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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

30. 5. 2009 - 18:07

Oh Wonne, es brummt im Powerbook!

Der kanadische Filigran-Elektroniker Tim Hecker kommt mit seinem noch halbwegs aktuellen und immer noch berauschenden Album "An Imaginary Country" live nach Wien.

Ein wohliges Dröhnen hebt an, ein Wabern, bewegungslos steht es im Raum, eine minimalistische Melodie, wieder und wieder wiederholt, um nur nach einigen kurzen Minuten hinüber zu gleiten in tausendundeinen Klang einer anschwellenden Orgel. Leise ist im Hintergrund, unter dichten Schichten schmuck tönenden Rauschens, ein dumpfer Pulsschlag zu vernehmen, und schon sind wir, ohne dass wir es bemerkt hätten, im zweiten Stück des Albums angekommen, es nennt sich nur folgerichtig "Sea of Pulses".

tim hecker

cyclicdefrost

Tim Hecker, Meister der Schneidekunst

An Imaginary Country, das, rechnet man zwei Live-Aufnahmen mit, siebente Album des aus Montreal, Kanada, stammenden Laptop-Akrobaten Tim Hecker ist sein bislang zugänglichstes geworden. Vergleichsweise kurze, mit für hecker'sche Verhältnisse erstaunlich viel Wonne und, so heißt das bei melodieseligem Ambient dann immer, "Glückseligkeit" betankte Tracks fügen sich da ineinander, umschmiegen sich, kaum spürbare kleinteilige Verschiebungen im Klangbild tragen "An Imaginary Country" harmonisch brummend über die ganze Distanz. Keine Störgeräusche, keine Ausbrüche im Sounddesign, ist Ambient jetzt wieder endgültig zur völlig funktionslosen Umgebungsmusik geworden, die am Liebsten gar nicht wahrgenommen werden möchte?

1000 Plateaus

Tim Hecker, der am Montag live im Wiener rhiz auftreten wird, der Produzent, ist ein Fleißiger, produziert am Fließband, er produziert und produziert, schon viele, viele feine Aufnahmen hat er sich in den Lebenslauf schreiben dürfen, langweilig wird er nie. Um die Jahrtausendwende hat er, noch unter dem Namen Jetone, zwei schöne Alben voll mikroskopisch zerschnipseltem Techno und Clicks'n'Cuts - Glitch hier, Glitch da - veröffentlicht - beispielsweise bei einer der seinerzeit ersten Adressen für "neueres" abstraktes wie theoretisch unterfüttertes Laptop-Geschraube, dem damals in Frankfurt am Main ansässigen Label Force Inc.

Das erste unter dem Geburtsnamen "Tim Hecker" veröffentlichte Album "Haunt Me Haunt Me, Do It Again" markierte 2001 den Rückzug Heckers von den avangardistisch aufgeladenen Dancefloors hinein in den Ruhesessel vorm Kamin, Cognac in der Hand, Deleuze auf dem Beistelltischchen: Wohlig blubbernder Ambient, fein säuberlich in den Mix geschnittene Field Recordings, in ewigen Schleifen durch die Effektgeräte geschickt und nachbearbeitet. So lange, bis eine mächtige Wand of Sound sich unerschütterlich vor uns in den Himmel schiebt.

tim hecker

myspace

Tim Hecker live, janusköpfig

Für Hecker war dabei die arbeitsintensive Transformation des Klangmaterials stets entscheidender Prozess, weg von der rein kühl-maschinellen Konnotation durch den Rechner, hin zu etwas - wie er selbst in Interviews, wohl um den ranzigen Beigeschmack des Ausdrucks wissend, betont - "Organischem". Weshalb auch immer wieder analoges Instrumentarium, bevorzugt die Gitarre, zum Einsatz kommt und die Hecker gerne nahegelegte künstlerische Verwandtschaft mit Fennesz und den Großmeistern des Durch-Feedbacknebel-auf-die-Füße-Starrens, My Bloody Valentine, nicht eben nur besonders naheliegend, sondern auch besonders treffend ist.

A Beautiful Place Out In The Country

tim hecker

lastfm

Hand aufs Herz

Diesen Ansatz hat Hecker über die Jahre weiterfolgt, mal mehr in diese, mal mehr in jene Richtung gebogen. Hier war er erhöhter Melodieseligkeit zugetan, dort eher dem bösen Brutzeln und dezenten Krach. Stets aber war sein Werken und Schrauben bislang von Zischen und Fauchen durchsetzt, hatte die Oberfläche Furchen.

cover tim heckey an imagínary country

kranky

"An Imaginary Country" von Tim Hecker ist bereits bei Kranky/Trost erschienen.

Tim Hecker tritt am Montag, 1. Juni 2009, im Wiener rhiz auf.

Den Titel "An Imaginary Country" hat Tim Hecker sich aus einem Zitat von Claude Debussy, dem Vater der modernen Musik, geborgt, um eine besonders schöne Utopie zu beschreiben. Das klingt erstmal wie Hippiequatsch und Patschuli, ein wunderbares, ausgedachtes Land, ein Land, in dem Rum und Honig fließen und die Musik Papst ist. Instrumentalmusik, im Speziellen freilich Ambient, wird wohl bis in alle Ewigkeiten hinein der "Soundtrack für ein noch nicht gedrehtes Roadmovie" oder Ähnliches sein, warum also ausnahmsweise einmal nicht auch die Klangtapete fürs Paradies im Kopf?

"An Imaginary Country" - Tim Hecker hat fürs breitpinselig angelegte Landschaftsgemälde dieses Mal verstärkt Synthesizer und echte Instrumente ins Studio geholt - ist Wohlklang. Wohlklang mit Schatten. Zäh schiebt sich das Magma der Harmonie durchs Land, eine kleine Pianofigur taucht auf, wird später wieder aufgenommen. Er brummt und dröhnt und tönt in Erdtönen, wir stehen auf den Dünen und blicken bedeutsam schwermütig Richtung aufbrausender See. "Kannst du die Möwen hören?"

"An Imaginary Country" ist Tim Heckers bestes Album, es hat auch eine Funktion: Haben wir uns, eben erst verschwitzt von der Landpartie zurückgekehrt, nackt ausgezogen, die Lautstärke im Zimmer gut nach oben gepegelt und uns vor die Boxen auf den Perserteppich gelegt, dann lässt uns diese Musik, noch so ein Klische, schweben.