Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "You want to suffer? "

Susi Ondrušová

Preview / Review

2. 6. 2009 - 21:49

You want to suffer?

Höre Jarvis Cocker und seine „Further Complications“ oder?

Go to a rock show!

Oder nach Chicago eben. Etwas verwundert war er schon. Der gut angezogene Jarvis Cocker meint im BBC6Music-Interview, wie können die Menschen sagen, sein neues Solo-Album „klinge typisch Steve Albini“? Wenn es doch Steve Albinis Job als „sound engineer“ in seinem electrical audio Studio ist, einen möglichst „authentischen“ (oder auch maßgeschneiderten, also ohne Blasen und vorstehende Zehen) Fußabdruck einer Liveband aufzunehmen. Steve Albini nimmt bekanntlich jeden, der zahlungsfähig ist, Steve Albini hat keine öffentliche Meinung zu den Bands, die er aufnimmt, Steve Albini hasst das Nirvana-In-Utero-Kapitel in seinem Leben wohl genauso wie ... – na lassen wir das, also Steve Albini ist „happy if the band is happy“ und Jarvis war happy.

Boris Jordan über Jarvis Cocker's Song "You're In My Eyes"

Jarvis Cocker wollte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die Zeit und die zum Chicago-Showcase dazugehörigen Flugmeilen genauso sinnvoll nutzen wie den niedrigen US-Dollar. Die Ökonomie ist nicht zu unterschätzen, schließlich könnte man „Further Complications“ im gesungenen Zustand auch in „Apple Applications“ ummodeln und „if someone comes up with a giant suitcase of money“ könnte auch noch ein „Common People“ rauskommen – also eine Pulp-Reunion! In echt? Nicht wahr. Gehen wir lieber in den Hyde-Park Blur in Ameisengröße schauen und reden wir nicht mehr über meinen Hintern und Michael Jacksons Earth Song. (Achja, es waren die Bauchmuskeln).

Albumcover Further Complications Jarvis cocker

Jarvis Cocker

„Let it penetrate your consciousness“

Das neue Jarvis-Album ist schlecht und gut. Schlecht, weil es von einem auf der Witzewelle reitenden abgeklärten alten Herren geschrieben wurde. Gut, weil die Musik darauf von Jarvis Cocker und Steve Mackey geschrieben wurde. Im Vergleich zum Solo-Debüt 2006 hat Jarvis nämlich seine Bandkollegen (darunter auch natürlich Ross Orton und Simon Stafford und Tim Call und Martin Craft) in den Songentstehungsprozess miteinbezogen. Eine gute Entscheidung sich dafür in Chicago eingemietet zu haben. War „Jarvis“ noch dominiert von weltlichen Themen wie der allgemeinen Erleuchtung rund um den Lauf der Welt (Cunts Are Still Running The World), eben den „Fat Children“ oder der Irrfahrt von „Ausschwitz to Ipswich“ bot es eigentlich schon mit „Don't Let Him Waste Your Time“ den ersten Hinweis auf die Steigerungsform des Lovesongs according to Jarvis: „Fuckingsong“! Wenn nichts mehr geht, wird auf das essentielle Naheliegende Bezug genommen: „I will never get to touch you, so I wrote this song instead“. Ja ja, der Popsongs als die optimale Spiegelfläche der Wunschbeziehung. Der Popsong als Fluchtweg. Wohin der „Caucasian Blues“ führt oder die Surf-Fingerübung „Pilchard“, erschließt sich mir nicht, Füllersongs sind und bleiben Füllersongs oder eben „Leftovers“ (Track 4).

Jarvis war einfach schon mal lustiger, redegewandter, klüger und gewitzter. „Further Complications“ ist ein Album der emotionalen Inneneinsichten, mich interessieren sie nicht sonderlich und die NME-Überschrift „It's about fucking a lot of people!“ war diesmal nicht frei erfunden. Aber es wär nicht Jarvis Cocker, wenn er die Antwort auf sein neues Nach-Außen-Gekehrtes-Gescheitertes-Neugefundenes-Sexuelles-Ich nicht gleich mitliefern würde: Track Nummer 5: "I Never Said I Was Deep".

Jarvis Cocker und Martha Wainwright.

Cape Farewelle

Dafür unschlagbar: Der Song der während der Cape Farewell Expedition Anfang des Jahres entstanden ist: Slush, Track Nummer Acht. Wunderbar elegischer Song mit ein wenig fieldrecordings aus dem Eis: „If I could, I would refrigerate this moment!“

Mein erstes Album für die Tiefkühltruhe. Bis zum Auftritt beim FM4 Frequency taut es womöglich eh wieder auf, keine Sorge.