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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

23. 5. 2009 - 22:44

Journal '09: 23.5.

Warum ich denke, dass es wurscht ist, welcher grauslichen Ideologie sich der Ohnesorg-Mörder Kurras verschrieben hat.

Es mutet an wie eine jener Drehbuchwendungen, die genommen werden müssen, weil der Autor den Fortgang nicht mehr mit regulären Mitteln bestreiten kann: bizarr, fast sogar ein wenig tarantinoesk.
Also: der Polizist Karl-Heinz Kurras der am 2. Juni 67 bei einer Demo den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, war ein Stasi-Spitzel.

Der Tod Ohnesorgs, der von einer selbstgerechten Staatsmacht nicht seriös behandelt wurde, war der zentrale Auslöser für die Radikalisierung der 68er-Bewegung und gilt auch als Startpunkt für die RAF, den deutschen Herbst und die bleierne Zeit in 70ern und 80ern.

Kurras galt als Prototyp des "Schweine-Bullen", was zum einen in seiner Uneinsichtigkeit in die Tat, zum anderen aber auch an der verschleiernden Mithilfe der anderen Systemerhalter lag.

Und nun ist aufgeflogen, dass Kurras, die Heldenfigur der Law&Order-Rechten, der schießwütigen Gewaltausleber in Uniform und der strammen nationalen Patrioten, seit Anbeginn seiner Polizei-Karriere an für die DDR und ihre Stasi tätig war. Nicht dass die ihm die Todesschüsse oder diesen Ablauf der Eskalation befohlen hatten (dafür gibt es aktuell keinen seriösen Beleg), aber natürlich war die Destabilisation des West-Systems der zentrale Auftrag eines solchen Schläfers.

Die Republik der Stasi-Spitzel

Das hat, zumindest am Vorabend der heutigen Präsidentschaftswahl und des heutigen Bundesliga-Finales gestern die Deutschen doch einigermaßen beschäftigt - heute ist es bereits kein großes Thema mehr. Es wird, wie fast jedes Thema, von jedem so ausgelegt werden, wie es dem/njenigen zu Gesicht steht.
Aber: in diesem innderdeutschen Diskurs schwingt dann wenigstens die praktische Lebenserfahrung mit Ost/West, der 20 Jahre alten Wiedervereinigung und den Wunden der Trennung davor mit (denn jeder hat da zumindest ein sehr reales Erlebnis in der Familie). Bei uns, jenseits von Inn und Zugspitze fehlt dieses Gefühl, weshalb die Rezeption dann auch naiver ist.

So wurde beispielsweise auch der Präsidentschaftskandidat Peter Sodann (ein zugegebenermaßen anstregender Schauspieler mit elend viel "Hausverstand") in Stasi-Nähe gedrängt; wohl einfach weil er ein Ostler ist, und für die Linke kandidiert. Nun sind nicht alle Ostdeutschen stramme DDR-Ideologen und SED-Parteigänger gewesen (so wie ja auch nicht alle direkt davor Nazis waren) - aber es war eine erkleckliche, widerwärtig große Menge.

Das Nazi-Blockwart/Spitzel-System wurde von den aus Moskau gesteuerten Machthabern der Deutschen Demokratische Republik aber durchaus weiterentwickelt: die Zahl der IM lag im sechstelligen Bereich. Der Unrechtsstaat DDR quälte seine Gegner, vernichtete Existenzen, leistete sich das Verbrechen politischer Gefangener, folterte und brachte Menschen auch um - im Unterschied zum Nazi-Terror artete diese Abart des Terrors der Spießer jedoch nicht in flächendeckendem Völkermord aus.

Das Unrechtsregime der Spießer

Immerhin: KSV-Spitzenkandidat Wisiak distanziert sich - mit deutlichen Worten. Und ist damit den erwähnten Teilen seiner Bewegung weit voraus.

Mit der Leugnung dieser Verbrechen rechtfertigen sich die wenigen politischen Ostalgiker, Rudimente in der deutschen Linken oder zb auch Teile des aktuell bei der ÖH-Wahl kandidierenden KSV, die sich ebensowenig vom Staatsterror der DDR distanzieren mögen, wie es die Rechtspopulisten von Handlungsweisen des 3. Reichs tun - und zb die bewußte Spielerei mit dessen Insignien immer nur als "Lausbubenstreich" abtun.

Für die 68er, die sich durch Ereignisse wie den Ohnesorg-Mord zusammengefunden haben mag die neue Erkenntnis über Kurras' Auftraggeber ein Schock sein, für die Alt-Linken der Paläo-KP macht diese Entdeckung aber wohl keinen Unterschied. Dogmatikern geht es ums Prinzip, also um die erfolgreiche Destabilisierung; auch wenn man sie selber provoziert.

Das erinnert alles sehr an die sogenannte Dritte Generation der RAF, die in den 80ern auf den Plan trat, anonym blieb und wenig nachvollziehbare wirre Aktionen setzte - in Fassbinders gleichnamigem Film, einer Groteske, wird ihnen ein schönes Denkmal gesetzt. Dass die dritte Generation zu einem Teil aus der DDR finanziert und am Leben gehalten wurde, war ein offenes Geheimnis; dass auch die BRD Interesse an einem (eh schwachen) Feind im Inneren hatte, um so den Überwachungsstaat voranzutreiben, führte zu einem regelrechten Paarlauf der beiden deutschen Staaten. Wer zb jetzt wirklich hinter dem Mord am Banker Herrhausen steckt, der durch eine neue Politik der Schuldenerlässe für die 3. Welt auffällig geworden war, ist ungeklärt.

Die DDR im schlechten Film

Dass die SED-Spießer des Unrechts-Staats DDR in der bundesdeutschen Innenpolitik mitmischten, ist nicht erst seit Guillaume klar.

Dass sie aber auch beim Auslöser die Finger mit im Spiel hatten, das hat was wie aus einem schlechten Film.

Dabei ist es egal, welche Ideologie einzelne Figuren treibt Unsinniges oder Unmenschliches zu begehen. Und es ist egal, ob die Todesschüsse auf Ohnesorg von einem westdeutschen oder einem ostdeutschen Waffen-Narren und nationalem Polizisten abgefeuert wurden, weil es egal ist, von welcher Seite ein solcher Mensch die demokratischen Werte umstoßen will.
Es liegt nicht am Einzelnen, sondern am System.

Und weil es in Österreich eben kein ernsthaftes 68 gab (das fand bestenfalls 76 ein bisserl statt) kam es hierzulande zu einer noch letscherteren Aufarbeitung, dem Nährboden für Duckertum und Rechtspopulismus.

Und erst ein System, das einen schießwütigen Greifer schützt, dafür sorgt, dass Zeugen lügen, Beweise verschlampt werden und so keine Verurteilung möglich ist, löst eine Gegenreaktion wie die APO, die 68er aus. Die ja immerhin dafür gesorgt haben, dass wenigstens das allernotwendigste an Aufklärung, Aufarbeitung und Entschuldigung gestartet wurde, was die Täter-Nation und das von ihr installierte System bis dahin unter den Teppich gekehrt hatte.
Und weil das System sich in dieser Rolle der falschen Verteidigung falscher Werte glaubte einbunkern zu müssen, kam es dann auch zum radikalen Widerstand der RAF und anderen Auswüchsen, die allesamt (das wissen wir heute) weniger ideologisch als vielmehr widerständisch motiviert waren.

Kurras ist zwar nicht Demjanjuk, aber...

Nach der Entdeckung kommt auch die Birthler-Behörde unter Druck.

Kurras oder seine Stasi-Führungsoffiziere konnten die Geschichte der Bundesrepublik nicht in eine Richtung drängen, in die sie nicht schon zu gehen bereit war - ein Staat mit Anstand und Moral hätten einen Vorfall wie diesen zum Anlaß genommen um zu deeskalieren; die damalige BRD-Nomenklatura war sich drin einig zu vertuschen und zu verbrämen.
Dort liegt das Verbrechen.
Die Spannung der Crime-Story, des Whodunit, die ist allerdings aufrecht. Es gibt - aufgrund der neuen Fakten - eine neue Strafanzeige gegen Kurras.
Kurras ist nicht Demjanjuk, kein Mitglied einer Bande von fabriksmäßigen Völkermördern, nur ein Mitläufer, ein Stasi-IM, ein Blockwart, ein Symbol menschlicher Verelendung. Ich denke, dass ihn Jan Josef Liefers spielen wird, in der Verfilmung dann nächstes Jahr.