Erstellt am: 20. 5. 2009 - 20:24 Uhr
Journal '09: 20.5.
Was die aktuelle Zurückgeworfenheit auf den Körper mit den Selbstausbeuter-Medien, mit Beth'n'Boots, mit der Migranten-Kids im Park und mit der Strache-Politik zu tun hat.
Schau, sagt die Petra und wird sehr ernst, die einzige Möglichkeit die ich als Frau habe in diese Zeitschrift zu kommen ist mich auszuziehen oder gefällig zu posieren, einem Klischee zu entsprechen. Und mit denen wollen wir ernsthaft kooperieren? Das ist doch gegen alles wofür wir stehen!
Ich hab das zufällig, ein paar Meter entfernt, mit einem halben Ohr mitgehört, bin aber jetzt neugierig um wen es geht und stoße zu der kleinen Diskussionsgruppe. Ich hätte gleich drei Kandidaten, um welche (österreichische) Zeitschrift es sich handeln könnte, die in einem durchaus coolen, durchaus angesagtem und durchaus von Menschen mit hohem Bewußtseinsstand betriebenen Kontext erscheinen und sich trotzdem an die Ausbeutungslogik des Kommerz anbiedern. Es wird dann mein Tipp Nr. 2.
Abgestandener, verzweifelter Hedonismus
Diese Kollegen (und es sind echte Kollegen, g'scheite Figuren, mit denen man die aktuellen Diskurse dieser Tage gut führen kann) sind sich auch nicht zu blöd für ein paar idiotische Werbe-Trottel (die eine Campaign für die chosen few der Trend-Szene machen wollen) eine "Jetzt erst recht! - wir baden in Schampus und Lachsfisch"-Party zu schmeißen, von deren kläglichen Verlauf sie dann auch noch peinliche und nichtssagende Bilder ausschicken, mit dem zynischen, in den 90ern bereits versagt habenden hedonistischen Ansatz der Ausbeutung des Mainstreams durch die abgefeimten Auskenner und ironischen Besserwisser.
Mittlerweile sollten wir doch soweit sein, es uns zugestehen, dass es umgekehrt funktioniert, dass der Kommerz, der Mainstream, das Konsum-Monster die Jugend/Kreativ-Industrie aussaugt und ordentlich durchfickt, nicht umgekehrt. Das war nur eine ganz kurze Zeitspanne (und an ganz wenigen Orten) in den 60/70ern der Fall.
Aber in der Verzweiflung, in der aktuellen Prekariats-Angst, in der "der Markt braucht uns nicht"-Resignation ist die Art Selbstbetrug, die mit Patrick Bateman eigentlich bereits einmal ausgestorben ist, wieder da.
They shoot horses, don't they?
Der Körper als einziger Definitions-Raum
In einem sehr traurigem Abgesang auf den sozialen Frieden in der heilen Wiener Welt läßt der Falter einen Experten etwas Klassisches sagen: "Die arbeitslosen Jungen können sich oft nur über zwei Dinge definieren: ihren Körper und den Park“.
Nichts Neues, klar.
Wer täglich die Karlsplatz-Passage kreuzt kennt das: sowohl die extreme Positionierung des eigenen Körpers und die Vereinnahmung der Raums, den man täglich stundenlang durchmißt, sind die beiden fixen Parameter der Outlaws, egal ob es sich wie da um Junkies in einem beinharten Substitutsdrogen-Markt oder um Perspektivlose in einem gefühlten/halbechten Ghetto handelt.
Insofern ist die Zurückgeworfenheit auf das rein Körperliche schon die logische Konsequenz für praktisch alle, die an der Krise leiden oder schon vorher zu den Unterprivilegierten gehört haben (was nach der Komplett-Auflösung des Mittelstandes sehr bald sehr viele mehr sein werden).
Daraus resultiert womöglich die neue, selbstzerfleischende Klischee-Auszieh-Pose, mit der man sich derzeit als Frau durchschlagen muss. Man kann dem mit mehr (wie unser Zeitschriften-Beispiel) oder eben mit weniger Zynismus begegnen, aber wegleugnen läßt sich's nicht.
Beth'n'Boots
Take Beth Ditto.
The Gossip spielen heute bei der Spring09-Eröffnung.
The Gossip
Die schlägt aus dem Zynismus der Volltrottel (der Kinder von Beavis und Butthead), die sich übers hihi-machen über Bilder einer dicken halbnackten Frau definieren, Kapital. Macht aus dem "Boa-die Oide traut si wos!" der Deppen massive Öffentlichkeit. Was fast immer und automatisch zu Diskussion führt, die dann meist vor The Gossip-Soundtracks stattfindet, weil diese Musik dazu paßt, weil sie pusht und shovet.
Take Little Boots.
Little Boots is the latest addition to the FM4-Frequency 09-lineup.
spex
Die saß vor einem Jahr noch in ihrem Bedroom um uns mit der entsprechenden Direkt- und Körperlichkeit anzumachen, lolitastyle.
Weil auch hier das Authentische fast ausschließlich das Körperliche war.
Sicher ist das Lied nett, aber von dieser Sorte gibt es auf Youtube Abertausende - verkaufen tut sich aber nicht die Musik, der Inhalt, sondern der Körper (hier zb ein Clip aus der Zeit, ehe sich Little Boots für Blond entschied...).
Damit mich da keiner (absichtlich) falsch versteht: gegen all das ist an sich nix zu sagen, weil der Körper ja das lässigste Instrument von allen und für alles ist -> der eigene und der fremde.
Sofern die Körperlichkeit sich nicht verselbstständigt und alles andere (vor allem den das Äußerliche nicht wirklich benötigenden Inhalt) wegdrischt; wie mit dem Baseballschläger.
Die Monokultur geistiger Ernährung
Letzlich ist die aktuelle politische Linie der österreichischen Rechts-Populisten nichts anderes als genau diese Zurschaustellung einer Körperlichkeit, wie sie die Burschen in Park, die Substi-Hustler in der Passage, die hiesigen Nachäffer der Beth'n'Boots und auch die Kasper der hiesigen Vice-Außenstelle vorleben und pflegen.
Die sind nämlich keine Opfer, die sind so wie die nervigen NGO-Mitgliedschaften-Keiler vor den U-Bahn-Stationen: überflüssige Zwischenhändler.
Beides führt zu einer Monokultur geistiger Ernährung.
Das ist so, als würde man nur Nudeln oder nur Fleisch oder nur Obst essen - das macht einen tot (und blöd), auf Dauer (auf recht kurze sogar).
Die bewußte und ganz absichtliche, von mir aus auch zurecht verzweifelte und in Spurenelementen womöglich echt subversive Zurückgeworfenheit aufs rein Körperliche zieht ihre Lust immer zuerst aus ihrem Leid.
Und das bedingt automatisch ein Feindbild, einen Sündenbock, ein Konstrukt für die kumulierte Verachtung, die man in sich trägt, aber nicht abladen kann, weil man ja nicht wirklich weiß, warum man leidet, sondern nur auf die (gern dumpfen) Signale des Körpers achtet, und nichts anderes sonst, weil nichts anderes sonst mehr Bedeutung hat.
Dieser sich leise anschleichende Feschismus ist ein Hort der Gefahr.
Weil genau dort holen die Sündenbock-Trainer, Feindbild-Aufreißer und Hass-Prediger ihre Kundschaft ab.
PS: Little Boots zumindest hat den Zwiespalt, die Absicht der Zwischenhändler dieser Zurschaustellung durchaus erkannt; das erzählt wenigstens ihre Version von Time to Pretend.