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Elisabeth Scharang

Geschichten über besondere Menschen und Gedankenschrott, der für Freunde bestimmt ist.

1. 10. 2010 - 18:46

Zum Tod von Oswalt Kolle

Das Doppelzimmer Spezial von Mai 2009 zum Nachhören.

Update, 1. Oktober 2010

Der „Aufklärer der Nation“ und Journalist Oswalt Kolle ist am 24. September 2010 81-jährig in Amsterdam verstorben, wie seine Familie heute bekannt gab. In den 1960er Jahren war Kolle Vorkämpfer der sexuellen Aufklärung. Das Doppelzimmer Spezial von 31. Mai 2009 gibt es aus diesem Anlass demnächst hier zum Nachhören

Doppelzimmer Spezial

Die Unterscheidung zwischen sexueller und emotionaler Treue. Das war die Grundlage einer fast 50 Jahre langen Ehe, die zu Ende gegangen ist, weil Marlies Kolle an Krebs verstorben ist. Am Sterbebett hat sie ihrem Mann das Versprechen abgerungen, sich bald eine neue Frau zu suchen, weil sie nicht wollte, dass er alleine und ohne die Liebe einer Frau lebt. Mit seiner neuen Liebe ist Oswalt Kolle kürzlich auf Wienbesuch gewesen. Im Zuge der Porno-Austellung in der Kunsthalle in Wien war Kolle zu einem Vortrag eingeladen.

Aber zurück zu unserem Ausgangspunkt: Der junge Oswalt Kolle, Sohn eines Psychiaters, der auf Grund seiner liberalen Ansichten von den Nazis Berufsverbot erhält und es auch im Nachkriegsdeutschland mit einer akademischen Karriere vorerst nicht leicht hat, lernt als junger, gutaussehender Mann Marlies kennen. Die beiden verlieben sich heftig ineinander. Er küsst andere Frauen. Sie verlässt ihn. Er verlobt sich mit ihr. Sie vertraut ihm. Er geht einen Tag nach der Verlobung mit einer anderen Frau ins Bett. Sie will ihn nie mehr wieder sehen. Als sie nach ein paar Monaten doch wieder in seinen Armen liegt, kommen die beiden zu dem Schluss, dass sie nicht voneinander lassen können und wollen. Und auch, dass er sich nicht ändern kann und will. Also beschließen Marlies und Oswalt einen Pakt: Sie versprechen einander emotionale und soziale Treue. Man werde einander nie verlassen, aber es muss möglich sein, von Zeit zu Zeit andere zu lieben. Eine offene Beziehung? Marlies' Sichtweise wird in Kolles Biografie nur aus seiner Sicht geschildert - logischerweise. Man kann sich also nur zusammenreimen, wie die Praxis für sie, die drei Kinder großgezogen hat, tatsächlich war. Ob sie seine sexuellen Ausflüge notgedrungen akzeptiert hat, weil sie ihn nicht verlieren wollte, oder ob sie durch ein starkes emotionales Band, das die beiden im Lauf der Jahre verstanden haben zu knüpfen, tatsächlich eine Liebe gelebt hat, die auch erotische Gefühle für andere verkraftet hat - ich halte Zweiteres für denkbar.

Oswalt Kolle und Elisabeth Scharang

Radio FM4

Ich sitze mit Oswalt Kolle in einem Sitzungszimmer des Hotel Meridien in Wien. Er sieht immer noch gut aus. Er redet immer noch gerne über sein Lebensthema: Sex. Sein erster Aufklärungsfilm kam 1968 in die Kinos. Der meist gesehene Film in Deutschland in diesem Jahr. Kolle traf den Nerv der Zeit, so sollte man meinen. Die 68er Bewegung war voll im Gange. Die sexuelle Befreiung wurde in den Studenten-WGs diskutiert; freie Liebe als Konzept gegen spießige Zweierbeziehungen verordnet. "Für mich hatte das alles nichts mit einer sexuellen Revolution zu tun", ätzt Kolle. "Die bürgerlichen Studentensöhnchen haben es als politisch korrekt ausgegeben, dass jede Frau mit ihnen ins Bett steigt. Das hatte nicht viel mit aufgeklärter Sexualität zu tun, sondern die Männer haben sich bedient und als Frau stand man blöd da, wenn man nicht mitgemacht hat." Kolle hatte mit seinen Filmen und Büchern den Anspruch, die Lust am Sex in die deutschen Betten zu bringen. Für sein Buch "Deine Frau – Das unbekannte Wesen" hat er Tausende ausgefüllte Fragebögen und Briefe vondeutschen Frauen bekommen, die ausführlich über die Praxis in ihren Ehebetten erzählt haben. Über die Sprachlosigkeit, über die Unwissenheit ihrer Männer, was den weiblichen Körper betrifft, über die Frustrationen und die sexuellen Wünsche, die bisher unausgesprochen waren. "Das Echo war überwältigend", erinnert sich Kolle.

Buchcover

rowohlt

Oswalt Kolles Biografie, erschienen bei Rowohlt 2008

Wir spannen ganz schnell den Bogen in die Gegenwart. Ich frage mich, warum es seit Kolle keine ernst gemeinte Sexaufklärung in Form von Filmen oder im Fernsehen mehr gibt. Als ob nicht jedes Jahr wieder von Neuem junge Menschen in die Welt der Sexualität eintreten, als ob nicht die – also wir alle –, die sich schon seit Jahren dort bewegen, nicht immer wieder dazu lernen müssen. Und Sexualität ohnehin ein nie endender Lern- und Erfahrungsprozess ist. Aber wo findet das Gespräch darüber statt? Mit den besten Freunden und Freundinnen? Ja, manchmal; manche haben das Glück, dass es da ehrliche Einblicke gibt. Natürlich mit dem/der PartnerIn, sofern vorhanden. Aber eigentlich ist das Thema Sexualität nur in Randbereichen Bestandteil öffentlicher Diskussionen – über Pornografisierung. Aufklärung in der Schule – immer noch ein sehr vernachlässigtes Thema im Unterricht. Und wenn in einem Sexkoffer als Unterrichtsmittel Kondome drinnen sind, gibt es einen Aufstand der Eltern.

Die Erforschung des Körpers und der Lust als weites Feld, das, wenn man über die Klischees von Hollywoodsex und Pornofick mal drüber ist, voller Wunder und Überraschungen ist. Ich habe lange gebraucht, um meine eigenen Vorstellungen von Sex zu entwickeln. Und ich glaube, ich wäre gerne mit 18 im Kino gesessen und hätte mir Kolles Ratschläge und Ideen dazu angehört.

Mitte der 70er Jahre war Kolles Zeit plötzlich vorbei. Keiner wollte mehr über Sex reden und die prüde Zeit der 80er Jahre hat den Schlusspunkt seiner Karriere als Sexaufklärer der Nation gesetzt.

Zu dieser Zeit lebt Oswalt Kolle mit Frau und Familie schon längst in Holland. Er verschiebt seine Prioritäten. Beschäftigt sich mit Sex im Alter und mit Frauen im Wechsel. Und er eröffnet in den 90er Jahren mit einer Rede den ersten Bisexuellen Kongress in Europa. "Zwei Dinge habe ich meiner Frau nicht sofort erzählt: dass ist auch mit Männern schlafe und meine Affäre mit Romy Schneider; sie war die einzige Frau, wegen der ich meine Familie fast verlassen hätte."

FM4 Doppelzimmer Spezial von Mai 2009

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