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Hosea Ratschiller

Unterwegs im Nowhere Train

27. 5. 2009 - 17:52

Nowhere Train: Podersdorf - Garsten

Hochsicherheitsgefängnis

Geistig abnorm, aber zurechnungsfähig zum Zeitpunkt der Tat. So formuliert es das Strafgesetzbuch. "21er", so sagen Häftlinge und Justizwachebeamte. Maßnahmenvollzug könnte man auch sagen. Oder, dass in letzter Zeit immer mehr Behinderte reinkommen. Dass das wegen der Gemeinden sei, die kein Geld mehr hätten, diese Leute in betreuten Wohnungen unterzubringen. Ewig blieben die dann hier, wegen einer gefladerten Wurstsemmel könnte man weitererzählen, wie er, der gerade neben mir sitzt. Er hat seine Frau umgebracht.

Albert, der Sozialarbeiter wirkt nervös.

Der Gefängnisdirektor hat das Konzert zugelassen, ist jetzt aber selbst nicht anwesend. Wer genau die Verantwortung für uns übernimmt, ist nicht ganz klar. Jedenfalls stellen wir ein Sicherheitsrisiko dar. Wir könnten ja für einen der 400 Häftlinge eine Waffe hereinschmuggeln. Man müsste jedenfalls eigentlich viel genauer kontrollieren, meint Albert. Immerhin sei Garsten ein Hochsicherheitsgefängnis. Und es ist so schnell etwas passiert. Wie damals vor 20 Jahren, als der Bischof sich während der Weihnachtsmesse in eine Geisel verwandelt hat. Google Earth sei auch recht bedenklich, weil man von überall auf der Welt jederzeit schauen könne, wo die Schwachstellen des Gefängnisses liegen. Für Insassen ist das Internet genauso verboten wie Mobiltelefone.

hochsicherheitsgefängnis garsten

nowhere train

Seit Kurzem sind aber Fernseher erlaubt, was die Selbstmordrate runtergebracht hat. Genau genommen seien Fernsehapparate eigentlich nicht erlaubt, weil sie implodieren können. Die Häftlinge dürfen sich aber Computer mit Fernsehkarte kaufen. Und nein, das mit den Behinderten sei Bundessache. Das habe mit den Gemeinden nichts zu tun. Aber der "21er" sei ein Wahnsinn. Die Leute, die da verurteilt würden, könnten dann sogar nachdem sie ihre Strafe abgesessen haben nur dann entlassen werden, wenn sie keine Gefahr mehr für sich oder ihre Umgebung bedeuten. Dafür brauche man ein Attest. Da könne es schon vorkommen, dass jemand wegen eines kleinen Betruges zwölf Jahre sitzt.

Albert warnt uns vor. Wir sollen noch vor dem Konzert die Toilette besuchen. Rausgehen wird zwar leicht, wieder in die Kapelle kommen allerdings weniger. "Bei Gottesdiensten, Vorträgen etc. sind die Vorhangschlösser zu schließen", informiert eine Notiz an der schwer vergitterten Sakristeitüre. Die Insassen kommen um zehn. Ich versuche, mir vorzustellen, wie die Menschen wohl aussehen könnten, die da in Kürze den Sesselkreis vor dem Hochaltar bevölkern werden. Die barocken Heiligendarstellungen rundum helfen mir. Jakob testet den Hall: "Dance! A gun´s pointed to your head. And soon it will blow you away". Es sind ungefähr 100 Sessel. Dass der Frodl kommt, sei eher unwahrscheinlich, meint Hans, der Justizwachebeamte. Ob der Fritzl wirklich hierher verlegt wird, weiß kein Mensch. In mir mischen sich Vorurteile und Schlagzeilen zu dem Entschluss, mich in den Chor neben dem Hochaltar zu setzen, um mir etwas Distanz zu gönnen.

Dann erscheinen die ersten beiden Gestalten. Sichtlich genießen sie jede Bewegung in einer nicht vollkommen alltäglichen Situation. Die Band wird begrüßt, auch Peter und Clemens, die gerade einen guten Winkel suchen, um das Geschehen so zu filmen, dass keine Gesichter im Bild sind. Mein Versteck ist gut. Doch dann bemerkt mich der ältere der beiden Männer, kommt auf mich zu und streckt mir seine bejeanshemdete Hand hin. Seine Augen- und Mundwinkel verraten, dass er früher einmal viel gelächelt hat. Der Ton seines "Guten Tag" klingt, als würde er alles dafür geben, wieder lächeln zu können. Bald werde ich neben ihm sitzen und er wird mir erzählen, dass in letzter Zeit immer mehr Behinderte hier reinkommen.

  • "Nowhere Train" (Ian Fisher)
Konzert im Hochsicherheitsgefängnis

nowhere train

Ian hat verschlafen. Und zwar in Wien. Und zwar, weil der letzte Zug Richtung St. Valentin gestern Abend einfach losgefahren ist, bevor wir alle einsteigen konnten. Peter und ich sind gerade noch rechtzeitig aus vollem Lauf auf den anfahrenden Zug gesprungen. Deisi, Stanzel und Ian nicht mehr. Vor fünf Minuten ist Ian in Garsten eingetroffen. Jetzt muss er gleich singen. Im Publikum sitzen acht Gefängnisinsassen, drei Justizwachebeamte, Clemens, Peter, Valentin und ich.

Der Mann im Jeanshemd, neben den ich mich dann doch gesetzt habe, meint, es wären viel mehr gekommen. Man hat angekündigt, niemand müsse heute arbeiten. Die externen Firmen, die Insassen als Arbeitskräfte beschäftigen, würden natürlich wollen, dass gearbeitet wird. "Was ist das für ein Instrument? Ich würde mir ja auch so gerne eines kaufen. Aber hier drin verdient man ja fast nichts."

  • "Annabelle" (Gillian Welch)

Die Band wird aufgefordert, Deutsch zu singen. "Ich bin gekommen, weil ich gehört habe, dass da ein Tiroler dabei ist", murmelt es aus einem glatzköpfigen Trainingsanzug. Frenk outet sich als Hobbytiroler und meint, Englisch würde sich für Lieder besser eignen, weil man mit weniger Worten mehr ausdrücken könne.

  • "No stories" (Love&Fist)
  • "Big Time" (Frenk Lebel)

"Wenn ihr schon das Banjo mithabt, dann spielt doch etwas westernmäßiges". "Er soll eam obazupfn, dass´s nur so tuscht mit der Hawaiiguitar!". Frenk meint, das nächste Lied sei von Johnny Cash, was den ersten Zwischenapplaus bringt. Er erzählt weiter, dass das Lied eigentlich dessen Frau June Carter geschrieben habe. Man ist gespannt.

  • "Ring of Fire" (June Carter)
  • "Folsom Prison Blues" (Johnny Cash)
  • "I Take You In" (Frenk Lebel)
Konzert im Hochsicherheitsgefängnis

nowhere train

Im Refrain singt Frenk "I Take You In" und acht Strafgefangene singen mit "You Take Me In". Nur der Justizwachebeamte Hans bleibt stumm. Sein Gesichtsausdruck ist dem eingeengten, belasteten, gebückten, leeren der Häftlinge sehr nahe. Auch die Heiligengesichter an den Wänden ringsum sind in ihrer schludbewussten Geducktheit tatsächlich nicht so unähnlich. Hans ringt sich äußerst mühevoll ein Lächeln ab, obwohl er unsere Frage witzig findet, wieviele der Insassen wirkliche Verbrecher seien. Hans leitet das interne Bandprojekt . Sechs Langzeithäftlinge und fünf Frauen von draußen proben regelmäßig und geben sogar Konzerte. Demnächst soll es eine Häfentournee geben, zu der wir herzlich eingeladen sind. Der lockenköpfige Leadsänger der "Lay Off Angels" war früher Profimusiker. Er nennt Hans "Lichtblick". An einer transportablen Korkwand hängen mehrere großformatige Bögen Papier. Offenbar handelt es sich um die gesammelte Notizen von Gruppenaussprachen. Ich lese "Beamte werden Engel".

Mittlerweile sind die Berührungsängste aufgelöst und so klingt die zweite Forderung nach einem Lied auf Deutsch vergleichsweise freundschaftlich. Stanzel hat eine Idee:

  • "Lindschi" (Johnny Cash/Ernst Molden)

In "Give my love to rose" geht es um einen Häftling, der auf der Flucht angeschossen wird und sich im Sterben liegend mit einer letzten Bitte an einen Fremden wendet. Ernst Molden hat das Lied auf Deutsch umgedichtet, Stanzel singt es jetzt und es war eine gute Idee.

  • "Just Because" (Love&Fist)

Wieder wird mitgesungen "What a wonderful day. What a wonderful night. I feel like i´m dying. And it feels alright." Jakob sagt nach dem Konzert, er hätte seine Liedtexte noch nie so intensiv erlebt, wie heute. Er erzählt auch, wie er und seine Freunde als Jugendliche nach Parties oft in Garsten Nacktbaden waren und dann von den Suchscheinwerfern erfasst worden sind.


  • "Marie" (A Life, A Song, A Cigarette)
  • "Nine To Five" (Ian Fisher)

"Marie" findet bereits in beinahe freundschaftlicher Stimmung statt. "Ist das von Guns and Roses?" Bei "Nine To Five" stampft Ian dann so inbrünstig im Takt auf dem Holzboden der Rampe auf, dass die Justizwachebeamten kurz professionelle Blicke austauschen. Deisi beendet das Konzert mit seiner verzerrten Banjohymne.

Im Anschluss unterhalten wir uns kurz mit den Häftlingen, bevor sie zum Mittagessen müssen. Die Geschichten sind derart unangenehm, dass ich sie hier nicht schreiben will, weil ich mich nicht in der Lage dazu fühle. Die "21er" sollten als Beispiel ausreichen. Jedenfalls kann ich noch sagen, dass mir am heutigen Tage schon vier Mörder sympathisch waren. Das muss man erstmal verdauen. Es war ziemlich sicher zu früh, um diese Geschichte zu schreiben. Aber weshalb sollte man mit einem Erlebnis, das hinter Schloss und Riegel stattfindet, anders verfahren, als mit einem, das die weite Bergwelt zur Kulisse hat.

Albert schenkt uns zum Abschied eine Ausgabe des österreichischen Strafvollzugsgesetzes, in dem er den §65 rot angestrichen hat. "In den Strafvollzugsanstalten und in den Gefangenenhäusern der Gerichtshöfe ist wenigstens einmal im Vierteljahr eine belehrende, künstlerische oder unterhaltende Veranstaltung abzuhalten".

Irgendwie erinnere ich mich an diesen Paragraphen, als vor wenigen Minuten im Zug durchgesagt wird "Nächster Halt: Linz, Kulturhauptstadt Europas. Der Zug endet hier".

Abends gegen 8 sind wir im Volksgarten. Morgen Mehr.