Erstellt am: 21. 5. 2009 - 16:23 Uhr
Guter Rock, dunkle Nacht, sowieso Beats
Es haben ja anscheinend doch gar nicht alle zu viel Zeit, sonst wären sie ja am Nachmittag schon hier. Einsam werkt Dorian Concept auf der Bühne an seinen elektronischen Gerätschaften, im Zuschauerraum haben sich auf der Kasematten gegen 18 Uhr 30 erst wenige Menschen eingefunden. Die scheinen teilweise lieber noch draußen auf der Wiese zu liegen und mit dem ersten Sixpack des Tages zu kämpfen.
Wie jedes Jahr braucht es schon ein, zwei, drei Stunden bis der Erföffnungsabend des Springfestivals besucher- wie stimmungstechnisch so halbwegs in Fahrt kommt. Dabei ist es jetzt nicht unbedingt eine Schande, aber immerhin: schade, dass nicht mehr Menschen gehört haben, was der junge österreichische Herr Dorian Concept da so an feinen Beats im Spannungsfeld zwischen verstolperter Warp-Elektronik, HipHop-Derivaten und mitunter auch technoider Abfahrt zusammengebastelt hat. Man soll es auf Platte nachhören!
plh
Gegen halb neun, kurz bevor es wichtig werden soll, verbreitet sich die Kunde, dass Fever Ray und Gossip die Slots getauscht haben, Fever Ray jetzt also der letzte, quasi Haupt-Act des Abends sein wird. Auf der Kasematten! Die wahren Fans von Gossip haben das durch die Hintertür und womöglich Tratsch natürlich schon längst mitbekommen und lauern in der ersten Reihe. Viele, viele andere werden zu spät kommen, ihre Lieblingsband und einen Hauptgrund ihrer Anreise verpassen und sich über die kurzfristige und eher sehr nachlässig angekündigte Verschiebung im Zeitplan zu Recht die Haare raufen.
plh
So ist das Leben
Genügend Leute sind trotzdem da, und diese vielen netten Leute dürfen, wie kaum anders zu erwarten war, mit Gossip eine sehr gute Liveband bestaunen. "We're not an electronic band, but I guess guitars are electric", weiß Beth Ditto etwaige Zweifel bezüglich der Rechtfertigung des Auftritts ihrer Band im Rahmen einer Veranstaltung mit dem Namen "Electronic Beats" nonchalant von der Bühne zu wischen. Dass die Frontfrau von Gossip gerade, wie es heißt, ein bisschen krank sein soll, das, also wirklich, DAS wird ihr an diesem Abend aber niemand abnehmen. Sie ist genau so in Form wie man sich Beth Ditto immer gerne vorstellen möchte und besser. Sie tanzt mit ausladenden Handbewegungen, singt, swingt, winkt und deutet kokett schulmeisternd mit dem Finger, wenn mal jemand aus dem Publikum etwas besonders Blödes Richtung Bühne ruft. Kommt aber eh nicht wirklich vor.
plh
Die Stimmung ist zwar bestens hochgeköchelt, es ist aber nicht schwer sich vorzustellen, das zwei Stunden später, dem eigentlichen Termin für die Band, ein viel gewaltigeres Fass Partykultur zerplatzt wäre. Gossip, mit einem zusätzlichen Bassisten zum Quartett angewachsen, spielen sehr viele Stücke ihres ausgezeichneten, demnächst erscheinenden Albums, es trägt den schönen Titel "Music for Men". Naturgemäß sind die Stücke nur wenigen im Publikum bekannt, so bleibt es zunächst bei eher mäßigem, wenngleich höchst euphorisiertem Mitschunkeln. Zwischendurch unterhält sich Beth Ditto immer wieder mit dem Publikum, wirft ein paar Brocken Deutsch, "Bitte", "Danke", "Wie geht's?", ein und teilt uns, sich mit der Hand zwischen die Beine fassend, mit, dass sie eben ihre Peroide bekommen hat: "There might be blood. C'est la vie, bitches!"
plh
Die aktuelle Single "Heavy Cross" - ein HIT - sorgt dann schon für erste ekstatische Entrückungen in allen Reihen, und so soll es weiter gehen. Das neue Album von Gossip findet einen sehr guten Mittelweg zwischen Bluesrock, Post-Punk, richtig echtem Schrammelpunk, Kuhglockendisco und einem Funken Elektronik. So ist auch die Show aufgebaut, und so schaukelt sie sich auch immer weiter hoch bis zur vorletzten Nummer, dem neuen Stück "Four Letter Word", einem waschechten Synthie-Pop-Track im Geiste von New Order und so ziemlich das Beste was Gossip jemals auf Platte gebannt haben.
plh
Danach kündigt Beth Ditto an, dass nun der letzte Song des Abends folgen soll, und jeder weiß, was jetzt kommen muss. Den Titel braucht Ditto nicht zu nennen, "Standing In The Way Of Control" kommt, ist das großartige Stück Musik, das es ist, und keiner steht mehr. Auch Ditto hält es nicht mehr auf der Bühne, sie drängt sich, Mikrofon in der Hand und immer noch singend, durch die ersten Publikumsreihen, lässt sich herzen, huggen und Küsschen geben. Full Disclosure: I touched Beth Ditto.
plh
Join the Dark Side
Beim Auftritt von Fever Ray weiß man dann aber auch wieder, dass die Verschiebung der Auftritte so eine schlechte Sache sicherlich auch wieder nicht war, die Horror-Elektronik samt Laser-Show von Fever Ray dürfte sich nämlich bei Tageslicht dann wohl doch nicht so ideal entfalten, wie sie es gegen 22 Uhr abends tut. Karin Dreijer Andersson, man hat davon gehört, eine Hälfte des schwedischen Düstertechno-Duos The Knife, ist die Hohepriesterin einer besonders heidnischen Messe.
susi ondrusova
Von einem Umhang umhangen, irgendwie Riesenpelz, so genau kann man das durch die Nebel nicht sehen, auf dem Kopf erscheint sie auf der mit altertümlichen Stehlampen vollgestellten Bühne. Begleitet wird sie von vier Musikern an vornehmlich elektronischem Gerät, Percussions und federbehangenen, rasselnden Zauberstäben. Verkleidungstechnisch befinden wir uns hier zwischen Spanischer Inquistion, Nordischer Mythologie, Karneval in Todesvenedig, Ku-Klux-Klan und Sitting Bull. Das Debütalbum, das sich eine eigene, kalte, kalte Welt aus Ambientschlieren, Zeiltupen-Synthiepop, minimalistisch pulsirenden Beats und dem Gesang Luzifers höchstselbst errichtet, wird aufgeführt und es ist, selbst wenn ein kleinerer Club für die Little Show Of Horror von Fever Ray geeignter wäre: eine Erleuchtung der dunklen Sorte, eine Erscheinung!
susi o
susi ondrusova
Dicke Beats
Was danach noch so alles Graz erschüttert hat, ist nur in Kürzestform zu fassen, weil, man muss es so sagen dürfen, der Mittwochabend der programmtechnisch beste und dichteste Tag des Festival war. Im kleinen Raum des ppc hat das hervorragende New Yorker Duo Holy Ghost!hervorragende Disco-Platten auf technisch nicht ganz so hervorragende Weise auf die Plattenteller gelegt, und die ebendort vage unter der Schirmherrschaft von DFA Records stehenden Nacht in eine glühende Party transformiert, die House of House, Patrick Pulsinger, und Wolfram Diskokaine formidabelst weiterführen sollten, während im Hauptraum die eigentlich großartigen Warp-Veteranen Plaid ein bisschen langweilig waren und Tigersushi-Mann Joakim die Turntables mit ziemlich rougher wie guter Musik bedient hat.
phl
plh
Zum Abschluss hat noch Diplo, der Großminister der Stilverqirlung zwischen Booty Bass, HipHop, Baile Funk, Baltimore Club und gefühlten 43 Subspielarten irgendwelcher Block Rockin Beats, gemeinsam mit der Posse seine Labels Mad Decent, wie nicht anders zu erwarten war, den brechend vollen Dom im Berg zerlegt, dann wars aber Zeit fürs Bett! Und heute nicht vergessen: A Mountain of One anschauen!
plh