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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

21. 5. 2009 - 23:00

Journal '09: 21.5.

Der längste Tag, Teil 15 oder so. Übers FM4-Assessmentcenter.

Das Licht im großen Sitzungssaal im Wiener Funkhaus haben wir um etwa viertel zehn ausgemacht. Es hat also fast 12 Stunden gedauert, das ist durchaus ein unfreiwilliger Längen-Rekord beim FM4-Assessment-Center-Tag.
Unfreiwillig, aber sinnhaft: denn, wenn das Feedbacken in kurzen Einzelgesprächen stattfinden, dann dauert das eben länger als in der kleinen Gruppe; aber bringt halt auch mehr, für alle.
Und es bringt vielen was - das denk ich mir eigentlich jedesmal nach diesem Schlauch, der traditionell im Mai daherkommt. Es ist einer der wenigen Momenten wo es ein Zusammenspiel gutwilliger Kräfte gibt: der Gruppe, die die junen Menschen um Blutauffrischung ersuchen, der Gruppe junger Menschen, die es auf sich nehmen sich bewerten zu lassen, was immer eine ungerechte Sache ist, und der Gruppe, die Infastruktur zur Verfügung stellt, vor allem in Bezug auf das Coaching eines solches Tagesablaufs.

Und obwohl man hier die aktuell greifende Sparmaßnahmen des Unternehmens unmittelbar bemerkt (was besonders bitter ist, weil Sparen bei den Human Resources-Abteilungen immer ein ganz schlechtes Signal darstellt), ist das einer dieser Schnittpunkt-Momente, an denen spürbar wird, dass dieses unser Medium, dieses unser Radio keine Schraubenfabrik ist (um einen alten Spruch des Ö1-Chefs zu zitieren) sondern ein lebendiges Ding, ein Biotop, in dem klasssisch-rauhe Unebenheiten der unsozialen Markwirtschaft nicht greifen, sondern der menschliche Faktor was bedeutet. Weil nur menschlich behandelte Menschen ein so sensibles Produkt herstellen können.

Die Anti-Schraubenfabrik

Was denjenigen der hoffnungsfroh angetretenen jungen Menschen, denen man schlussendlich keine andere Botschaft als "ihr wart unter den 30 Besten" mit auf den Weg geben kann natürlich wenig Trost spendet.

Obwohl's keine reine Floskel is.

Ich hab unlängst, aus einem zufälligen Anlass heraus, den AC-Jahrgang 04 rausgesucht und nachgecheckt, wieviele von den damaligen 30 sich heute wo wiederfinden lassen. Neben vier mittlerweile unverzichtbaren FM4lern sind das noch etwa ein schwaches Dutzend, die sich in anderen Medien tummeln und dann noch sieben, acht andere in verwandten Bereichen (Film, Kunst, Event-Management etc). Das hat zumindest eine schnelle Mikro-Recherche ergeben.
Und das ist keine schlechte Bilanz.

Heuer war es so, dass unser diesmal etwas öffentlicherer Aufruf eine größere Menge an Bewerbern und damit auch ein höheres Qualitäts-Level gebracht hat. Und damit den Assessoren auch mehr Anstrengung im Entdecken der immer kleiner werdenden Nuancen, die den Unterschied ausmachen. Deshalb dann auch das längere und genauere Feedback, das den traditionell dem richtigen Leben entrissenem Interview-Gast dann zu früh auftauchen ließ - weil wir den Zeitplan schon am frühen Nachmittag nicht einhalten konnten.

Da es schon vorgekommen ist, dass auch diese Stargäste dann bei uns angefangen haben, weil sie bei diesen Testläufen (zwölf ähnliche Kurzinterviews mit zwölf Probanden) so gute Figur gemacht hatten. Deshalb kursierte auch diesmal der Witz vom möglichen Karrieresprung. Komisch, dass Harry Jenner, Veranstalter und Mastermind des Frequ... sorry, des FM4-Frequency-Festivals das nur mit einem Lächeln quittierte.

Die Sache mit dem Interview-Gast

Dabei hat auch er gute Figur gemacht: zehnmal erzählen, wie das jetzt genau mit Radiohead geklappt hat, elfmal den Umzug von Salzburg nach St-Pölten erklären, das schafft nur jemand ohne Duchhänger, der in sich ruht. Ich weiß, dass Jenner in der Fan-Szene zu Unrecht ein stranges Image hat, jetzt wissen das dreizehn andere auch. Und ich weiß, dass ein assoziativer (und kluger) Festival-Word-Rap mit Harry Jenner
einiges an Aussage-Kraft über die Branche, das festivalsommerliche Konsumverhalten hat und auch die Philosphie zumindest zweier Generationen offenlegt. Und das schlechte Jenner-Interviews sicher nicht seine Schuld, sondern die der Frager sind.

Da waren auch die gut, die die Diskrepanz meiner gemeinen Wissenstest-Doppel-Frage (Nenne zwei Mitglieder der Obama-Administration; nenne vier Besatzungsmitglieder der Enterprise) bestätigten. Grundwissen ist in Wiki-Zeiten wenig gefragt, allright, akzeptiert. Allzu vage Antworten auf Fragen nach konkreten Interessen sind aber durch nichts zu kompensieren. Und der im Prinzip berechtige Ausruf "Eine Ausbildung geben!" eines knapp nicht in die sommerliche Workstation Übernommenen auf die Frage, was wir noch für ihn tun könnten, benötigt im Vorfeld ein inhaltliches Commitment. Schwer in den "Der Markt will uns nicht!"-Zeiten, keine Frage, aber bei einem immer noch primär inhaltlich orientiertem Medium wie dem unserem (call us oldfashioned, aber das sollte sich auch nicht so bald ändern).

Risikonehmen

Dass das Bewusstsein dieses intensiveren Bewerbs das Niveau im Bereich des grundsätzlichen Handwerks stärkt, ist eine logische Entwicklung. Dass es gleichzeitig aber das Risiko-Potential schwächt, ist ewig schade.
Klar, man kann sich im Risiko-Nehmen auch vergaloppieren wie heute eine Teilnehmerin, aber besser auffällig vorbei als unauffällig im Mittelfeld oder?

Am Ende des Tages nimmt Ausbildner Karl Schmoll fünf künftige Workstation-Leute mit rauf in die Redaktion, während sich acht andere ein ausführendes Leider-Nein abholen. "The most bitter part", sagt Stuart Freeman.

Als ich, viel später, einer Bekannten die "Neuen" kurz skizziere, erkennt sie in einem einen Nachbarn und erzählt nach einem kurzen "Jössas!", das ihr (länger andauernder) Eindruck von diesem Kandidaten ein ganz anderer ist, als der, den wir Assessoren nach einem Tag gewonnen haben. Wobei jedes der beiden Bilder ein Gutes war.
Das holt mich natürlich runter - ein Tageseindruck ist eben ein Tageseindruck, nicht mehr. Und ungerecht. Ganz wie das Leben; in dem sich das alles hoffentlich ausgleicht. Wenn es so klappt wie 2004, dann bin ich schon zufrieden.