Erstellt am: 23. 5. 2009 - 06:00 Uhr
"Nee, ich fahre da nicht rauf"
Im Jänner 2008 erhielt Christoph Schlingensief, der schöpferische Zerstörer der Wagner-Denkmalpflege und das wandelnde Kraftzentrum der deutschsprachigen Drehbühnen zwischen dem Wiener Burgtheater und Bayreuth, die Diagnose Lungenkrebs.
Er ging zunächst mit diesem Schock so um, wie man es von ihm gewohnt war. Er stülpte seine privaten Ängste nach außen, trieb seine Dämonen aus, indem er sie zu Texten in nicht enden wollenden Tagebuchaufzeichnungen auf Tonband machte oder sie in neue Kunst mit prekärem Naheverhältnis zur oft verzweifelten Wirklichkeit im Krankenzimmer verwandelte. Drei neue Inszenierungen und drei Ausstellungen hat Schlingensief in den Monaten seiner Krankheit realisiert, bevor er im März 2009 mit seiner ReadyMadeOper Mea Culpa am Wiener Burgtheater gastierte. Mea Culpa war das vielleicht beste und stimmigstes Stück Schlingensiefs, weil es seinen überbordenden Willen zur Transformation seiner Welt in künstlerische Bezugssysteme unter dem Banner der Krankheit verdichtete und dadurch auf eine radikal persönliche, existentiell-anrührende und trotzdem vielschichtige Weise von den letzten Dingen erzählte. Nun sind auch noch die Mea Culpa zugrunde liegenden, verstörenden und immer wieder komisch-aggressiv gebrochenen Selbstreflexionen des Krebskranken als Buch erschienen.
Thomas Edlinger hat das mittlerweile zum Bestseller avancierte Buch gelesen und mit Schlingensief über seine Krankheit gesprochen.
APA - Hans Klaus Techt
"Wenn man dann einmal sowas hatte und dagegen kämpft und dann denkt 'Ok, es läuft', dann kriegt man trotzdem den Schock - was hat das zu bedeuten. Dann kommt der nächste Teil, der Arzt sagt 'Oh Gott, Metastasen - Sie haben nicht mehr lange. Jetzt müssen wir ganz schnell reagieren' und dann schaffst du das. Nach zwei Monaten sind die weg. Dann denkts du 'Ja, was war denn das jetzt wieder - kommt das wieder, ist das chronisch? Und das ist der nächste Punkt jetzt: Ich bin eigentlich wieder auf der Erde, aber ich fühl mich noch nicht so. Und das ist der dritte Teil, die Frage nach dem 'Ich bin hier - aber vieles, was ich hier früher genossen hab und auch gerne mitgemacht hab, ist nicht mehr so wichtig'. Was wieder mehr wird, ist der Humor, so dass ich auch wieder mehr lache und dass ich auch das manchmal nicht ganz so ernst nehme. Es gibt ein paar traurige Passagen (im Buch, Anm.), aber im Großen und Ganzen geht es doch auch um die Wahrheit dieser Schizophrenie zwischen den Gesundheitsaposteln und den immerwährenden Dumpfbacken, die sowieso noch nie wussten, was das eigentlich ist und sich auch noch nie Gedanken darüber gemacht haben. Ist auch vielleicht gar nicht so schlecht, sind wahrscheinlich die besten, die edelsten Menschen überhaupt, die nur einfach hier so tumb herumrennen und einfach gar keine Fragen stellen. 'Der am glücklichsten ist noch zu loben jener, der seine Hoffnung wiegt bis zur letzten Stunde, sprachs und sprang aus dem Fenster.' Ist, glaub ich, von Resnais ein Film, ich weiß nicht mehr, 'Aus dem Leben einer Nonne'."
Ist ein schöner Satz
"Ein toller Satz. 'Manch einer lobt ein hochgelegenes Fenster, manch einer sucht einen Strick, am glücklichsten sind noch zu preisen jene, die ihre Hoffnung wiegen bis zur letzten Stunde'. Und diese Hoffnung, auch diese Erlösungshoffnung, die hab ich nicht mehr. Also für mich ist Erlösung ein ganz grauenhafter Vorgang, ich glaub da nicht dran, ich find das auch in der Ärzteschaft, in der Medizin überhaupt im Bewusstsein der Bevölkerung ist das ein völliger Schwachsinn, führt immer zum Kollektivwahnsinn, dass dann immer einer sagt 'Ich bin erlöst' - oder auch diese Bücher, die es gibt 'Ich habe den Krebs besiegt', das sind alles solche Irrwitzveranstaltungen. Jetzt rufen ja auch bei mir schon Leute an, die fragen, was für Tabletten ich nehme, weil das bei mir ja wohl was bewirkt hat, weil sonst wären die Metastasen ja nicht weggegangen. (...) Man stirbt ganz alleine und einsam und man kann da noch so viel Hände an sich spüren, irgendwann ist der Deckel zu. Und das ist bitter. Das tut mir jetzt schon leid. Ich hab die meiste Lebenskraft in den Momenten, in denen ich sage, 'Nee, ich fahre da nicht rauf'. Die können da oben singen und tanzen, ein Theater für mich einrichten und ich soll oben inszenieren - ich komme nicht.
Kiepenheuer & Witsch
bei KiWi erschienen
So eine Scheiße hier
Das Interview wurde geführt im März 2009, als es Christoph Schlingensief etwas besser ging. An dem Tagebuch könnte er wohl auch heute noch weiterschreiben, als Leidensbeauftragter wider Willen, der Ratschläge geben soll und der als Krebspatient-Vorbild bei den Johannes B. Kernes dieser Welt fungieren soll und doch selbst in seinen diktierten Tagebüchern in nackte Verzweiflung versinkt. "Mann, ist das eine Scheiße hier. So eine unendliche Scheiße."
Die Tagebücher umfassen knapp einenthalb Jahre, die unter dem Schatten der Diagnose und der Behandlung stehen und durchmessen - daran erkennt man auch den Reibebaum des Künstlers und seine Tendenz, alles, auch eine Krankheit zu Material zu machen - verschiedenste Formen des Umgangs: Hysterie und Apathie, Schwäche, Anmaßung, Grauen, Hoffnung, Liebe, Epiphanien des Alltags und die Verwüschungen des Glaubens.
"Es ist keiner mehr da. Alles ist tot. Und: Es ist gut so, dass es so ist. Ich will wenigstens einmal ganz alleine sein, ich habe das Recht dazu. (...) Ich bin aggressiv, aber eigentlich bin ich tot. Heute Abend könnte ich wirklich mit einem Knüppel durch die Stadt laufen und alles kurz und klein schlagen. Ich bin so beleidgt, so dermaßen beleidigt und verletzt von diesem Ding. Mit 47 Jahren. Ist ja echt eine unglaubliche Beleidigung."
Seine aus der mündlichen Rede destillierte Tagebuchaufzeichnungen kippen durch ihre assoziative Struktur immer wieder ins Unvorhersehbare. Das Buch will kein rundes Werk sein, sondern das Risiko der ungeschützten Intimität auf sich nehmen und sich um eine Ehrlichkeit und Unverstelltheit bemühen, die man so bei Schlingensief noch kaum erlebt hat.