Erstellt am: 30. 5. 2009 - 16:10 Uhr
Journal '09: 30.5.
In den letzten Tagen habe ich eine wenig erfreuliche Diskussion mit einem Funktionär der Grünen geführt. Ich war, zufällig, via Twitter-Link auf seinen Blog in einen Eintrag geraten, in dem er die Entsorgung des EU-Wahl-Problembären Voggenhuber erklärte; durchaus nachvollziehbar. Dieser Mann ließ durch seine womöglich selbstherrliche Art seine Parteikollegen leiden, war anstrengend, wahrscheinlich unausstehlich.
Mein Problem an dem (von drei eifrigen „gut gesprochen!“-Postings gesäumten) Eintrag war nicht dieses allzu menschliche Arbeitsleid, sondern die absolute Abwesenheit inhaltlicher Gründe für die Ablehnung. Schlimmer noch: Mitten im EU-Wahlkampf präsentierte da ein (nicht ganz unwichtiger) Funktionär die Personalpolitik bei der Bestellung der Spitzenkandidaten als wichtigstes inhaltliches Item, den Voggenhuber-Sturz als größten Erfolg.
Man kann das betriebsblind nennen oder auch als ungeschicktes Vermengen der Bedeutungsebenen von Innensicht und Außensicht bezeichnen.
Wenn die Innensicht, also das Wissen derer, die etwas gebaut haben, was eine Funktion für andere, Außenstehende, hat, diese (die praktische Funktion) im Denken der Betreiber überlagert, dann hat die Besatzung ein Problem.
Weil nämlich die Innensicht (wie etwas zustande gekommen ist) nur (und zu Recht nur) die jeweilige Branche interessiert. Was sich in der Praxis, nämlich im aktuellen EU-Wahlkampf mit einer recht kompletten Unsichtbarkeit der Grünen (samt Spitzenkandidatin) auswirkt.
Das ist nämlich die Konsequenz allzu konsequent forcierten Innensicht-Denkens.
Innenwelt/Außenwelt
Heute Mittag lese ich einen Standard-Gastkommentar eines ehemaligen Vorstands der israelitischen Kultusgemeinde, des Psychoanalytikers Martin Engelberg. Zugegeben, meine Erwartungshaltung war ob seiner Profession etwas erhöht, meine Enttäuschung umso größer.
Engelberg greift sich aus dem aktuellen Thema rund um Koketterie mit Antisemitismus, dem Infragestellen des gesellschaftlichen Konsens des Antifaschismus und anderer bewusst gesetzter Rülpser mehr folgenden Strang heraus: dass der Antisemitismus in Österreich auch schon zu anderen Zeiten (Borodajkewycz, Klaus-Wahlkampf, Kreisky vs. Wiesenthal, Burger, Waldheim, Wende-Regierung etc.) so „arg wie noch nie“ war, und stellt die Frage „Was ist heute anders?“ an Beginn und Ende seines Textes.
So, denke ich, kann man sich mit einem Verweis auf die Geschichte der Innensicht einer Gemeinde den Blick auf die Gegenwart auch recht ordentlich verstellen. Sicher war jeder der von Eisenberg angesprochenen Punkte ein historisches Fanal.
Und?
Dass es sich um einen Höhepunkt österreichischen Antisemitismus handle, hat niemand behauptet – also bedarf es auch keiner Richtigstellung.
Das aktuelle Thema ist die neue „Qualität“ der Campagnisierung, die vor allem vom Historischen völlig unbeleckte und sich für objektiv haltende, von den Elterngenerationen aber mit geringfügig eingestelltem Moral-Kompass durchs Leben laufende junge Menschen betrifft.
Und der neuen Herausforderung, nämlich der Bildung und Aufklärung, vor allem aber dem Ernstnehmen der Probleme dieser Menschen (die sich derzeit mangels Alternative denen, die ihre Notlage ausnützen und sie mit Pseudo-Wahrheiten füttern, die eben auch die ungustiöse Beimengung von Antisemitismus enthält) dient die selbstgefällige Auflistung einer Innensicht genau gar nicht. Nebenbei taugt sie auch als Botschaft („War eher immer schon arg!“) an die eigene Gemeinde auch nicht sehr.
Innerer Innensicht-Check
Dann ist mir ist mein eigenes, hier im Journal zutagetretendes Innensicht-Problem eingefallen – die diversen Auseinandersetzungen mit der ORF-Debatte.
Aber da gibt’s, denke ich, einen feinen Unterschied.
Denn der ORF wurde, vor allem in den letzten Monaten, vorsätzlich ins Zentrum einer gesellschaftpolitischen Debatte gezerrt, in der Stellvertreter-Kriege gefochten werden, anhand der ein Werte-Diskurs geführt wird etc. Etwas höchst Öffentliches also.
In so einem Zusammenhang über die Gegenwart und Zukunft von öffentlich-rechtlichem Rundfunk, die Medienkonvergenz und andere Dinge nachzudenken, hat so gesehen mehr als rein innensichtlichen Wert und ist deshalb auch nach außen zu tragen.
In früheren Zeiten, als die ORF-Debatte nicht in aller Munde war, hab ich es ja auch unterlassen Interna anzusprechen, die im internen Diskurs wichtig sind für Meinungsfindung und Richtungsentscheidung und da heftig diskutiert gehören – draußen aber nur für Verwirrung sorgen und am Wesentlichen (der oben beschriebenen Herstellung von etwas, das für viele Menschen eine Funktion hat) vorbeischrammen.
Marginalisierung durch Rückzug
Wenn sich wesentliche Hoffnungsträger des Anstands (und als solche betrachte ich meine heutigen Beispiele) zunehmend damit begnügen sich und ihr zunehmend auf einen Core-Bereich schrumpfendes Publikum mit Innensicht-Ansagen zu versorgen bzw. zurechtzuweisen, anstatt sich deutlich sichtbar an eine real existierende Außenwelt von moralisch und ideel unterversorgten Menschen zu wenden, wird ihre Marginalisierung unaufhaltsam fortschreiten.
Was zu einem noch problemloseren Umgang mit Antisemitismus und Protofaschismus führen wird; den man dann – aus Innensicht – eh als schon immer existent erklären kann, ohne ihm etwas entgegenzusetzen. Hauptsache, die wenigen Sichtbaren, die wenigen Deutlichen sind weggepackt worden, weil sie womöglich den Hausfrieden gestört haben.