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Hosea Ratschiller

Unterwegs im Nowhere Train

24. 5. 2009 - 17:13

Nowhere Train

Vom Seewiesenfest nach Paasdorf. Und Schlafplätze in Podersdorf werden noch gesucht!

Der Nowhere Train

Die Musiker des Nowhere Train

Jenseide

Fünf Musiker, zwei Filmer und ein Autor bereisen von 17. bis 28. Mai 2009 mit dem Zug ungewöhnliche Orte in acht verschiedenen Bundesländern in Österreich. Aus der Reise, den Konzerten und Zusammentreffen der Menschen entsteht ein künstlerisches, multimediales Portrait des Landes.

Nachzulesen immer hier:

Paula streicht Clemens über die Wange "Du bist lieb". Paula hat Augen, schaut genau, lächelt, tanzt mit Fremden, steckt die Füße ins Wasser, wirft Erde hinein und beobachtet wie sie sich langsam auflöst. Paula ißt Eissuppe, schaukelt hoch, wäscht sich den Mund und tröstet Ilias. Paula schmeißt Steine, grinst, trinkt schon selber aus der großen Mineralwasserflasche und will nicht, dass der linke Träger ihres Kleides juckt. Paula weint, weil sie beim Papa sein mag. Sie hat keine Angst vor der Monitorbox, bemüht sich, nicht auf das Effektgerät zu treten und leiht Frenk ihren Sonnenhut. Frederik ist der Bruder von Paula, Kathi ist ihre Mutter und Jakob ihr Vater. Sie ist zweieinhalb Jahre alt und gestern war sie zum ersten Mal am Seewiesenfest.

Mann mit Kind am Schoß und Xylophon

Jenseide

Großraming – Reichraming – Losenstein – Trattenbach

Gerade haben wir uns von Philipp verabschiedet, der wieder nach Haus im Ennstal fährt. Gestern Vormittag sind Bauern, Passanten, Paula, Frederik, Kathi und alle anderen Zeugen, wie er dem penetranten Brathuhngeruch am Marktplatz in Weyer eine vornehm zurückgenommene Slideguitar entgegensetzt. Die Band hat kaum mit ihm geprobt. Trotzdem klappt alles. Nur einmal verfärbt sich Philipps Gesicht, als er den einzig vereinbarten Einsatz des gesamten Sets in „I Take You In“ bei „I make an electric connection“ verpasst.

Band spielt auf einem Steg im See

Jenseide

Lahrndorf - Sand

Der Kirchturm wirft keinen Schatten. Außerdem muss die Band ohnehin seit einer Woche wegen des besseren Lichtes immer in der prallen Sonne spielen. Peter und Valentin wachsen langsam zu einem Team zusammen. Valentin ist in Hall in Tirol zugestiegen. Jetzt hilft er bei den Filmarbeiten. In Seekirchen war seine Rolle noch nicht so klar und er ist sofort in eine Roadiefunktion hineingerutscht. Am Bahnsteig wird das kurz angesprochen. Seither läuft es runder.

Garsten

Wir fahren gerade am Hochsicherheitsgefängnis vorbei, wo die Band am Mittwoch für die Gefangenen spielen wird. Josef II hat das ehemalige Kloster einst zum Gefängnis umwidmen lassen. Der Raum, in dem das Konzert stattfinden wird hat den umgekehrten Weg genommen. Ursprünglich als Festsaal gedacht beherbergt er heute die Gefängniskapelle.

Steyr – Steyr Münichholz – Ramingdorf - Haidershofen

Der gepflasterte Marktplatz von Weyer glüht. Die Plastikreben auf den Käseleibern schmelzen fast. Es ist Bauernmarkt. Die Band platziert sich vor dem Kompagniehof, der irgendwann von einem reichen Hammerherrengeschlecht hingestellt und ab 1625 dann von der Innerberger Hauptgewerkschaft als Zentrale zur Lenkung des Eisenhandels verwendet wurde. Die Marktgemeinde feiert gerade 750 Jahre Pfarrkirche. Quer über den Platz hängt ein diesbezügliches Transparent mit der Aufschrift „750 Jahre. Es ist spannend. Leben“
Jakob hat schon am Südbahnhof das erste Mal geseufzt, wie sehr er seine Lieben vermisst. Jetzt wird Frederik im Schatten gestillt und Paula ist Paula. Spätestens als sie während „Marie“, das in Liebe zum fehlenden Stanzel angestimmt wird, dessen Glockenspiel entdeckt und ausprobiert, entspannen sich Jakobs Gesichtsmuskeln und er fängt an, zwischen Gemüsesetzlingen, Käseleibern und Geselchtem zu lustwandeln. Spiel und Gesang sind so krafttvoll, dass bei „Just Because“ eine Saite reißt, was nichts ändert. Paula will ein Eis.

St. Valentin

Umsteigen in den Intercity „Wiener Volkshochschulen“. Der ist vollgestopft mit ACDC Fans. Wir versuchen es in der ersten Klasse und fragen den Schaffner
„Dürfen wir einsteigen?“
„Natürlich dürft ihr einsteigen“
„Aber es ist die erste Klasse“
„Scheißt´s euch nicht an“

Amstetten – St. Pölten

Als wir gestern Nachmittag am Künstlereingang des Festgeländes in Kleinreifling ankommen, werden wir erst nicht eingelassen, obwohl wir mit einem der Veranstalter im Auto sitzen. Die Sicherheitskräfte lassen sich schwer überzeugen. Wir fühlen uns sehr sicher. Als es losgeht findet Philipp seine Gitarre nicht. Dann sein Sakko, dann sein Mobiltelefon. Nervös ist er nicht. Clemens, Peter, Valentin und ich begleiten ihn zu dem Steg, der von der Festwiese hinaus auf einen von bemischwaldeten Hügeln umrahmten See führt. Die Band entscheidet sich dort zu spielen und nicht auf der Bühne, was Thomas der Tontechniker mit leuchtenden Augen als Herausforderung betrachtet. Es wird das erste Konzert dort sein.

St. Pölten

Der Rechner, auf dem ich schreibe fällt aus. Die Steckdosen im Businessabteil geben keinen Strom her, was ich nicht wusste. "Alle Fahrgäste, die keinen Sitzplatz haben werden gebeten, den Zug zu verlassen. Ansonsten wird die Fahrt nicht fortgesetzt“. Wir scheißen uns nicht an und ich versuche mit den verbliebenen 36 % auf Deisis Rechner auszukommen. Bald sind wir in Hütteldorf, wo ich die Geschichte bei Vera fertigschreiben soll. Frenk freut sich, dass er sie noch ein paar Stunden länger nicht vermissen muss.
Jakob eröffnet das Konzert am Seewiesenfest mit der Ansage "Wir sind eine Stadionrockband".

  • "Nowhere Train" (Ian Fisher)

Julia aus Haus ist da und Philipps Nervosität verflogen. Wenn es einem der Menschen, die da auf Wiese und Steg Rund um die Band sitzen vor Gänsehaut graust, dann wird ihm jetzt schlecht. Fritz ist auch da. Er hat nichts gegen Gänsehaut sondern ist fast ein Bisschen beleidigt, dass wir ihn nicht auf unsere Reise mitgenommen haben. Ian singt "The present is not the past, yet"

  • "No Stories" (Love&Fist)

Paula wird als Bandmitglied vorgestellt, will aber eigentlich hochgehoben werden und legt, als ihr dieser Wunsch erfüllt wird den Kopf auf Jakobs Schulter.

  • "Big Time" (Frenk Lebel)

Meine ersten Tränen, seit wir unterwegs sind. „I miss you, miss you, miss you, miss you, miss you big time“. Dann wird speziell für die Leute vom Seewiesenfest, die große „Play The Tracks Of“ Fans sind „Everybody is into something“ gespielt.

  • "Everybody Is Into Something" (Play The Tracks Of)
  • Annabelle“ (Gillian Welch)
  • "Take You In“ (Frenk Lebel)
  • „Folsom Prison Blues“ (Johnny Cash)

Philipps Slideguitar fügt sich nahtlos in den Zusammenklang ein.

  • "Nine To Five“ (Ian Fisher)

Deisi zerreißt die Luft mit einem verzerrten Banjosolo. Kurz blitzt ein zerstückeltes Häufchen österreichische Bundeshymne heraus. Längst dürfte man von einer Menge schreiben, die dann eine Zugabe verlangt.

  • "Just Because"

Stille. Jakobs Stimme gleitet an der Wasseroberfläche entlang und füllt dann wie ein Wattebausch die Talsohle aus. "Just because you´re lying, i still want you here tonight". Sonst ist in diesen Minuten nichts wichtig.

Wien Hütteldorf

Der Rest des Seewiesenfestes muss hier leider unbeschrieben bleiben. Die Akkus wollen nicht mehr lange und wir müssen nach Paasdorf, wo der Gemeinderat Plakate drucken hat lassen und uns dementsprechend hohe Erwartungen entgegensendet. Vera wird uns hinbringen
Morgen geht es weiter nach Podersorf. Über diese Reise wissen wir noch wenig mehr, als dass sie bei jemandem enden sollte, der Schlafplätze, Abholung vom Bahnhof und ein warmes Essen gegen ein Konzert eintauschen möchte. office@jenseide.com (Bitte Telefonnummer reinschreiben!)
Akku leer. Morgen mehr. Papa küsst Paula "In slow motion i continue until the end"