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Michael Fiedler

Politik und Spiele, Kultur und Gegenöffentlichkeit.

4. 6. 2009 - 11:33

Glanz im Gloria

Battle for the sun. Placebo präsentieren ihr neues Album im Kölner Gloria Theater vor 800 Fans und Journalisten.

Gloria Theater

Michael Fiedler Radio FM4

Köln ist kalt. Kälter als ein Wien, in dem es seit gut einer Woche jede Nacht regnet. Aber was soll man auch von einer Stadt erwarten, in der der Hauptbahnhof die Zugreisenden direkt vor die Tore des Doms ausspuckt. Bahnhof Europa-Mitte im Haas-Haus sozusagen. Als ob sich jemand eine klare Botschaft an Touristen überlegt hätte: Wir bringen euch direkt zur zentralen Sehenswüdigkeit, dafür steigt ihr - nach einem überteuerten Mittagessen mit Blick auf die Kirchenmauer - aber bitte sofort wieder in den Zug und fahrt weiter nach Frankfurt oder Stuttgart. Das Sushi ist aber ausgezeichnet und vor dem Goria Theater trotzen schon nachmittags die ersten Fans dem schneidenden Rheinwind.

In der Kölner Innenstadt wetteifern Porno-Kinos und Galerien um zahlenmässige Überlegenheit und zahlungskräftige Kundschaft und es schaut ganz nach einem Unentschieden auf niedrigem Niveau aus. Das Gloria Theater war auch mal so ein Sexfilm-Schuppen und bestätigt eine alte Theorie von mir: Porno-Kinos können verdammt viel Charme entwickeln, wenn sie erst einmal keine Porno-Kinos mehr sind. Samt und Plüsch machen mit Trauben von Diskokugeln einfach mehr her.
Und Placebo, denen auch irgendwie etwas Verruchtes anhängt, hätten sich kaum einen besseren Ort aussuchen können, um ihr neues Album "Battle for the Sun" zu präsentieren. Der Kölner Radiosender Eins Live veranstaltet das Konzert, es ist in etwa das Gegenstück zu unseren Radiosessions.

Keine Kritikerangst

Michael Fiedler Radio FM4

Einlass ist in 5 Stunden? Was solls.

Eigentlich sollte man ja meinen, dass sich eine überaus bekannte Band schwerer damit tut, neues Material zu präsentieren, das noch niemand kennt und das nach eigener Aussage auch irgendwie anders klingen soll. Allzuschnell wird aus der musikalischen Weiterentwicklung ein Verrat an der Basis. Da greift man doch gerne auf Altbekanntes zurück, um die kritischen Geister/ Ewiggestrigen vor der Bühne zu besänftigen. Anders Placebo.

Gleich zu Beginn kommt ein Block neuer Songs, die wirklich einfahren: "Kitty litter", das unter den 13 Liedern auf "Battle for the sun" wohl am nächsten an die "alten" Placebo herankommt. Nch der Zuschauerreaktion haben es Einige in den ersten Sekunden sogar mit einem der großen Hits verwechselt. Danach "Ashtray heart", das ebenfalls an die Anfänge der Band zurückführt, wenn auch nicht unbedingt musikalisch: Placebo haben sich bei der Gründung der Band eigentlich nach dem gleichnamigen Lied von Captain Beefheart benannt, den Namen aus Gründen der Sperrigkeit aber verworfen. Und auch wenn die Metapher vom Herzen voller Tschikstummel recht pathetisch und nicht die unverbrauchteste ist - das geht schon in Ordnung. Wir sind hier schließlich bei Placebo.

Brian Molko

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Ein neuer Sound: Zur Gitarre kommen die Geige und Frischfleisch am Schlagzeug.

Michael Fiedler Radio FM4

Beim Albumtitellied "Battle for the sun" darf Brian Molko zeigen, dass er das Wort "dirty" am allerdreckigsten aussprechen kann. Das gefällt ihm sichtlich und den kreischenden Fans in den ersten Reihen auch. Irgendjemand hält ein "Brian"-Schild in die Höhe. Dann kommt die Bewährungsprobe des Abends: Die (zumindest unter den Kölner Konzertbesuchern) ungeliebte erste Singleauskopplung For what it´s worth. Doch das Lied rollt live über alle Poppigkeitsvorwürfe einfach drüber. Ein perkussionsgewordener Panzer. Wie überhaupt der neue Schlagzeuger Steve Forrest die Pauken härter prügelt, als sein Vorgänger Steve Hewitt. "Ich habe den Eindruck, er kommt aus dem Punk." sagt eine Besucherin nach der Show, "Er bringt irgendwie mehr noise hinein." Das ist große Veränderung im Sound von Placebo: Das Schlagzeug drängelt sich an den richtigen Stellen in den Vordergrund, ohne dabei aber die anderen Instrumente wegzuschubsen. Ganz, als würde es bis an den Rand der Bühne kommen, sich so weit es geht nach vorne lehnen und noch ein bisschen lauter drehen.

Stefan Olsdal, Placebo

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Der schärfste Placebo gibt Gas

Erst dann wird mit "Soulmates" ein Hit angestimmt, und ab nun wechelt sich altes und neues Liedgut ab. Und plötzlich fällt auf, dass die junge Dame am Keyboard ja auch Geige spielt - und dieses Instrument hervorragend zu Placebo passt. Vor allem in "Julien" nimmt die Violine einen tragenden Part ein und erinnert ein bißchen an Suds and soda von dEUS. Wenn das die "orchestrale" Weiterentwicklung ist: Gerne mehr davon. Stefan Olsdal wechselt zwischen Gitarre und Bass und weiß es gut zu verbergen, dass eigentlich er die Band musikalisch fürt. Besonders Augenscheinlich ist das gegen Ende des Konzerts (bei "Bitter End"?): Minutenlang steht er mit verschränkten Armen auf seiner Seite der Bühne, bis ihm jemand seinen Bass umhängt und plötzlich alles bebt. Wahrscheinlich hat ihm dieser Moment nach dem Konzert den Titel "der schärfste Typ der Band" eingetragen.

Michael Fiedler Radio FM4

Nachzuhören in der Homebase

Und weil es schade wäre, dass ein so großartiges Konzert nur von knapp 800 Leuten gehört wird, überträgt FM4 in der heutigen (4. Juni 2009) Homebase (19-22) den Mittschnitt des gestrigen Gigs im Gloria Theater in Köln. Beginn der Übertragung ist 20 Uhr 25.

artist song  
Placebo KITTY LITTER  
Placebo ASHTRAY HEART  
Placebo BATTLE FOR THE SUN  
Placebo SOULMATES  
Placebo SPEAK IN TONGUES  
Placebo COPS  
Placebo EVERY YOU  
Placebo JULIEN  
Placebo SPECIAL NEEDS  
Placebo NEVERENDING WHY  
Placebo DEVIL IN THE DETAILS  
Placebo HAPPY YOU’RE GONE  
Placebo MEDS  
Placebo COME UNDONE  
Placebo SPECIAL K  
Placebo SONG TO SAY GOODBYE  
Zugabe: ------------------------------  
Placebo INFRA – RED  
Placebo WOULDN’T IT BE GOOD  
Placebo BITTER END  
Placebo TASTE IN MEN