Erstellt am: 20. 5. 2009 - 19:55 Uhr
Zeichen der Stadt
"Grafikerkrankheit", murmel ich oft fast entschuldigend, wenn ich auf der Straße wieder irgendwelche Schilder und Zeichen fotografiert habe. Tausende derartige Bilder habe ich auf verschiedensten Festplatten verstreut – und wenn ich umgehend Freundinnen und Freunde aufzähle, denen es genauso geht, bin ich schnell im zweistelligen Bereich.
Stadtalphabet Wien
Martin Ulrich Kehrer
In Wien lässt sich mit dieser Krankheit ganz gut leben, bietet die Stadt doch quer durch die Bezirke großartige Motive, wunderschöne Schriftzüge, herrliche Buchstaben und Schilder. Typographische Schätze, die im restlichen visuellen Lärm oft übersehen werden. Nicht aber von dem Grafikdesigner Martin Ulrich Kehrer.
Martin Ulrich Kehrer
Martin Ulrich Kehrer: Stadtalphabet Wien, mit einem Nachwort von Walter Pamminger, Sonderzahl Verlag, Wien 2009)
Der hat ein ganz besonders feines Gespür für Grafik am Gebäude – im speziellen für die Schilder und Beschriftungen kleiner Geschäfte. Orte, in denen teilweise die Zeit stillzustehen scheint. Orte, die genauso einmalig sind wie ihr Name. Orte, die groß zur Straße hin erklären, was sie anbieten "Bonbons, Knöpfe, Pelze".
Martin Ulrich Kehrer interessiert sich für die Beschilderung dieser Orte - über 2500 hat er davon in den letzten drei Jahren fotografiert und 200 in einem kürzlich erschienenen Buch vorgestellt: Stadtalphabet Wien.
Von A wie "Ästhetik" am Allerheiligenplatz in der Brigittenau bis Z wie "Zuckergoscherl" in der Aichholzgasse in Meidling.
Alphabethisch geordnet werden die prächtigen Schriftzüge in ihrer gesamten Länge, quasi als Blocksatz, dargestellt – vereinzelt gibt es Seiten mit Detailaufnahmen.
Martin Ulrich Kehler
Dadurch, dass die Schilder ihrer unmittelbaren Umgebung entnommen worden sind, ergibt sich nicht nur eine neue Ästhetik, sondern auch ein völlig neuer Kontext. Man muss Martin Ulrich Kehrer geradezu dankbar sein für diese typographische Momentaufnahme, nicht nur zeigt er eine Sammlung großartiger Schriftzüge und Schilder, die jedes GestalterInnenherz höher schlagen lassen, sondern er leistet auch einen wesentlichen Beitrag zur Stadtgeschichte, schließlich verschwinden die Schilder häufig ganz leise und nur mehr verblasste Buchstabenumrisse bleiben und ersticken im Lärm der globalen Zeichen.
Das bringt uns gleich zum zweiten Buch, das dieser Tage erscheint und das eine Ausstellung im Designforum begleitet:
Krieg der Zeichen. Spurenlesen im urbanen Raum.
Markus Hanzer
Markus Hanzer : Krieg der Zeichen. Spurenlesen im urbanen Raum, Verlag Hermann Schmidt Mainz 2009)
Markus Hanzer betreut als Designer hauptberuflich große Medienunternehmen und lehrt an der FH Salzburg sowie an der Angewandten in Wien. Seit Jahren hat er aber eine große Leidenschaft - Buchstaben und Schilder im öffentlichen Raum. Deswegen war er auch Museumsdirektor im typemuseum (Interessante Linksammlung). Und betreut jetzt die Stadtgespräche.
Mit den darin gesammelten Bildern und Erfahrungen ist jetzt das Buch "Krieg der Zeichen. Spurenlesen im urbanen Raum." erschienen und eine gleichnamige Ausstellung im Designforum Wien.
Markus Hanzer legt seinen Fokus auf die kommunikativen Zusammenhänge von Zeichen in der Stadt. Weltweit untersucht er etwa, welche Assoziationen bestimmte Formen auslösen, wie Märkte mit Zeichen hantieren oder wie Medien Zeichen beeinflussen. Sehr interessant seine Sammlungen über die Darstellung von gleichen Inhalten in unterschiedliche Kulturen – ja, es macht einen Unterschied, ob es heißt "ist verboten"oder "wird gebeten" oder ob gleich eine positive Alternative geboten wird.
Stadtgespräche
Das Buch ist gefüllt mit jeder Menge interessanter Bildbeispiele, die leider aus Platzmangel teilweise sehr klein abgedruckt worden sind.
Was mich hingegen sehr stört ist das kriegerische Vokabular, mit dem Markus Hanzer seine Ideen beschreibt. Im öffentlichen Raum herrsche ein harter brutaler Verdrängungskrieg der Zeichen. Und jeder Krieg sei heutzutage ein Bilderkrieg, erklärt er mir. Aber bei Kapiteln wie "Kriegsparteien & Waffengattungen" oder "Raumodrnung & Schlachtfelder" oder Sätzen wie "Das Fremde macht uns Angst" fällt meine Lesefreude spontan gen Null. Markus Hanzer lässt sich von der kriegerischen Sicht nicht abbringen und verweist vielmehr auf seinen Marketinghintergrund.
stadtgespraeche.com
Nicht weiter verwunderlich, dass wir mit derart vielem visuellen Dreck umgeben sind, wenn Leute, aus Gestaltung oder Marketing, an Schlachtfelder denken. So schaut das auch aus. Also frage ich Markus Hanzer, ob die neutrale Schweiz, vielleicht gerade deswegen so gute Gestaltung und Grafik hervorgebracht hat, weil sie sich eben möglichst aus dem Kriegsgeschehen herausgehalten hat. Das sei meine Ansichtssache, persönlicher Geschmack. Disney sei beispielsweise mit ihrer Gestaltung viel erfolgreicher, selbst wenn das vielen nicht gefällt. Ich merke, dass ich mit meinem Vergleich von wegen Junkfood und wertvoller Ernährung auch nicht weiterkomme.
Markus Hanzer versteht Zeichen als Waffen und sieht Schlachtfelder im öffentlichen Raum. Folglich findet man diese auch in der Ausstellung.
Martin Lengauer
Die Ausstellung im
Designforum Wien läuft von 21.05.2009 bis 30.08.2009
In der "Bilderschlacht" sollen hunderte Bilder zu Adjektiven wie "notwendig, entbehrlich, nutzlos, vertraut, lästig, wertvoll, begehrenswert, zum Vergessen, ..." zugeordnet werden. Weil natürlich jede und jeder Zeichen anders deutet, sind die BesucherInnen auch herzlich eingeladen, die Zeichen umzuordnen.
Ähnliches gilt auch für einen Multitouchscreen, der in die Bereiche "good" oder "evil" halbiert worden ist und in den verschiedenste Zeichen und Botschaften aus dem öffentlichen Raum je nach Gutdünken verschoben werden können. Die Zeit, die ein solches Zeichen in einem der beiden Bereiche verbringt wird immer mit gemessen.
Martin Lengauer
Interessant die Gegenüberstellung der Denkmal-Wand und einer Gewista-Plakatwand. Wem gehört der öffentliche Raum? Wer darf frei plakatieren? Wer knallt uns mit Marken, Logos und Werbebotschaften zu? Was ist das ausgelagerte Gedächtnis? Eine Antwort findet man bei der Ausstellung nicht, aber wenn sich die BesucherInnen Gedanken über die visuelle Nutzung des Öffentlichen Raumes machen, könnte das ja schon der erste Schritt in eine im wahrsten Sinne des Wortes schönere Welt sein.