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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

19. 5. 2009 - 22:37

live money

Wo ich gerade von einer musikalischen Reise zurückgekehrt bin: Ein paar Geschichten aus der Praxis zum Mythos des Live-Spielens als Alternative zur alten Tonträgerwirtschaft.

Vorgestern abend sind wir heimgekommen. Wie die windigsten Geschäftemacher sind wir auf der Fähre an einem Tisch gesessen und haben Banknoten gezählt. Es war also was übrig geblieben, und so sollte es ja auch sein, schließlich war ich der kleinen Tour wegen eine Woche lang nicht zum Arbeiten gekommen.

Stattdessen gab es den selbst in so kurzer Zeit bereits zur Routine werdenden Ablauf von Frühstück, Auto, Auto, Auto, Lokal suchen, wo man spielen wird (kein Satnav, vielleicht beim nächsten Mal doch...), Versuch der sozialen Annäherung an die Veranstalter, den Mischer, den Lichtmenschen, Soundcheck, Soundcheck, Soundcheck, schnell noch was essen und dann auch schon gleich spielen, danach Platten verkaufen, mit interessierten Leuten Mund fusselig reden, Zeug verstauen, ab ins Bett und jedesmal mit ein bisschen mehr Kopfweh als am Morgen zuvor wieder aufwachen. Alles, wie es sich gehört.

Klingel in Kölner Hotel

Robert Rotifer

Hotel in Köln

Sicher, wir hatten auch unsere Problemchen gehabt. Da das falsche Hotel, dort die bis in den frühen Morgen andauernde Party im Stock über der Unterbringung, nicht zu vergessen das eingeschlagene Autofenster. Aber im Endeffekt war doch alles gut gegangen, und wie gesagt, es war sogar was übrig geblieben dabei.

Das war umso erstaunlicher, als ich erst vor zwei Wochen noch Freund B bei mir zu Gast und dessen Tournee-Erzählungen im Ohr hatte. Aber vielleicht sollte ich an dieser Stelle erst einmal kurz mein verbales Hinweisschild aufpflanzen: Diese Geschichte ist kein weitererzählter Erlebnisaufsatz, sondern eine kaum verbrämte Replik.

Düsteres Fenster

Robert Rotifer

Unterbringung in Bremen

Eine Replik auf all die schlauen Postings unter den Geschichten zum Zustand des Popgeschäfts, wo mit progressivem Gestus kryptisch auf „andere“ und „neue“ Einnnahmequellen statt der ollen Plattenverkäufe des vorigen Jahrhunderts verwiesen wird.

Einer der populären Ansätze dieser Thesen ist, dass heutzutage eben das Live-Geschäft wieder wesentlich wichtiger würde. Und nachdem ich meine eigenen bescheidenen Erfahrungen in diesem Bereich nie und nimmer als Maßstab zum Test der „neuen“ Musikökonomie heranziehen würde, kommt hiermit Freund B ins Spiel.

B ist normalerweise Soundtechniker, im Moment aber auch Tourmanager im Dienst einer ziemlich großen Indie-Band.

Zehn Euro pro Tag für die Popstars

Mit „ziemlich groß“ meine ich die Sorte Band, die regelmäßig auf FM4 zu hören ist, in ganz Europa und Teilen der USA ausverkaufte Gigs in respektablen Clubs spielt und deren Alben (bisher drei) bei einem sehr namhaften englischen Indie-Label erscheinen. Keine Hobby-Kapelle jedenfalls.

Darren Hayman am Gehsteig mit Ukulele

Robert Rotifer

Darren Hayman vor dem Hotel in Köln

In der Beschreibung von Bs Doppeljob, den er für diese Band erledigt, ruht aber bereits eine selten ausgesprochene Wahrheit über die sich ändernden Zeiten:

Früher hatte man erwarten können, dass Tourneen, die Verluste machen, sich in steigenden Plattenverkäufen wieder rechnen würden, daher waren die Crews größer. Für eine Band, die einigermaßen im Geschäft war, gab es einen Fahrer, einen Sound-Techniker, einen Mischer, mindestens einen Roadie bzw. einen Guitar Tech (zieht Saiten auf, stimmt etc.) – übrigens: geschlechtsneutrale Formen würden bei diesen fast ausschließlich männlich belegten Berufen einer Verzerrung der Realität gleichkommen.

Im Falle der Tour, auf der B sich nun schon seit ein paar Monaten befindet, ist der Fahrer zugleich der Guitar Tech, die Bandmitglieder sind ihre eigenen Roadies, und B erledigt Tour-Management und Sound auf einmal. Dafür kriegt er immerhin 180 Pfund pro Tag (ein Freundschaftspreis, sein üblicher Preis sind 200 nur für den Sound, aber das Wort „üblich“ steht in zunehmendem Maße für „früher einmal“)

Der Fahrer/Guitar Tech kriegt nur 120, liegt damit aber immer noch weit vor der Band, deren Mitglieder pro Nase 10 Pfund bzw. auf dem Kontinent Euro Tagesgeld erhalten. In Buchstaben: Zehn.

Darum lässt sich immerhin eine Portion Baked Beans on Toast mit Spiegelei und Tee erstehen.

Pay to play

Mehr ist nicht drin, nachdem allein schon die Miete für den Kleinbus, die Unterbringung und die zweiköpfige Crew bei den englischen Konzerten die Einkünfte weit übersteigen.

Handtücher

Robert Rotifer

„Ihr müsst eure Shows billig spielen, damit die Leute euch sehen und dann die Platte kaufen“, sagt die Managerin oft und gern, wenn die MusikerInnen maulen. Denn die Band, von der wir sprechen, macht nicht die Sorte Musik, die für Werbesoundtracks verwendbar wäre. Es geht also tatsächlich immer noch ums Platten verkaufen, und zwar dringend, zumal erwähntes Plattenlabel 5000 Pfund an "tour support" investieren musste, um selbst solch eine bescheidene Besetzung auf die Straße zu bringen.

In einem Club in Reading spielt die Band zum Beispiel für 150 Pfund - dank der Personalkosten ein vorprogrammierter Verlust von 190 Pfund noch vor Einrechnung von Busmiete und Übernachtung.

Viel mehr kann auch gar nicht rausschauen, weil die Tickets – wie überall in der Provinz – nur drei Pfund kosten. Als B nach dem Gig die Gage abholen will, stellt sich heraus, dass der Veranstalter gar nicht erst zum Konzert erschienen ist. Er lässt ausrichten, B solle sich die Gage von einem der Barkellner holen, aber der ist "really busy now, can’t you see I’ve got things to do?"

Ölbild mit Feuerlöscher

Robert Rotifer

B, ein gebranntes Kind in dieser Hinsicht, lässt nicht locker, bis er die müden 150 in der Hand hat. Dann geht es weiter in die nächste Travelodge (Billigsthotelkette), denn eine Unterbringung ist nicht Teil des Deals. Im Gegensatz zum Gig in Preston, wo der Veranstalter neben den 150 Pfund Honorar auch die Übernachtung übernimmt.

B: "So where’s the hotel?"
Veranstalter: "I’ve got a mate, he’s got a really big house, we’ve had bands stay there before."
Sie steigen in den Bus, B, der Fahrer und der Veranstalter auf der Vorderbank, die Band in den beiden Reihen dahinter, und fahren los. Der Veranstalter dreht sich zur Band um: "You’ve all got your sleeping bags, haven’t you?"

Von Liverpool über Birmingham bis Glasgow spielt sich alles nach diesem Muster ab. Dann kommt London, eine Show im ausverkauften Dingwalls, in das immerhin knapp 500 Leute passen. Gage: 500 Pfund. Wenigstens kein Verlust. Trotzdem, eine Hochzeitsband packt für so einen Betrag nicht einmal ihre Instrumente aus.

Toilettentür

Robert Rotifer

In derselben Nacht nimmt die Band die Fähre von Dover nach Calais, sechs Stunden Schlaf in einem Motel, dann gleich weiter nach Paris zu TV-Aufnahmen für Canal+ vor einem unbezahlten Promogig. Die Hotelkosten laufen indessen weiter, das Tour-Budget schmilzt dahin.

Am Abend darauf kommen 500 Leute zum Konzert in der Maroquiniere. Als Gage gibt’s diesmal 800 Euro abzüglich 20% für den Booker, der den Gig an Land gezogen hat (der branchenübliche Anteil).

Zwischendurch fährt der übermüdete Fahrer beim Einparken in einen Poller. Aus Kostengründen hatte die Managerin bei der Verleihfirma auf eine Versicherung für Schäden mit Eigenverschulden verzichtet. Der kleine Unfall kippt die Tour endgültig in den roten Bereich.

Später wird die Band noch einen ausverkauften Gig in Amsterdam für 2500 Euro und ein eine Dreier-Serie in Belgien für 2000 Euro spielen und damit einen Teil des im knochenharten England erwirtschafteten Minus wieder gutmachen.

Bus mit Aufschrift Fucker

Robert Rotifer

Was haben wir gelacht

Aus meiner eigenen, weit bescheideneren Position heraus würde ich auf die unter jeder Musikerwürde honorierten Gigs auf Bs Tour ja glatt verzichten. Das ist aber kein Luxus der wählerischen Selbstachtung, den ich ich mir nur gönnen kann, weil ich meinen Lebensunterhalt hauptsächlich mit Journalismus verdiene.

Im Gegenteil: Ich könnte es mir gar nicht leisten, so viel Zeit in so schlecht bezahlte Gigs zu stecken wie die jungen, faktisch besitz- und beinahe obdachlosen, materiell ungebundenen Menschen in jener bewussten Band, die ihrerseits wiederum gar keine andere Wahl haben, als auf Biegen oder Brechen das in sie investierte Geld wieder einzuspielen und mit etwas Glück irgendwann schuldenfrei auszusteigen.

Für Leute, die sich ein bisschen in diesem Geschäft bewegt haben, wird all das nicht überraschend klingen. Aber es gehört einmal niedergeschrieben - wider das sich beständig haltende Gerücht, wonach Bands neuerdings mit Konzerten ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten.

Morgen kommt ein Mechaniker vorbei, ersetzt das zerschlagene Autofenster, und ich kann mich vielleicht sogar ausschlafen. B und seine Band sind noch bis Juni auf Tour.