Erstellt am: 22. 5. 2009 - 18:02 Uhr
Ein Konzert des Jahres, alte Helden, bunte Hüte
Da liegen sie also. Zwei junge Herren liegen der Länge nach auf dem Rücken, den Kopf auf ihren zu Polstern umfunktionierten Taschen, mitten im Zuschauerraum des Orpheums. Es ist kurz nach neun und das Orpheum ist so gut wie leer. Die Stimmung ist gedämpft, die rund vierzig anderen Menschen, die hier sind, sitzen auf den Stufen, lungern, verdauen die Nachwirkungen von Tag 1 des Springfestivals. Auf ein Konzert scheint hier niemand wirklich rasend zu warten. Und das obwohl gleich eine sehr gute Band die Bühne betreten wird: A Mountain Of One.
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Vielerorts ist die Band im Vorfeld als Geheimtipp angekündigt worden, ihr Debütalbum "Collected Works" hat man vor gut eineinhalb Jahren durch die Bank zu Recht zu Tode gelobt, zum Konzert in Graz ist aber wieder einmal trotzdem kaum einer gekommen. Sehr geheim, der Tipp! Die Londoner Gruppierung um Kopf Mo Morris baut auf Platte psychedelisch zerdehnte Songexperimente aus fragilem Progrock, Zeitlupen-Disco und wah-wah-waberndem Krautgeblubber ziwschen Talk Talk, Fleetwood Mac, Tangerine Dream und Pink Floyd. Mit echten Instrumenten und Gesang.
Live erscheinen A Mountain Of One zu fünft: Drei Herren an den Saiteninstrumenten, einer davon auch an Gesang und Tasten, plus eine Dame an Gesang und Keyboards und Backgroundgerassel, und der Drummer. Die Band steht da, in violettes Licht getaucht, umweht von zarten Nebeln, im Laufe des Abends wird es noch rot werden und blau. Und grün. Ein zurückhaltendes, fein nuanciertes Lichtgeschehen begleitet unterstützend das, das darf man jetzt schon sagen, großartige Konzert von A Mountain Of One.
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Live deutet die Band ihr Material deutlich rockiger in Richung weichgezeichneten Westcoastrock der 70er, und das ist sehr gut. Zwanzig Leute im Publikum stehen schon, vier Meter Sicherheitsabstand von der Bühne entfernt, vereinzelte zaghafte Versuche hippiesken Ausdruckstanzes - der passt aber nun wirklich gut zu dieser Art von Musik - fallen auf, in manchen Gesichtern zeichnet sich schemenhafte Verunsicherung darüber ab, was denn SO eine Band bei einem Festival für elektronische Musik zu suchen hat.
Auf der Bühne wird geklappert und geklopft, er werden gospelhafte Chöre gebrummt, bisweilen folkloristisch die akkustische Gitarre beabeitet, dann wieder gar Gitarrenwände von fast schon My-Bloody-Valentine'scher Dimension aus den Saiten geschrubbt. Und wenn sich A Mountain Of One dann noch "Who By Fire" von Leonard Cohen, freilich nur von guten Intention getrieben, dergestalt aneignen, so dass der dunkle Klumpen in unserer Brust wieder zu schlagen beginnen muss, dann weiß man endgültig, dass man gerade ein Konzert des Jahres gesehen hat. Besser gehts kaum, von hier an gehts bergab.
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Wie schön es scheppert
Bis es zur großen Ahnenverehrung im Dom im Berg kommen soll, bleiben noch fünf, sechs Minuten Zeit für einen Abstecher im ppc. Das steht heute im Zeichen von Shantels Bucovina Club. Der hat schon am Weltmusiksüppchen gekocht, da haben Vampire Weekend noch auf der Columbia französische Literatur des 16. Jahrhunderts durchgenommen! Das ppc ist sehr voll und ein gar nicht so kleines Grüppchen Musikanten und Musikantinnen erfreut mit turbobetriebenem Blechgebläse das jetzt schon sehr ausgelassene Publikum. Gespielt wird, wie es sich weltmusikalisch und straßenmusikantenmäßig gehört, nicht auf der Bühne sondern: davor. Wer die Gruppe ist, kann auch nach mehrmaligem Nachfragen bei eigentlich dafür zuständigen Stellen nicht eruiert werden, das Bucovina Club Orkestra war es nicht. Sehr fein trotzdem.
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Die Nostalgie ist auch nicht mehr das was sie einmal war
Techno "Live" spielen, das heißt oftmals mindestenes, hüstel, ein "Experiment", manchmal heißt das aber auch nicht viel mehr als irgendeinen Controller zu bedienen. Oder aber es heißt Laurent Garnier steht auf der Bühne hinter Elektronik und Knöpfchen und Reglern, und er hat sich noch einen zweiten Herren mitgebracht, der Ähnliches tut, sowie zwei jazzclubmäßige Bläser und einen Mann an Tasten und Gitarre. Live ist das allemal. Der Dom ist voll, die Schlange davor ewig, und das Klima zur Entwicklung einer neuen tropischen Nutzpflanze bestens gegeignet.
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Laurent Garnier ist freilich ein Techno-Gott, hat schon alles gemacht und auch noch ein gutes Buch darüber geschrieben. Der Mann kommt aus einer Zeit als Techno noch manchmal Tekkno hieß, ein Rave ein Rave war, und die Leute, ohne die Absicht die Sraße zu kehren, orange Arbeitermonturen spazierenführten. So gibt es auch and diesem Abend ein schönes, druckvolles Set, nein, Konzert zu hören, in der Art, die man heute eher selten auf die Ohren bekommt. Mit minimalistischem Geklapper hat das wenig zu tun, das ist Großraumtechno, sauber ausbalanciert, durchweht von viel Melodie und gespickt mit trancigen Momenten.
Das geht lange sehr, sehr gut, gegen Ende hin scheint die Dramaturgie des Abends etwas aus dem Ruder zu laufen: Laurent Garnier streut, die Musiker müssen ja auch etwas zu tun haben, runtergekochte Jazzmomente ein, die nicht ganz zünden wollen, und switcht plötzlich zu Drum'n'Bass. Naja, wenigstens kommt Goldie - wie bitte? -, nochmal, genau, Goldie auf die Bühne und macht ein paar Ansagen, die inhaltlich nicht groß abweichen von jener, die besagt: "Make Some Motherf* Noise For Laurent Garnier!" Diesem Wunsch wird gerne nachgekommen.
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Auf das beste aller Feste auf der Gästeliste eingetragen
Man sehnt sich nach gediegenem Abendausklang. In der Postgarage blickt Jori Hulkkonen so drein, als wäre er auch schon lieber im Bett. Finnlandklische erfüllt! Was er auflegt ist trotzdem gut, richtig in Fahrt kommen will er an diesem Abend nicht.
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Aber halt: Wer sind denn all diese vielen jungen, englischen Herren mit schräg aufgesetztem, buntem Basecap, knalligem T-Shirt und nur den allerfreshesten Airmax? Die Posse der Urban Nerds hat den kleinen Floor der Postgarage, ja, gekapert und fest in der Hand. Das sieht dann so aus und klingt so als würde Ed Banger jetzt plötzlich ein scharfes Gemisch aus Grime, Dubstep, HipHop und Garage produzieren. Mike Skinner auf Speed und im freien Fall. In dreifacher Geschwindigkeit! DJ Mumdance legt einen bunten Mix auf die Plattenteller, während ein MC als sanfter Tyrann die Party ohne Zurückhaltung diktiert.
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Rewind! Rewind!
The Hits keep coming und der Floor explodiert. For real! Als dann noch das wunderbare Schweizer Duo Roundtable Knights übernimmt, ist Halten nicht mehr möglich. Es erklingt "Blue Monday" von New Order, der MC der Urban Nerds drängt wieder ans Mikrofon, und die Reaktionen auf sowas kann man sich vielleicht ausmalen. Main Man Beware hat danach in seinem Set soviele Superlative im Gepäck, da streubt sich die Feder fortzufahren. Gute Nacht! Party des Jahrhunderts, mindestens.
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