Erstellt am: 1. 6. 2009 - 18:00 Uhr
Chicks on Speed: Cutting the Edge
Florian Schulte / Donaufestival
Noch vor wenigen Wochen waren die Chicks on Speed, nach dem Weggang von Kiki Moorse einerseits zum Duo geschrumpft und andererseits als offenes Kollaborationskollektiv um zahlreiche lose Mitstreiterinnen erweitert, einen ganzen Abend lang auf dem Donaufestival zu sehen. Doch was heißt zu sehen: Als Kuratorinnen des nach ihrer CD-Compilation und die daran angeschlossene Veranstaltungsreihe benannten „Girl Monster“-Abends hielten sich die verbleibenden zwei Bandmitglieder, Melissa Logan und Alex Murray-Leslie, meist dezent im Hintergrund, während die von ihnen ausgewählten Performances und Konzerte über die Bühne gingen. Erst beim furiosen Finale, dem von Gustav geleiteten Girl Monster Orchestra, standen auch die beiden Ur-Chicks mit auf den Brettern.
Chicks on Speed: Cutting the Edge (Chicks on Speed Records / Indigo) - bereits erschienen
Chicks on Speed
Dieses Vorgehen ist in gewisser Weise auch symptomatisch für ihr soeben veröffentlichtes Doppelalbum mit dem ironisch unbescheidenen Titel „Cutting the Edge“, wie stets auf ihrem eigenen Label Chicks on Speed Records veröffentlicht. Nachdem die Chicks schon von Anfang an, in Ablehnung des rockistischen Authentizitätsgedanken, immer mit verschiedenen Produzenten kollaboriert hatten, sind sie jetzt, auch durch die Abhaltung von Veranstaltungen am Theater, in ihrer Arbeitsweise noch offener geworden. Ständige Mitstreiterinnen sind z.B. Anat Ben-David, A.L. Steiner, Kathi Glas und die Pariserin Faustine Kopiejwski von der Band Koko Von Napoo, und bei Live-Auftritten kann es schon mal vorkommen, dass bis zu 15 Frauen auf der Bühne stehen.
Musikalisch ist der charakteristisch überdrehte Chicks-Sound immer noch zentral, aber auch neue – bzw. eher alte – Einflüsse lassen sich herauspicken: Eurodance, 1990er-Rave-Techno, düsterer Retro-Electro und kaugummisüße Girl Group Vibes werden ohne Berührungsängste hervorgekramt und ordentlich abgestaubt.
Die Chicks leben nicht mehr in Berlin – Melissa lebt mit Mann und Kind in Hamburg, du in Barcelona. Ist die deutsche Hauptstadt mittlerweile weniger spannend?
Alex Murray-Leslie: Ich glaube, es gab eine Zeit, in der es sich für uns wirklich gut anfühlte, in Berlin zu arbeiten. Um 2000 lebte dort eine riesige Szene von Leuten, die ähnlich drauf waren wie wir. Aber wenn man so viel herumreist, lernt man andere Orte kennen, und manchmal kommt auch noch die Liebe dazu, die einen beeinflusst ... Ich habe von 2000 bis 2003 in Berlin gelebt, und ich muss sagen, dass ich dort nie die Zeit hatte, ein großes Netzwerk von FreundInnen aufzubauen, weil ich immer so damit beschäftigt war, für die nächste Reise zu waschen und zu packen. Ich habe aber ein paar sehr gute FreundInnen in Berlin und liebe es, auf Besuch dort hin zu fahren.
Im Booklet zur CD gebt ihr bzw. Vivien Goldman zehn Tipps, wie man ein Album machen sollte. Nr. 9 ist „Record on the run“. Habt ihr euch selbst daran gehalten und tatsächlich auch via Skype aufgenommen?
Ja, wir haben das Album buchstäblich in zehn verschiedenen Ländern online und offline aufgenommen. Bei den Städten waren das unter anderem: Wien, eine Farm in Oxford, ein Studio in London, ein Hotelzimmer in New York, ein Flugzeug nach Riga, im Studio der Band Astrud in Barcelona, wo wir auch nackt auf dem Dach getanzt und gleichzeitig mit der Aufnahme des Songs ein Video gefilmt haben! Außerdem haben wir im Berliner Studio von Planningtorock mit den internen Mikros von Laptops gearbeitet und über Skype mit Fred Schneider für die Aufnahme von „Vibrator“. Skype ist ein großartiges Werkzeug für uns. Wir benutzen es tatsächlich, um zu proben und gemeinsam Kunst zu machen. Es hält die Gruppe zusammen, kein Witz!
Insight / Chicks on Speed
Woher kamen die teilweise recht ungewöhnlichen musikalischen Einflüsse für die neuen Stücke?
„Super Surfer Girl“ ist ganz direkt beeinflusst von der Beach Boy Surf Music der 1960er – und dem Wunsch, diese Erfahrung auch als eine weibliche Erfahrung kenntlich zu machen, was früher leider nie der Fall war. Surfende Frauen wurden erst in den mittleren bis spätern 1970ern autonom! Damals hatten sie also keine eigene Musik, sie wurden nicht anerkannt und mussten hart für ihre Präsenz im Wasser kämpfen. „Art Rules“ entstand ganz klar als Spiegel der Kunstwelt. Wir haben dabei bewusst auf Euro Dance zurückgegriffen, denn das ist ein Rezept, das immer funktioniert und die Leute zum Tanzen und Spaß-haben bringt. Wir wollten eine Partyhymne für Kunstpartys und die Kunstwelt im Ganzen kreieren, indem wir auf unseren eigenen Song „Fashion Rules“ anspielten und uns gleichzeitig von Douglas Gordon, unserem „Art Star“ und vor allem unserem Freund, inspirieren ließen.
Wie kam es zum Peter-Weibel-Cover "Sex in der Stadt"?
Ich bin schon lange Fan von Peters Arbeiten aus den 1960ern mit Valie Export. Als ich an der Kunsthochschule München studierte, habe ich sogar darüber nachgedacht, meine Klasse zu wechseln, um bei ihm studieren zu können. Das Reworking des Stücks war die Idee von Christopher Just, und als wir es dann angingen, hat es einfach perfekt funktioniert! Das Riff im Original-Stück ist einfach mörderisch gut und seine Übersetzung in Beats hat hervorragend funktioniert. Das Wunderbare war zusätzlich, dass wir den Song Peter geschickt haben, er ihn wirklich gut fand und uns dann eingeladen hat, am ZKM in Karlsruhe, wo er lehrt, zum 10. Geburtstag der Institution zu spielen.
Insight / Chicks on Speed
In "Worst Band in the World" singt ihr darüber, dass andere Bands euch zwar imitieren können, aber niemals so wie ihr sein werden. Ist das ein knallharter Bash oder doch eher ironisch gemeint?
Der Song besteht aus den schlechtesten Bandnamen der Welt, die wir von dieser Website haben: joe-ks.com. Wir haben Chicks on Speed dazu addiert, so dass es eine Art von Selbstironie und nicht sehr ernst gemeint ist.
Es war ja immer geplant, dass aus eurer Compilation-CD „Girl Monster“ mehr wird als nur eine Sammlung cooler Musikerinnen. Mittlerweile habt ihr am Hamburger Kampnagel schon einige Veranstaltungen unter diesem Titel gemacht, eine auch zum Thema Crafting, also der hippen Neubewertung von Handarbeit. Was bedeutet das für euch?
DIY Ethics, also die Ethik des Selbermachens, waren schon immer ein Teil von uns, seit dem ersten COS-Konzert in London, wo wir backstage saßen und unsere Papierkostüme angemalt haben. Ich glaube, unsere Buch-Veröffentlichung „Chicks on Speed: It’s a project“ bietet einen ganz guten, umfassenden Überblick über unsere Handarbeits-bezogenen Projekte der letzten zwölf Jahre, vom Kleider-Siebdruck für andere Leute im Bon Marché in Paris über das Stricken auf der Bühne in den USA während unserer Electroclash-Tour 2003 bis hin zum Herstellen unserer eigenen Gaffa-Tape-Bühnenschuhe mit Kai Knappe in Berlin.
Chicks on Speed
Crafting und COS gehen Hand in Hand, sie sind quasi miteinander verstrickt. Ich glaube, Crafting ganz traditionell als Handarbeit zu interpretieren ist nur eine Sichtweise von vielen, man kann es z.B. auch als soziopolitische Bewegung sehen, die von Jane Adams im Hull House in Chicago um die letzte Jahrhundertwende gestartet wurde und die sich bis heute in Crafting Circles von Frauen aus der ganzen Welt erstreckt. Für uns ist Crafting die Neuerfindung des Feminismus.
Zudem gibt es auf der ganzen Welt eine riesige Renaissance des Crafting – besonders interessant ist hierbei Faythe Levines Dokumentarfilm Handmade Nation. Wir hatten sie auch als Gastsprecherin auf den Kampnagel eingeladen, wo sie ihren Film präsentiert hat. Außerdem sind wir große Fans von „Prick Your Finger“, die wir mit ihrer Spinn-Performance auch nach Krems eingeladen hatten, und der Schmuckdesignerin Tatty Devine aus London.