Erstellt am: 28. 5. 2009 - 12:19 Uhr
Dear Brooklyn Bridge
Ein träges Wochenende im Mai, 28 Grad, latenter Stadtblues, was tun? Auf der Suche nach Erleichterung offenbart sich mir eine Ankündigung des "City Reliquary Museum": Ein Radausflug zu Ehren des 126. Geburtstags der Brooklyn Bridge, inklusive Torte, Musik und Fun Facts. Die Kombination aus sportlicher Betätigung, Spaß und etwas Stadtgeschichte klingt vielversprechend – und schon finde ich mich auf einem geborgten Drahtesel wieder.

Andrew Bicknell

Dr.G.Schmitz
Die Lady aus Stahl und Beton hat eine Geschichte voller Rekorde aufzuweisen: Sie ist eine der ältesten Hängebrücken der USA, die erste, für die Tragseile aus Stahl verwendet wurden, und sie war zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung 1883 mit 486 Metern die längste Hängebrücke der Welt. Als erste Landwegsverbindung zwischen den damals unabhängigen Städten New York und Brooklyn hat sie für die Stadt einen vereinigenden Charakter. In Zeiten der Masseneinwanderung verkörperte sie damals auch das Symbol der neuen Welt und alle damit verbundenen Träume und Hoffnungen.
Vom Treffpunkt im Brooklyner Viertel Williamsburg aus starten die zirka 25 gleichgesinnten Teilnehmer in gemütlichem Tempo gen Brooklyn Bridge. Ein Marsch über das legendäre New Yorker Wahrzeichen – von Brooklyn nach Manhattan – gilt gemeinhin als Muss für jeden ordentlichen Touristen, Zugewanderten und Einheimischen. Mein letzter liegt schon etwas zurück und ich freue mich auf eine Auffrischung vergangener Eindrücke.

Andrew Bicknell
Als unsere Bikertruppe nach 25 Minuten den Rad- und Fußgängerweg der Brücke erreicht, stellt sich unwiderruflich ein Gefühl von Bewunderung und Andächtigkeit ein – selbst bei einem eingesessenen New Yorker wie Tourguide Matt Levy. Man fühlt sich klein als Individuum unter den riesigen gotischen Brückenmasten, aber großartig angesichts dieses Exempels menschlicher Kunstfertigkeit.

Andrew Bicknell
In der Mitte der Brücke angelangt, werden die Räder beiseite gestellt – Verschnaufpause und Party. Unter uns, eine Etage tiefer, quälen sich die Autofahrer durch peinvollen Stop-and-Go-Verkehr. Niemand will mit ihnen tauschen. Wir haben schließlich die Torte. Und während Zeremonienmeister Matt diese feierlich anschneidet, singen wir der Brücke inbrünstig ein Ständchen. Andere Passanten stimmen spontan mit ein. Das allgemeine Tortengemampfe wird anschließend von Matt um einige Fun – and not so Fun – Facts über die dramatische Erbauung der Brooklyn Bridge bereichert.

Andrew Bicknell
- Entworfen wurde die Brücke von dem deutsch-amerikanischen Ingenieur John August Roebling. "Built to last 1000 years" war die Vision des genialen Konstrukteurs. In seinen Berechnungen kalkulierte er daher eine sechsmal höhere Belastungsfähigkeit als notwendig ein. Kurz nach Baubeginn 1870 wurde sein Fuß bei Vermessungsarbeiten von einer Fähre einquetscht. Roebling verweigerte ärztliche Behandlung und starb wenige Wochen später an den Folgen eines Wundstarrkrampfs.
- Sein Sohn Washington, ebenfalls Konstrukteur, übernahm die Leitung des Projekts – doch auch ihm sollte die Brücke zum Verhängnis werden: Für die Erbauung der Pfeilerfundamente am Grund des East Rivers wurde in mit Luft gefüllten Senkkästen unter Wasser gearbeitet. Über 20 Arbeiter starben im Laufe der Bauarbeiten aufgrund mangelnden Druckausgleichs an der Taucherkrankheit. Er selbst erkrankte daran, musste den Brückenbau fortan an den Rollstuhl gefesselt, mit einem Teleskop von zuhause aus verfolgen.
- Es ist Washington Roeblings Frau Emily zu verdanken, dass die Brücke nach 13 Jahren schlussendlich fertig gestellt wurde. Sie gab seine Anweisungen an die Arbeiter weiter und überwachte die Konstruktion.
- 150.000 Menschen und 1.800 Fahrzeuge überquerten bei der feierlichen Eröffnung 1883 die Brücke. Eine Woche später ereignete sich die erste – und bisher einzige – Katastrophe: Eine Massenpanik auf der Brücke, die 34 Menschen das Leben kostete.
- Um die skeptische New Yorker Bevölkerung von der Belastbarkeit der Brücke zu überzeugen, schickte ein Zirkusbesitzer ein Jahr darauf 21 Elefanten über die Brücke.
- 1885 wagte der Schwimmlehrer Robert E. Odlum rekordgierig als Erster einen Sprung von der Brooklyn Bridge in den East River. Er starb kurz darauf an massiven inneren Verletzungen.

Andrew Bicknell
Nach dem sarkastischen Ende von Matts lebhaften Ausführungen und noch mehr Torte begibt sich die Gruppe zurück auf die Räder und tritt den Heimweg an. Den Fahrtwind im Gesicht und die Brücke hinter mir denke ich: Es war eine gute Geburtstagsparty. Oder wie Jack Kerouac in seinem "Brooklyn Bridge Blues" am Ende des Tages meint:
And that's all I can recall of Brooklyn Bridge, tonight,
John A. Roebling and Washington Roebling built it,
and it hath cables and it does one good
to cross it everyday …

Radio FM4 / Nina Hochrainer