finden, eigene Erfahrungen zu machen. Identitäten gibt es ja genug da draußen.