Erstellt am: 21. 5. 2009 - 16:14 Uhr
Nowhere Train: Salzburg - Seekirchen
Der Nowhere Train
Jenseide
Fünf Musiker, zwei Filmer und ein Autor bereisen von 17. bis 28. Mai 2009 mit dem Zug ungewöhnliche Orte in acht verschiedenen Bundesländern in Österreich. Aus der Reise, den Konzerten und Zusammentreffen der Menschen entsteht ein künstlerisches, multimediales Portrait des Landes.
Nachzulesen immer hier:
Ich muss fairerweise dazusagen, dass ich nackt bin. Wir haben gestern Nachmittag vereinbart, den heutigen Tag als "Day Off" zu betrachten. Selbstverständlich wird trotzdem musiziert, geschrieben und gefilmt. Aber alles eine Spur reduzierter. Die Zugfahrt nach Seekirchen wird nur eine Viertelstunde dauern, der kurze Film für die Geschichte ist schon fertig und ich möchte versuchen, nicht so lange am Text zu sitzen, während die Band, Clemens und Peter Sachen machen, die sie entspannen. Meine kleine Freude ist, dass ich nackt bin. Erstmals seit Sonntag morgen.
Peter ruft an und erzählt mir, dass gerade der Take, auf dem die Band vom Rosenhügel im Mirabellengarten aus die Salzburger Innenstadt ansingt mit "And we can not have all things to please us. No matter, how hard we try" weg ist. Den hätten wir gerne heute gezeigt. Die Einstellung wäre sehr statisch, bis Christian und Sergej ins Bild laufen und zwei Saltoüberschläge machen. Christian ist gerade im Mirabellengarten von einem pitoresken Steingeländer über einen mächtigen Blumentrog auf ein Säulenkapitel gehüpft. Dort hat er zufällig Sergej getroffen. Normalerweise ist der nicht im Mirabellgarten, sondern in Russland, wo er im öffentlichen Raum herumhüpft. Beide nennen, was sie tun "Parkour". Es geht darum, die eigenen Grenzen und die, die einem der öffentliche Raum setzt zu erkennen und zu überwinden.
Jenseide
Wir fühlen uns verwandt und machen etwas daraus. Leider ist es beim Speicherkartenwechsel verlorengegangen, wie mir Peter gerade eröffnet. Er muss jetzt doch noch mehr tun. Ich ziehe mir aus Solidarität eine Hose an.
Ian ist auch gerade heimgekommen. Wir teilen uns heute Nacht ein Zimmer in einem richtigen Hotel, dass uns ein Bekannter von Frenk netterweise sehr billig zur Verfügung stellt. Die Band spielt im Gegenzug ein Konzert im Alten Freibad in Seekirchen am Wallersee für ihn, seine Freundinnen und Freunde und alle, die sonst noch das Gefühl haben, heute wäre der erste gute Tag zum Badengehen.
Die Gründe für das Zurückschalten sind vielfältiger Natur. Einerseits haben wir gerade zwei Abende an Veranstaltungsorten verbracht, die beide kaum bis gar nicht auf unser Konzept eingegangen sind, die sich kaum einen Zentimeter auf uns zubewegt haben. Abgesehen vielleicht von Peter, dem sehr lieben Tontechniker in der Rockhouse-Bar, der es trotz absolviertem Soundcheck einsieht, dass die Band sich entscheidet, lieber doch draußen vor der Tür zu spielen. Wie wir später erfahren, ist es das erste Open Air Konzert vor dem Rockhouse seit 16 Jahren. Dass der Gastgarten direkt an einer vielbefahrenen Hauptstraße liegt, macht fast nichts. Die Band hat einige Songs leicht umarrangiert oder zumindest die Instrumentierung ausgedünnt. Die Soundwand lässt jetzt stellenweise mehr Platz für Nebengeräusche. Ich interpretiere das als ausgestreckte Hand, die ich gerne annehme.
Jenseide
- Nowhere Train (Ian Fisher)
- Big Time (Frenk Lebel)
- No Stories (Love&Fist)
- Near (A Life, A Song, A Cigarette)
- Annabelle (Gillian Welch)
- I Take You In (Frenk Lebel)
- Ship Song (Nick Cave)
Die Band macht eine kurze Pause und Clemens lässt seinen Hut herumgehen. Den hat er von seinem Großvater übernommen, der ihm oft Vorschläge macht, wie er seine Arbeiten besser verkaufen könnte. Der Enkel freut sich über 150 Euro, die uns in die Lage versetzen, unsere offene Getränkerechnung in der Rockhouse-Bar begleichen zu können. Zu spät haben wir erfahren, dass nur das billige Dosenbier und das Sodawasser im Kühlschrank "Backstage" für uns kostenlos sind. Wir waren aber auch kaum eine Sekund in diesem Raum. Nach dem Konzert nehmen diejenigen von uns, die nicht auf Schmerzmitteln sind, Dosen mit hinaus. Der Barmann kommt zum Tisch und sagt „Ihr müsst Plastikbecher nehmen. Dieses Bier verkaufen wir nicht.“ Es ist das erste Mal auf dieser Reise, dass uns jemand sagt, etwas von dem, was wir tun ginge nicht.
- Folsom Prison Blues (Johnny Cash)
- Marie (A Life, A Song, A Cigarette)
- Just Because (Love&Fist)
Während des gesammten Konzertes versucht zehn Meter entfernt eine hagere Gestalt händeringend, eine gedrungenere Erscheinung davon zu überzeugen, dass es das Beste wäre, man würde heimfahren, eine Kiste Bier kaufen und sich einen Horrorslasher geben.
Damit wir nicht auf ähnliche Gedanken kommen, bevor wir morgen Richtung Steiermark losfahren, ruhen wir heute ein wenig aus. Wir haben noch viel vor und von jetzt an werden wir Clubs meiden.
Wenn du Lust hast, uns zu beherbergen und auf der Strecke Schladming – Hieflau bist, schick doch ein E-Mail an fm4@orf.at. Bedingung sind Abholung vom Bahnhof und eine warme Mahlzeit. Dafür bekommst du alles, was wir geben können. Ab heute Abend sind wir übrigens einer mehr. Valentin wird uns begleiten. Er hat das Konzert gestern Abend im Stromboli gesehen und möchte gerne bei den Filmarbeiten helfen. Ich freue mich schon darauf, ihn kennenzulernen.
Clemens, Jakob und Peter haben einen neuen Clip fertig. Wir müssen den Zug nach Seekirchen erwischen. Morgen mehr