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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

25. 5. 2009 - 18:55

Technokatze und Minimalmaus

Miss Kittin & The Hacker feiern nach acht Jahren mit ihrem Album "Two" ihre elektronische Party nicht nur im Kopf, sondern auch live in Österreich.

Ich habe keine Ahnung, woran es liegt, aber in letzter Zeit werden die Achtziger Jahre Referenzen bei Elektronikplatten immer offensichtlicher. The Future Will Come, meinte vor kurzem Juan MacLean auf seinem neuen Album, wobei seine Zukunftsvision ironischerweise in der Vergangenheit angesiedelt ist. Irgendwo zwischen Kraftwerk und den ersten Minimal House Sounds.

Klar predigen Produzenten dieses Genres nicht erst seit Kurzem die Wärme und Unverwechselbarkeit analoger Instrumente. So schwört der Franzose Michel Amato alias The Hacker schon seit über fünfzehn Jahren auf alte Synthesizer und Drummachines à la TR-808. Auch auf dem zweiten Album "Two", das er vor kurzem gemeinsam mit seiner langjährigen Freundin, DJane, Sängerin und Produzentin Caroline Hervé aka Miss Kittin veröffentlicht hat, tummeln sich zwanzig Jahre alte Klangmodulationen und Beatpatterns.

Trockeneisnebel

miss kittin and the hacker

miss kittin and the hacker

Mit einem lauten Handclap, der im endlosen digitalen Raum zu verhallen scheint, beginnen nach langer Pause Miss Kittin & The Hacker ihr neues Album. Die anschließenden Spacesounds könnte man als Mix von Grauzone meets Star Trak beschreiben. Bis der gewohnt trockene Dancebeat in den blubbernden Soundwall hineinfährt. Spätestens dann ist klar, dass Michel Amato noch immer für den Tanzboden produziert. Dass dabei fast ausschließlich mit analogen Geräten gearbeitet wird, gründet sich nicht nur auf Hackers Musiksozialisation.

Wenn man sich die Technoplatten der letzten Jahre anhört, so klingen viele davon komplett gleich, speziell wenn es um den Minimal Techno Bereich geht. Jeder verwendet die gleiche Bassdrum, die gleiche Hi-Hat und manchmal sogar die gleiche Basslinie. Diese Produzenten verwenden alle die Standard Plug-Ins der verschiedenen Musikprogramme. Mich langweilt das. Ich arbeite schon alleine deshalb lieber mit analogen Instrumenten, die man immer neu modulieren kann. Und man kann sich damit natürlich von anderen abheben.

Miss Kittin und The Hacker erfinden auf "Two" jetzt das Rad nicht neu, allerdings klingen die Tracks frisch und unprätentiös. Auch wenn mit dem zweiten Stück "1000 Dreams" tief in die Glitzerdiscopopkiste gegriffen wird. Hier erlauben sich die beiden französischen Musiker fröhlich hüpfende Melodien, untermalen alles mit breiten Synthieflächen und lassen als Auftakt vor jedem Refrain dieses tolle Geräusch ertönen, das so klingt, als würde man einen Nebelstrahl aus der Trockeneismaschine schießen. Natürlich dürfen auch in diesem beatstarken Song die Handclaps nicht fehlen.

miss kittin and the hacker

miss kittin and the hacker

Sonnenbrillen und Internet

"Two" klingt eindeutig melodiöser und mehr dem Songformat zugewandt als die erste Platte von Miss Kittin und The Hacker. Der retrolastige Sound von "Ray Ban" bespielsweise wäre mit seinem straighten Beat, der bedrohlich klingenden, tief grabenden Synthiebasslinie und den gesprochenen, verhallten Vocals eigentlich Ideal für den Soundtrack einer Miami Vice Folge gewesen. Zumindest kommen mir Sunny Crockett und Ricardo Tubbs in den Kopf, wenn dieser minimalistische Song durch seine hypnotischen Loops immer mehr abzuheben beginnt.

Miss Kittin And The Hacker

miss kittin and the hacker

Auch "Emotional Interlude" hat eine ganz sonderbare Stimmung im Spannungsfeld zwischen düsterem Subbass und einer fast schon melancholischen Harmoniefolge von vocoderartigen Synthesizersakkorden. Über die hohen, tickenden Percussions, die wie Nadelstiche das Trommelfell massieren, hallt die Stimme von Miss Kittin. Wie aus weiter Ferne haucht sie in gewohnter Coolness ins Mikrophon. Gänsehautverdächtig.

Nicht nur der Hang zu Melodien ist ein Novum, auch die Arbeitsweise hat sich zwangsweise geändert.

Vor zehn Jahren ist Caroline zu mir hachhause gekommen und wir haben in meinem kleinen Produktionszimmer an Nummern gebastelt. Heute lebt sie in Paris und ich bin in Grenoble geblieben. So blieb uns für dieses Album nichts anderes übrig, als via Email die Tracks hin und her zu schicken. Aber es war okay, wie kennen uns schließlich schon seit über fünfzehn Jahren. Also müssen wir eigentlich gar nicht mehr miteinander reden, sondern verstehen uns auch ohne Worte (lacht).

Diese Selbstverständlicheit hört man dem Album an. So hat Michel Amato bei dem Aufbau des Grundgerüsts von "Electronic City", dem ebenfalls reduzierten Minimal-Elektropop-Stück, schon genau gewußt, dass Miss Kittin die richtigen Worte findet, um ihre Stimmbänder passend zum schrägen Pluckerbeat schwingen zu lassen.

A Threesome in Östereich

Das zweite Album von Kiss Kittin & The Hacker überzeugt in genau den Momenten, in denen die Tracks durch ihre recht einfache Konstruktion einen hypnotischen Effekt erzeugen. Loslassen ist dabei eine Voraussetzung. Auch von Hörgewohnheiten. Denn besonders bei der Covernummer, die auf "Two" zu finden ist, kann die eine oder der andere schon einmal die Ohren anlegen. Ms. Kittin und Mr. Hecker haben nämlich nach zehn Jahren endlich eine passende Version von Michel Amatos Lieblingssong geschaffen und bringen somit Elvis auf die Bühne.

Ich weiß nicht warum, aber schon als Kind liebte ich den Elvis Song "Suspicious Minds". Die Idee, diesen Song zu covern, hatten Caroline und ich schon, als wir an unserem ersten Album arbeiteten. Damals hat es jedoch überhaupt nicht geklappt und wir haben uns gesagt: Vergessen wir's einfach. Als wir letztes Jahr an neuem Material gearbeitet haben, hat Caroline mir plötzlich die alte Version mit neuer Gesangsstimme geschickt und es klang wirklich gut. Allerdings waren die Beats zu oldschool. Also haben wir den Song noch einmal komplett überarbeitet und jetzt funktioniert er einfach!

Selbst wenn das französische Elektronikduo den King covert, wird mit Augenzwinkern der Achtzigerkitsch heraufbeschworen. Allerdings ist die modulierte Harmonie des Refrains derart clever, dass man Miss Kitttin & The Hacker auch hier nicht böse sein kann.

miss kittin and the hacker

miss kittin and the hacker

Miss Kittin & The Hacker live in Österreich

  • Dienstag, 26. Mai im Wiener Flex
  • Freitag, 29. Mai beim "Wilde Glocke Spezial" im Gusswerk Salzburg

Mit viel Charme schwärmt Michel Amato von ihrer neuen Show, die inklusive Visuals sich wie ein richtiger Bandgig anfühle, selbst wenn sie nur zu zweit auf der Bühne stehen. Daran kann auch ein vermurkster Auftritt bei einem großen französischen Elektronikfestival in Bourges nicht ändern. Von dem Ärger, der auch in Miss Kittins Blog nachzulesen ist, haben sich beide schon wieder erholt und blicken voller Zuversicht auf die kommenden Termine ihrer Tour, die sie auch nach Österreich führt.

Also nichts wie hinein ins Discooutfit, Sonnenbrillen auf und ab geht's!