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Clara Trischler Jerusalem

Erzählt an dieser Stelle über israelische Alltagsbeobachtungen.

26. 5. 2009 - 12:40

Was bleibt, Krieg?

Gaza und es wird wieder Frühling

Süßes Gemüse, politischer Wein

Israel ist auch das Land butterweicher Avocados, ballförmiger Zucchinis und zwetschgensüßer Süßkartoffeln.

Dann möchte man sich für einen Wein entscheiden und es wird wieder politisch: den aus dem annektierten Golan oder dem besetzten Hebron? Oder den teureren aus Chile oder Israel?

Der Gazakrieg ist seit fast vier Monaten vorbei. Die israelische Stadt Sderot, die an der Grenze zum Gazastreifen liegt und oft aus Gaza von Raketen beschossen wird, spielt eine Schlüsselrolle im Verständis des Passierten. FriedensdemonstrantInnen wird oft wenig sachlich nahe gelegt, für eine Weile nach Sderot zu fahren, wo man zu manchen Zeiten in Minutenabständen schrillende Alarmsirenen oder zischende Qassams hören kann.

Ein arte-Team hat in schön gemachten, zweiminütigen Episoden in den Tagen vor und nach dem Krieg Bewohner Gazas und drei Kilometer entfernt lebende Israelis in Sderot parallel zu ihren Träumen, Lebensvorstellungen und Realitäten befragt.

Man borgte einander eine Tasse Zucker, aber man verliebte sich nicht

Die 45-jährige Yafa Malka hat einen Frisörladen in Sderot. Wenn Raketen fallen, vermietet sie den Salon an Kameraleute, eine solidere Einkommensquelle als ihr Haareschneiden. Sie ist blondiert und immer ein wenig aufreizender gekleidet als die anderen jüdischen Frauen. "Um Träume zu verwirklichen ist das nicht die richtige Stadt."

Yafa Malka, eine lächelnde 45jährige israelische Frisörin aus Sderot.

Clara Trischler

Yafa Malka, Sderot

Sie erinnert sich, dass man, wenn man in Sderot lebte, bis 2000 zum Haareschneiden nach Gaza fuhr, zum billigeren Markt und für Handwerker, zum Häuserbau, für Autoreparaturen und den Zahnarzt. Die Menschen waren Nachbarn. "Warum sollte man Angst haben? Sind doch Menschen, oder?" Das hieß: Man borgte einander eine Tasse Zucker, aber man verliebte sich nicht.

Die junge Palästinenserin Hebe Safi filmt wackelig den Gang durch das zerstörte Haus ihres Großvaters nach zwei Bombardierungen. Sie ist dem "Klub der jungen Journalisten" beigetreten und möchte Dokumentarfilme drehen, bekommt aber Probleme, weil sie als Frau auf die Straßen geht und Männer interviewt.

Junge palästinensische Frau

Arik Bernstein

Hebe Safi, Gaza

Die Geschichten sind einander ähnlich: Ein 18-jähriger Israeli, der beim Joggen in Sderot die Strecke entlang der meisten Bunker wählt, falls eine Rakete fliegt. Und der 20-jährige Ahmed in Gaza, der den Rekord für die meisten Liegestütze auf zwei Fingern im "Guiness Book of Records" aufgestellt hat. Übertragen von seines Webcam, weil er sich aus Gaza nicht hinausbewegen kann.

"Kein Gewerbe, kein Leben, kein Benzin, keine Elektrizität, ..."

Clara Trischler

"Wir leben im Rhytmus des elektrischen Stroms"

Fischer in Sderot

Clara Trischler

In Sderot lebt eine ältliche Jüdin, die bei den Warnsirenen vor Raketen mittlerweile psychotische Anfälle bekommt, eine 18-Jährige, die sich freut, endlich Soldatin zu werden, weil sie das Gefühl hat, dann etwas verändern zu können, aber aus Modegründen einen Palästinenserschal trägt, und eine israelische Kleinfamilie, die ihr Haus mit feuerfesten Türen, dickeren Wänden und "unbrechbarem" Glas umbaut. Die junge Mutter lässt aus Angst ihre Kinder schon seit einem Jahr nicht mehr draußen spielen. Sie freuen sich, Autos und Menschen zu sehen.

"und das Leben rennt davon"

Clara Trischler

In Gaza erzählen die Menschen einander von früher, als sie, wenn Gäste kamen, Tauben brieten oder Tiere schlachteten und morgens, mittags und abends Brot buken. Eine schwangere palästinensische Frau, die sich vergiftet hat, wird am Checkpoint abgewiesen, obwohl sie für das Passieren eine Sondergenehmigung hat. Manche Menschen sterben, weil sie an der Grenze nicht durchgelassen werden.

Die Fischer warten am Meeresrand und spielen Karten, weil es ihnen an Benzin mangelt oder auf sie geschossen wird, wenn sie sich in Gefilden fünf km vom Strand entfernt bewegen, wo es noch Fische gibt. "Das Meer ist uns verboten", sagen sie, und dass ein paar Boote angeblich ausreichen würden, um ganz Gaza zu versorgen.

"Es ist furchtbar"

Clara Trischler

Empfehlenswert:

  • Palästinenser picknicken, singen und versuchen über die Situation zu lachen (9. Dezember),
  • Yafas Frisörklientel erzählt von Gaza, als sie noch Kinder waren (26. November),
  • ein befreundeter palästinensischer Händler und Yafas Neffe aus der israelischen Armee kommen gleichzeitig zu Besuch (18. Dezember),
  • der Leiter der Tanzgruppe in Gaza unterhält sich über Barack Obama und den Schuhwurf auf George Bush während er versucht, die Musikanlage zu reparieren (22. Dezember)

In beiden Städten findet alltägliches Leben statt. Neben Lebensmittelrationierungen und raketensicheren Spielplätzen gibt es auch Bandproben, Familienessen, Erdbeerernten und Abschlussprüfungen.

Sicher haben die Israelis wenigstens die Wahl, in Sderot zu leben oder nicht. Manche fühlen sich zu alt um umzuziehen, leben seit vierzig Jahren hier, als sich die Stadt noch anders anfühlte. Erinnern sich an Fahrradfahrten als Kinder über Feldwege nach Gaza, unterwegs zum Humusessen an Samstagvormittagen.

Die kurzen Geschichten arrangieren nachfühlbar mosaikstückweise eingefangene Sehnsüchte, geknickte Lebensentwürfe und alltägliche Schönheiten zu Charakteren in ihren Lebensorten. Dadurch werden scheinbar ideologische Positionen zu persönlichen Einschnitten und schöneren Erinnerungen. Parallel.

Das entstaubt nicht nur die Theorie des Konflikts sondern erlaubt den BewohnerInnen Gazas und Sderot jeweils, über den Zaun zu sehen, in das Leben der Anderen. Es ist immer einfacher, die nicht sichtbaren Unbekannten zu hassen als den mobilen palästinensischen Zahnarzt oder den jüdischen Lebensmittelhändler, der darüber alt geworden ist, Menschen mit Briefen zu helfen, Unterstützung für die Renovierung ihrer von Raketen beschossenen Wohnungen zu finden.

Das israelische Fernsehen lehnte die Produktion der Serie übrigens mit der Begründung ab, dass Sderot den Israelis schon langweilig würde und Gaza noch nie irgendjemanden wirklich interessiert hätte.

Blick über Gaza

Clara Trischler

Die Töchter sterben während der Abendnachrichten

Fernsehenden Israelis wurde an einem popcorngerechten Vorabend im Jänner das Wegschauen erschwert: Während der Abendnachrichten wurde das Haus eines von den Medien oft konsultierten palästinensischen Arztes in Gaza bombardiert. Uninszeniert beweint Aboul Aish live den Tod seiner Töchter. Die Moderatoren wirken leicht verloren, die Sendung wird nicht abgebrochen, die Familie des Arztes wird (Achtung Ausnahme) für medizinische Hilfe an die israelische Grenze gebracht.



Der Krieg ist seit bald vier Monaten vorbei.
Die Fragen bleiben dieselben.